Labor & Diagnostik

Neurologische Krankheiten über das Nervenwasser genauer diagnostizieren

20.05.2021 - Eine neue Studie von Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftlern der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster zeigt: Ein Blick in die Flüssigkeit, die Gehirn und Rückenmark umhüllt und schützt, macht genauere Diagnosen möglich. Die Studienergebnisse sind jetzt im Fachjournal „BRAIN“ veröffentlicht.

Ein Flackern vor den Augen, Taubheit in den Beinen oder Unsicherheit beim Gehen: Zeigen junge Erwachsene diese Symptome, sind sie verunsichert – zu Recht, denn damit steht eine ganze Reihe gravierender neurologischer Verdachtsdiagnosen im Raum. Es könnte sich um Multiple Sklerose handeln, um Neuromyelitis optica oder eine autoimmune Enzephalitis – vielleicht aber auch etwas ganz Harmloses. Meist beginnt eine Odyssee von Fachärzten zu Spezialkliniken und wieder zurück – die künftig aber vermeidbar sein dürfte: Eine neue Studie von Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftlern der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster zeigt: Ein Blick in die Flüssigkeit, die Gehirn und Rückenmark umhüllt und schützt, macht genauere Diagnosen möglich. Die Studienergebnisse sind jetzt im Fachjournal „BRAIN“ veröffentlicht.

Die Suche nach oligoklonalen Banden im Nervenwasser dauert Tage, die nach möglichen infektiösen Erregern zieht sich manchmal Wochen hin; Magnetresonanz-Tomographien von Gehirn und Rückenmark werden über Monate beobachtet. Eine Alternative besteht in der Analyse des sogenannten Liquors: Sie ist seit Langem ein diagnostisches Verfahren in Neurologie und Psychiatrie, denn das Zellmuster in der Flüssigkeit ist bei vielen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen auf eine spezifische Art verändert. Das volle Potenzial dieser Untersuchung bleibt jedoch meist ungenutzt: Bei diesem Ansatz müssen die Immunzellen im Liquor eingehend charakterisiert werden – dafür sind komplexe Technik sowie geschultes Personal notwendig. Und: Das Verfahren ist teuer. Nur wenige akademische Zentren bieten daher entsprechende Analysen an – darunter die münstersche Uniklinik für Neurologie.

Das dortige Labor ist eine der wenigen Einrichtungen weltweit, die Liquorzellen sammelt und routinemäßig mittels Multiparameter-Durchflusszytometrie analysiert – und das schon seit einem Jahrzehnt. Daher konnte das Forschungsteam für seine Studie auf einen Datensatz von 12.000 Nervenwasser-Analysen zurückgreifen, für die sogar passende Blutproben derselben Patienten vorlagen. Die Arbeitsgruppe analysierte Daten von 777 Patienten mit unterschiedlichen neurologischen Erkrankungen vom Schlaganfall über die Multiple Sklerose bis zur Demenz. „Dabei haben wir fünf Marker gefunden, die uns ziemlich sicher anzeigen, dass der betreffende Patient an einer entzündlichen Erkrankung des Nervensystems leidet. Die Marker funktionierten in 76 Prozent aller untersuchten Fälle – das ist eine enorm hohe Quote“, berichtet Erstautorin und Laborleiterin Dr. Catharina Groß.

Das bedeutet: Bei drei von vier untersuchten Patienten hätte allein die Liquorprobe ausgereicht, um die Nervenentzündung eindeutig zu diagnostizieren. So lässt sich vorerst allerdings nur feststellen, dass eine autoimmune Entzündung des Nervensystems vorliegt, nicht aber, welche Krankheit genau sie auslöst. Dr. Gerd Meyer zu Hörste, Co-Autor der BRAIN-Publikation, spricht daher von „krankheitsübergreifenden Parametern“. Doch der Blick in den Liquor kann noch mehr: Er ermöglicht auch die besonders schwierige Differenzierung verschiedener Entzündungserkrankungen im zentralen Nervensystem. „Hier fehlten uns bisher spezifische Biomarker – und die haben wir jetzt gefunden“, resümiert Prof. Heinz Wiendl, Direktor der Klinik für Neurologie und Koordinator der Studie.

Ausschließlich anhand der im Liquor gefundenen Zelltypen können die Wissenschaftler feststellen, ob junge Patienten, die entsprechende Symptome zeigen, an einer schubförmig-remittierenden Multiplen Sklerose, einer Neuromyelitis Optica oder an einem Susac-Syndrom leiden. „Ein Beispiel: Kommen Plasmazellen im Liquor vor und gibt es gleichzeitig eine intrathekale IgG-Synthese, dann hat der Patient mit hoher Wahrscheinlichkeit eine schubförmige MS. ‚Hoch‘ heißt hier: zwischen 82 und 91 Prozent“, erläutert Dr. Andreas Schulte-Mecklenbeck, der die Studie maßgeblich mit umgesetzt hat.

Dieses Wissen ist für die Therapie von enormer Bedeutung: Die meisten neurologischen Erkrankungen schreiten unwiderruflich fort, wenn sie nicht früh und vor allem korrekt behandelt werden. Das allerdings setzt eine richtige Diagnose voraus. „Die kann dank unserer Erkenntnisse nun deutlich schneller und sicherer erfolgen“, sagt Prof. Wiendl.

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