Tag der Seltenen Erkrankungen
Auf der Spur der Krankheitsursache: Wie entsteht das Dravet-Syndrom?
Das Dravet-Syndrom ist eine der häufigsten schweren frühkindlichen Formen der Epilepsie – und mit einer oder einem Erkrankten auf 15.000 Personen in Deutschland glücklicherweise sehr selten. Die Erkrankung ist genetisch-bedingt und geht in den häufigsten Fällen auf eine Veränderung oder einen Verlust in einem Gen auf Chromosom 2 zurück. Das führt zu einer gestörten Signalübertragung im Gehirn und in Folge zu epileptischen Anfällen und weiteren Begleitsymptomen. Ein Forscherteam am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung, dem Universitätsklinikum und der Universität Tübingen untersucht nun einen bislang unerforschten Entstehungsmechanismus der Krankheit.
Dem Team ist wichtig zu betonen, dass Menschen mit Seltenen Erkrankungen nicht von Forschenden vergessen sind, sondern dass auch für sie an neuen Behandlungsmethoden gearbeitet wird. Anlässlich des Tags der Seltenen Erkrankungen am 28. Februar möchten sie darauf aufmerksam machen, dass sich Betroffene oder ihre behandelnden Ärzte an spezialisierte Zentren wenden, um dort von den neuesten medizinischen Fortschritten zu profitieren.
„Beim Dravet-Syndrom entwickeln sich die Kinder nach der Geburt erst völlig normal, bis sie im Alter von 3 bis 9 Monaten den ersten epileptischen Anfall erleiden“, erklärt Dr. Ulrike Hedrich-Klimosch, Biologin und eine der drei Studienleiter. „Dieser tritt häufig in Verbindung mit Fieber auf. Später können die Anfälle auch durch Übermüdung, Gefühlsausbrüche oder Infektionen ausgelöst werden und lassen sich häufig nur schwer bis gar nicht mit Medikamenten behandeln.“
Nach Krankheitsbeginn verlangsamt sich in den meisten Fällen die Entwicklung. Es kommt zu einer Sprachverzögerung, aber auch Gangstörungen oder Verhaltensauffälligkeiten. Die Mehrzahl der Kinder leidet im weiteren Verlauf an einer geistigen Behinderung.
In rund 80 % der Fälle beruht die Erkrankung auf einer zufälligen Veränderung des Gens SCN1A. In Folge ist ein Natriumkanal im Gehirn nicht mehr gut durchlässig. Wie genau dieser Funktionsverlust zu epileptischen Anfällen führen kann, will das Tübinger Forschungsteam nun weiter entschlüsseln. „Der Natriumkanal befindet sich nicht nur auf hemmenden Nervenzellen, sondern auch auf speziellen Gliazellen im Gehirn, den Oligodendrozyten. Diese umwickeln Nervenzellfasern und unterstützen sie dadurch bei der Informationsweiterleitung“, erläutert Hedrich-Klimosch. „Wir wollen erstmals die Auswirkungen des Gendefekts auf diese Zellen erforschen. Führt bei ihnen der gestörte Natriumkanal zu einer veränderten Wechselwirkung mit Nervenzellen?“
Diese Frage untersucht Hedrich-Klimosch anhand von Zellkulturen und Mäusen mit SCN1A-Gendefekt. Die Neurobiologin leitet die Studie gemeinsam mit Dr. Ivana Nikić-Spiegel vom Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN) und Dr. Friederike Pfeiffer vom Physiologischen Institut, Abteilung Neurophysiologie der Universität Tübingen. Gemeinsam haben die Forscherinnen nun für ihr Projekt eine Förderung der Gruppo Famiglie Dravet Associazione ONLUS in Partnerschaft mit anderen europäischen Dravet-Stiftungen bekommen, die sich aus Eltern betroffener Kinder zusammengeschlossen haben.
„Bei unserer Studie handelt es sich natürlich um Grundlagenforschung, die nicht unmittelbar in neue Therapien mündet. Trotzdem sollten auch diese Studien möglichst breit publik gemacht werden, damit Patienten sehen, dass die Forschung nicht stillsteht und es immer wieder Fortschritte gibt, die ihnen langfristig helfen könnte.“
Lesen Sie auch das Interview, dass die Hertie-Stiftung mit Dr. Ulrike
Hedrich-Klimosch anlässlich des Tags der Seltenen Erkrankungen geführt hat.