Aus den Kliniken

Forschende entdecken körpereigene, entzündungshemmende Substanz

09.06.2022 - Ein Team von Wissenschaftlern um Professor Karsten Hiller vom Braunschweiger Zentrum für Systembiologie BRICS hat eine körpereigene, entzündungshemmende Substanz entdeckt: Mesaconsäure.

Dieses Molekül könnte ein Wirkstoffkandidat sein, der sich zur Behandlung eines Schocks in Folge einer Blutvergiftung und bei Autoimmunerkrankungen wie Schuppenflechte und chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (IBD) weiterentwickeln lässt – ohne die bekannten Nebenwirkungen bisher im Einsatz befindlicher entzündungshemmender Medikamente.

Das Team von Karsten Hiller beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit Stoffwechselprodukten, die bei der menschlichen Immunabwehr eine Rolle spielen. So haben die Wissenschaftler 2013 entdeckt, dass Immunzellen im Blut und Gehirn von Säugetieren Itakonsäure herstellen – eine Substanz, die man bis dahin nur im Stoffwechsel von Pilzen gefunden hatte. Itakonsäure ist ein natürliches Antibiotikum, bekämpft also Bakterien und hemmt Entzündungen.

In der Folge dieser Entdeckung war Itakonsäure Gegenstand zahlreicher Untersuchungen. Dabei stellten die Forschenden fest, dass zusammen mit der Itakonsäure stets ein weiteres Stoffwechselprodukt auftritt: die Mesaconsäure. Mesaconsäure ist eine chemische Verbindung, die der Körper aus zuvor entdeckten Itakonsäure herstellt. „Uns hat interessiert, ob die Mesaconsäure ebenfalls einen Einfluss auf Entzündungsreaktionen hat“, sagt Professor Hiller. Bei Versuchen mit Labormäusen erkannte das Forschungsteam, dass dies tatsächlich der Fall ist: Verabreicht man Mesaconsäure an Mäuse, deren Immunsystem gerade „überschießt“, also eine zu starke Abwehrreaktion zeigt, geht es den Mäusen schnell besser. Ihre Chance, zu überleben, steigt.

Wenn Wissenschaftler solch einen Effekt festgestellt haben, müssen sie die dahinterliegenden Stoffwechselprozesse genau verstehen. Bei den Untersuchungen fand das Forschungskonsortium, an dem neun Forschungsgruppen aus Braunschweig, Bonn, Luxemburg, La Jolla (USA) und Arhus (Dänemark) beteiligt sind, heraus, dass Mesaconsäure ähnlich stark entzündungshemmend wirkt wie Itakonsäure. „Allerdings gibt es einen gravierenden Unterschied“, sagt Dr. Wei He, Mitarbeiter in Hillers Team und Erstautor der Studie: „Im Gegensatz zu Itakonsäure blockiert Mesaconsäure nicht das Enzym Succinatdehydrogenase. Dieses Enzym hat eine zentrale Rolle im Stoffwechsel der Zellen.“

Succinatdehydrogenase (SDH) ist Teil der Atmungskette. Wird es – beispielsweise durch Itakonsäure – gehemmt, hat dies starke negative Wirkungen auf den Stoffwechsel. Da Mesaconsäure keinen blockierenden Effekt auf das SDH-Enzym, aber eine ähnlich gute entzündungshemmende Wirkung wie Itakonsäure hat, ist es als potentieller Wirkstoff gegen Autoimmunerkrankungen besonders interessant. „Wir müssen jetzt untersuchen, warum Mesaconsäure einen positiven, entzündungshemmenden Effekt auf das Immunsystem hat“, sagt He.

Wenn die Forschenden auf diese Frage präzise Antworten haben, können mit Mesaconsäure konkrete pharmakologische Untersuchungen beginnen. „Die Mesaconsäure könnte als Wirkstoff gegen Krankheiten in Frage kommen, bei denen das Immunsystem zu stark aktiviert ist – beim septischen Schock und vor allem auch Autoimmunerkrankungen wie Psoriasis oder bei entzündlicher Darmerkrankung“, so Professor Hiller. „Unter Umständen mit weniger Nebenwirkungen als andere Medikamente. Denn es handelt sich um eine Substanz, die der Körper selbst produziert und die die zentralen Stoffwechselwege in den Zellen nicht beeinträchtigt.“

Über das BRICS: „Understanding Health“

Am Braunschweiger Zentrum für Systembiologie, dem BRICS, wollen die Forschenden verstehen, was Gesundheit bedeutet. Dafür untersuchen wir die molekularen Zusammenhänge, die biologische Systeme im Gleichgewicht halten. Am BRICS betrachten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit modernsten Methoden biologische Zellen und erfassen ganzheitlich und präzise den Status hochkomplexer Stoffwechsel-Netzwerke. Mit Hilfe computergestützter, bioinformatischer Methoden identifizieren sie diejenigen Faktoren, die biologische Systeme aus dem Gleichgewicht geraten lassen – und so zu Erkrankungen führen. Die so gewonnenen Erkenntnisse bringt das BRICS in die Entwicklung innovativer Therapien ein.

Das BRICS ist ein gemeinsames Forschungszentrum der TU Braunschweig, des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) und der Leibniz-Institut DSMZ – Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH.

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