Bauen, Einrichten & Versorgen

Raus aus dem Dämmerschlaf

Pflegeeinrichtungen brauchen mehr und besseres Licht – für Bewohner und Pflegekräfte.

26.07.2021 - Gutes Licht ins Gebäude zu bringen: Auf dieser Mission befindet sich Frank Nowicki. Insbesondere Menschen in stationärer Pflege und die Intensivpflegekräfte die sie betreuen könnten so gut wie nie draußen sein.

Und gerade in größeren Einrichtungen und älteren Architekturen fehle es an Architektur, die das Tageslicht mit maximaler Kraft ins Innere leitet. Gerade hier brauche man optimale Lichtbedingungen als Grundlage einer selbstverständlichen Lebensqualität, schreibt der Lichtplaner und Designer in seinem Buch „Jeder Mensch hat das Recht auf gutes Licht“. Matthias Erler von medAmbiente hat sich mit Frank Nowicki unterhalten.   

Herr Nowicki, Sie schreiben in Ihrem Buch von einer Art Initiationserlebnis, das Sie in einem gehobenen Pflegestift hatten. Es ging da um eine Außenbeleuchtung...?

Frank Nowicki: Ich hatte damals eine Firma, die sich mit Architekturlicht, mit Fassadenbeleuchtung, aufwendigen und großformatigen Werbeschriftzügen und dergleichen befasste. Wir arbeiteten für große Auftraggeber, etwa für Flughäfen. Im Laufe der Zeit hatte sich die Lichttechnik weiterentwickelt, Lichtverschmutzung wurde ein Thema – und wir fragten zunehmend nach Zuträglichkeit von Beleuchtung. Auch mit Lichttemperatur haben wir uns beschäftigt – die technische Weiterentwicklung der Leuchtmittel hat hier immer mehr möglich gemacht. Viele der damals gewonnenen Erkenntnisse haben wir in unserem eigenen Firmengebäude realisiert – auch mit großen Fenstern für mehr Tageslicht, das wir mit Kunstlicht ergänzt haben. Die Mitarbeiter fühlten sich damit wohl, Studien gab es noch nicht. Das von Ihnen angesprochene Erlebnis hatte ich, als ich ein Pflegheim besichtigte, das von uns eine attraktive Fassadenbeleuchtung installiert haben wollte. Man wollte Aufmerksamkeit auch durch eine attraktive und schon aus der Entfernung sichtbare Beleuchtung erreichen. Es war ein sehr sommerlicher Tag bei 35 Grad, wir gingen durch das Gebäude zur Geschäftsführung – und im Inneren des Gebäudes herrschte eine trübe und beklemmende Dauerdämmerung – im starken Kontrast zum herrlichen Sommertag draußen. In dieser unterbeleuchteten Atmosphäre dämmerten auch die Bewohner dahin – das ist ja auch vollkommen einleuchtend, da man eine gewisse Lichtleistung zur Aktivierung des circadianen Rhythmus braucht. 


… und Sie konnten die Leitung des Pflegeheims überzeugen?

Frank Nowicki: Ja – auch wenn wir einen längeren Prozess der Veränderung vor uns hatten. Wir konnten nicht alles auf einmal umkrempeln. So fingen wir erstmal damit an, bestimmte Zonen einzurichten – wie der Aufenthalts- und Essbereich. Wir orientierten uns insgesamt am circadianen Rhythmus. Demenzkranke haben bestimmte Bedürfnisse – und auch die Mitarbeiter. Nachts sorgten wir etwa für geringeres Licht auch in den Gängen, so dass insgesamt nachts mehr Ruhe entstand. Das hat die Nachtschicht entlastet, war also eine Win-Win-Situation für Bewohner und Pflegende.

Haben Sie den Eindruck, dass das Licht, die Lichtgestaltung, generell ein unterschätztes und daher vernachlässigtes innenarchitektonisches Gewerk ist?

Frank Nowicki: Es ist zumindest ein Gewerk, dem stärker die Bedeutung beigemessen werden sollte, die sie seit jeher für uns hat. Wir verdanken dem Licht der Sonne unsere Existenz wie von Wasser und Sauerstoff. Das gilt für alles was wir kennen. Seit einer Million Jahren kultivieren wir das Feuer und nutzen es seither als Licht- und Wärmequelle. Wenn wir in die Flammen schauen, etwa in unserem Kamin, fühlen wir uns wohl und geschützt. Und dieses Feuer ermöglicht es uns auch herunterzufahren – es stört mit seinen 2.200 Kelvin und geringen Lichtintensität nicht unseren circadianen Rhythmus, unser Schlafhormon Melatonin wird ausgeschüttet. Das elektrische Kunstlicht kam erst 1890 – davor gab es Petroleum und Kerzen. Erst nach 1940 gab es flächendeckend Strom und in der Folge helles Licht in Arbeits- und Wohnräumen und Unabhängigkeit von Tag und Nacht. Die Frage, ob uns das gut tut, haben wir uns nicht gestellt.

… womit man einen falschen Weg eingeschlagen hat?

Frank Nowicki: Das lässt sich mit Astronautennahrung vergleichen. Man kann damit leben, sie liefert alle Nährstoffe – doch ob es uns damit gut geht, und auf Dauer, ist eine andere Frage. Beim Licht sind die Probleme noch früher spürbar als bei der Ernährung. Wir müssen die Natürlichkeit des Tageslichts in unsere Innenräume hereinholen – die Technik ist soweit. Es ist ein Gewerk, das zur Innenraumplanung dazugehört. Es fehlen uns aber die Worte dafür, unser Bedürfnis nach Licht auszudrücken. Wenn der Kollege das Fenster im Büro aufmacht und mir kalt ist, kann ich das in Worte fassen. Stimmt aber etwas mit dem Licht nicht, können wir das meist nicht näher beschreiben: Man fühlt sich nur irgendwie unwohl. Das war einer der Gründe, derenthalben ich mein Buch zum Thema geschrieben habe. Wir haben zwar industrielle Normen, aber was die Beleuchtung wirklich mit dem Menschen macht, sagt sie nicht aus. Als ich das Buch schrieb, machte ich Selbstversuche – so bin ich während eines trüben Novembers bewusst nicht nach draußen. Erst als ich wieder damit begann, mittags regelmäßig spazieren zu gehen, ging es mir wieder gut und ich schlief nachts wieder besser. Daran sieht man auch, dass die Folgen schlechten Lichts durchaus revidierbar sind.   

Welches Potential hat das Licht für ein qualitätsvolles Leben im Pflegeheim? Und was sind die Faktoren für ein gutes Licht?

Frank Nowicki: das Potential guten Lichts ist groß. Ich halte es für wichtig, die Bewohner von Pflegeheimen tagsüber aus ihrem Dämmerschlaf herauszuholen. Wir haben in vielen Pflegeheimen tagsüber zu wenig und nachts zu viel Licht. Abends sollte man Lichtleistung und Farbtemperatur nach und nach herunterfahren, damit auch die Bewohner und Pflegekräfte runterkommen können. Wenn wir vor allem die Demenzbereiche nach unseren Erkenntnissen über die Wirkung des Lichts beleuchten, erreichen wir nachts mehr Ruhe und besseres Durchschlafen – und das verbessert dann auch tagsüber die Aufnahmefähigkeit. Tagsüber brauchen wir im Alter wegen zunehmender Linseneintrübung wiederum mehr Licht, um den circadianen Rhythmus anzu-triggern. Von alldem profitiert auch das Pflegepersonal. Es wird entlastet, so dass alle gewinnen. Die Praxis sieht anders aus: Wer im Krankenhaus etwa auf die Toilette geht und das viel zu helle Licht einschaltet, ist erst mal wach. Die Zirbeldrüse hört sofort auf, Melatonin auszuschütten – und es braucht dann wieder bis zu einer Stunde, bis die Zirbeldrüse mitkriegt, das noch Nacht ist. Mit diesem Wissen im Hintergrund lässt sich sehr viel erreichen.

Tageslicht und der natürliche Rhythmus scheinen das Beste zu sein. Dann scheint ja doch die Architektur am meisten leisten zu können – und das Kunstlicht ist eher eine Korrektur?

Frank Nowicki: Im Bestand sieht man, dass im Allgemeinen nicht sehr viel auf Tageslicht wertgelegt wurde. Es geht aber auch um Materialien, um Lichtreflexionen im Raum. Freundlichere Farben, eine insgesamt hellere, skandinavisch inspirierte Gestaltung gehen mit der Lichtgestaltung einher. Kunstlicht ist ein Instrument, das ausgleichen kann, was die Architektur nicht schafft. Problematisch sind übrigens auch viele neue Fenster, die im Zuge energetischer Sanierungen eingesetzt werden – der Wärmeverlust wird geringer, aber es entsteht ein fahleres Licht. Darüber sollte man nachdenken.

Die Orientierung am zirkadianen Rhythmus ist wichtig für uns – Lichtplaner sind sich dessen schon lange bewusst. Wie gut lässt er sich bei der Lichtplanung abbilden?

Frank Nowicki: Wir brauchen tagsüber etwa 7000 Luxstunden. Wenn man sich eine Stunde lang draußen aufhält, hilft das schon mal, den circadianen Rhythmus anzustoßen. Im Innenbereich sind 500 Lux zu wenig – hier wird immer zu halbherzig beleuchtet. Abends sollte man gerade in Pflegebereichen darauf achten, dass zum Beispiel WC-Leuchten nicht unbedingt ein neutralweißes Licht mit 4000 Kelvin haben. Und abends sollte man generell unter 3000 Kelvin bleiben und die Intensität weiter herunterfahren.

Gibt es nach Ihrer Wahrnehmung inzwischen mehr Verständnis für Menschen, die selten rauskommen? Wegen der Pandemie?

Frank Nowicki: Zumindest beschäftigen wir uns sehr viel zum Beispiel mit dem Thema Home-Office – und damit auch mit dem Licht und Beleuchtung. Ich bin gerade dabei, ein Pflichtenheft für Home-Office-Umgebungen zu erarbeiten – und ich werde auch eine spezielle blendfreie Leuchte herausbringen, bei der man Farbtemperatur und Lichtintensität dem circadianen Rhythmus folgend einstellen kann. Ich bin überzeugt, dass die vielfach zu beobachtende schlechte Stimmung mit ungünstigem Licht zusammenhängt – abgesehen von Corona haben wir auch einen sonnenarmen Winter hinter uns. Das schlägt aufs Gemüt. Dabei geht es auch anders – und es ist wichtig, regelmäßig raus zu gehen an die frische Luft und ins Tageslicht. Menschheitsgeschichtlich ist es die Regel gewesen, draußen zu sein. Dass wir uns so viel in Innenräumen aufhalten, kann die Evolution nicht so schnell ausgleichen – und auf einen neuen Evolutionssprung können wir nicht warten...

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