Retina-on-Chip-Systeme
24.09.2021 - Menschliche Mini-Organe in Kunststoffchips ermöglichen die Testung neuartiger Therapieansätze in der Augenheilkunde.
Genetische Augenerkrankungen haben meist eine Störung der Netzhaut zur Folge und führen in vielen Fällen zu erheblichen Einschränkungen der Sehfähigkeit bis hin zur Erblindung. Forschende des NMI Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Instituts in Reutlingen, der Medizinischen Fakultät der Universität Tübingen und Boehringer Ingelheim veröffentlichten Ergebnisse aus einer Studie zur Testung von Träger-Viren für Gentherapien in einem menschlichen Retina-on-Chip-System. Mit diesem neuartigen System lassen sich künftige Gentherapien für Netzhauterkrankungen besser entwickeln.
Virale Gentherapien zur Behandlung genetischer Augenerkrankungen
Bei der Behandlung von genetischen Augenerkrankungen wie bspw. Retinitis Pigmentosa, einer krankhaften Veränderung der Netzhaut (Retina), haben Gentherapien ein großes Potenzial für die Augenheilkunde. Grundsätzlich besteht die Netzhaut aus einem komplexen, aber dennoch geordneten Netzwerk verschiedenster Zellen, darunter die lichtempfindlichen Photorezeptoren, die der Wahrnehmung von Licht dienen. Im Falle einiger genetischer Augenerkrankung sind diese Photorezeptoren in ihrer Funktion gestört. Eine virale Gentherapie kann Abhilfe schaffen. Die speziell hergestellten therapeutischen Viren werden bei der Behandlung mit einer feinen Nadel ins Auge injiziert. Um die Viren zu den krankhaften Zellen zu transportieren, stehen aktuell zwei Behandlungsmethoden zur Verfügung: die intravitreale Injektion, bei der die Viren in den Glaskörper des Auges injiziert werden und die subretinale Injektion, bei der die Viren direkt unter die äußerste Grenzschicht der Netzhaut gespritzt werden. Die Entwicklung neuer therapeutischer Viren ist nicht zuletzt auch deshalb langwierig und kostspielig, weil es an geeigneten nicht-klinischen Modellen mangelt, die eine Vorhersagekraft für das menschliche Auge haben.
„Die Kombination der Organ-on-Chip- mit der Organoid-Technologie ermöglicht für die Wirksamkeitsuntersuchung von Gentherapien einen wichtigen Schritt in Richtung klinisch-relevanter In-vitro-Studien“, so Prof. Dr. Peter Loskill, Prof. für Organ-on-Chip Forschung an der Medizinischen Fakultät der Universität Tübingen und Gruppenleiter am NMI. Loskill entwickelt mit seinem Team kleine mikrofluidische Plattformen, die es erlauben, lebende Substrukturen von Organen in eine kontrollierte Mikroumgebung zu integrieren und so das menschliche Organ außerhalb des menschlichen Körpers nachzubilden. Da diese Chips die natürliche, physiologische Mikroumgebung der Zellen im Gewebe nachbilden, verhalten sich die darin integrierten Zellen und Gewebe so als wären sie noch im menschlichen Körper und reagieren auf einen Reiz oder ein Arzneimittel.
Kombination mikrofluidischer Organ-on-Chip-Plattformen
Zur „künstlichen“ Nachbildung der menschlichen Netzhaut stellte das Team von Prof. Dr. Liebau an der Medizinischen Fakultät der Universität Tübingen aus pluripotenten Stammzellen, die sich in alle Zelltypen des Körpers entwickeln können - ein Netzhaut-Pigmentepithel und Netzhaut-Organoide her. Diese Organoide sind organähnliche Zellzusammenlagerungen und bestehen aus einer Vielzahl verschiedener Zelltypen. Durch die Kombination der mikrofluidischen Organ-on-Chip-Plattformen mit der Organoid-Technologie gelang es den Forschenden, die Zellen des Netzhaut-Organoids mit Viren zu infizieren und dort ein grün fluoreszierendes Protein zu produzieren. Der eingesetzte Retina-Chip wurde so konzipiert, dass die therapeutischen Viren analog zur subretinalen Injektion verabreicht werden konnten. Darüber hinaus ermöglichte der Aufbau die Langzeit-Beobachtung der lebenden Zellen und die Quantifizierung der Fluoreszenz, die für die Wirksamkeitsuntersuchung einen ausschlaggebenden Parameter darstellt. Somit zeigen die Daten das Potenzial von Stammzell-basierten Organ-on-Chip-Modellen als nächste Generation von Screening-Plattformen für zukünftige gentherapeutische Studien.
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