Labor & Diagnostik

Wie Viren das wachsende Gehirn schädigen

12.04.2021 - Ein Forscherteam am Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA ) erforscht an Organoiden, wie manche Viren schwere Fehlbildungen im menschlichen Gehirn auslösen können.

Das Ziel ist es neue Therapieansätze gegen Infektionen und deren Folgen zu entwickeln. Viren befallen unterschiedlichste Gewebestrukturen in unserem Körper. Dabei funktionieren die Proteine an deren Hülle wie Türöffner, um ins Innere der Zelle zu gelangen und diese dann für ihre eigene Fortpflanzung zu „hacken“: Die Zelle produziert fortan nur noch andere Viren und keine eigenen Zellnachkommen. Während der menschlichen Gehirnentwicklung sind manche Vireninfektionen daher besonders kritisch. Denn aus nur wenigen Vorläufern entwickelt sich durch streng regulierte Teilungen ein unglaubliches Netzwerk verschiedenster Nervenzell-Arten, das letztendlich an die 87 Mrd. Nervenzellen umfasst. Fehler während dieser Entwicklung, etwa durch genetische Mutationen, aber auch Virenbefall sind besonders fatal- schwere Fehlbildungen im Gehirn können die Folge sein. Für werdende Mütter ist daher besondere Vorsicht vor gewissen Infektionserregern geboten. Zu den „TORCH Pathogenen“ zählen etwa Toxoplasma gondii, Röteln-Viren, CMV, Herpes-simplex-Viren (HSV). Zuletzt wurde im Zuge einer ZIKA Epidemie in Brasilien der Zusammenhang mit Mikrozephalie deutlich: Babys, die im Mutterleib einer ZIKA Infektion ausgesetzt waren, kamen häufig mit einem viel zu kleinen Gehirn auf die Welt.

Bislang war es nicht möglich, den Einfluss bestimmter Viren auf die Gehirnentwicklung systematisch am Menschen zu untersuchen.
Eine einzigartige Technologie, die weltweit erstmals am IMBA entwickelt wurde, erlaubt es nun, den Einfluss von Infektionen auf die menschliche Gehirnentwicklung neu zu beleuchten und innovative Therapien zu testen. Gehirn-Organoide kann man aus menschlichen Stammzellen heranzüchten. Diese können von jedem Menschen etwa aus einem kleinen Stück Haut oder einer Blutprobe gewonnen werden. Die darin befindlichen Körperzellen werden chemisch zu Stammzellen „verjüngt“ – man spricht von „induziert pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen)“, die sich selbst organisieren und die Prozesse der frühen menschlichen Gehirnentwicklung nachahmen.

Viren hinterlassen charakteristische Spuren im Gehirn

In der aktuellen Studie untersuchte das Forscherteam am IMBA den Virenbefall durch ZIKA und das Herpes Simplex Virus (HSv-1) in menschlichen Gehirn-Organoiden. Diese wurden in der Petrischale „infiziert“, um den Einfluss der Erreger auf die Gehirnentwicklung zu studieren. Einige Viren können die Gehirnentwicklung entscheidend stören, allerdings kommen dabei unterschiedliche Mechanismen zutage. „Das Zikavirus wirkt sich beispielsweise auf das Wachstum aus. Die Vorläuferzellen werden geschädigt und bilden zu wenig Zellnachkommen aus und das Gehirn bleibt viel zu klein. Wenn man aber unter die Oberfläche blickt, lassen sich unterschiedliche strukturelle Defekte, charakteristische Transkriptionsprofile und Antworten auf Zellebene feststellen, die Interaktionen mit dem Immunsystem sind für jedes Virus einzigartig,“ erklärt Veronika Krenn, Postdoktorandin am IMBA und Erstautorin der Publikation. Auch Herpesviren können in von der werdenden Mutter auf das ungeborene Baby übertragen werden, was zu Sepsis und schweren Defekten im Neuroepithel, einer inneren Gehirnregion führen kann. „Derartige Fälle sind zwar sehr selten, aber fatal. Hingegen mangelt es an antiviralen Medikamenten für Erreger, die das menschliche Gehirn befallen können.”, so die Forscherin.

Wissen über Viren als Schlüssel zu neuen Therapien

Hier bieten die Organoide ein ideales Modellsystem, um die Entwicklung neuer Therapien gegen Viren, die das menschliche Gehirn befallen, anzutreiben. Im Labor gelang es den Forschern Herpes infizierte Gehirn-Organoide durch die Gabe von Interferon Typ 1 vor Fehlbildungen zu schützen. Dank dieser Technologie wird es den Wissenschaftlern in Zukunft möglich sein, eine Vielzahl neuer Substanzen gegen Vireninfektionen des menschlichen Gehirnes auszutesten. Auch für die Krebsmedizin ist ein Wissen über jene Prozesse wesentlich: Onkolytische Viren könnten zum Einsatz kommen, um Tumorzellen zu töten, indem sie gezielt Tumorzellen infizieren und bekämpfen. „Indem wir Organoide gezielt mit Viren infizieren, können wir nicht nur enorm viel über die typisch menschlichen komplexen Wechselwirkungen während der kritischen Gehirnentwicklung lernen. Wir werden auch besser gezielt nach Schwachstellen dieser Viren suchen können, um Ansatzpunkte für neue Therapien zu finden,“ fasst Jürgen Knoblich, wissenschaftlicher Direktor am IMBA und Letztautor der Studie, zusammen.

 

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