Labor & Diagnostik

Tumore nierenschonend diagnostizieren

04.10.2022 - Forschende am Paul Scherrer Institut PSI haben in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich eine Diagnosemethode für Tumore mithilfe von Radionukliden optimiert. Durch einen molekularen Kniff fallen mögliche Nebenwirkungen nun wesentlich geringer aus.

Über ihre Ergebnisse berichten die Forschenden in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Bioorganic & Medicinal Chemistry.

Mit der Entwicklung einer neuen Klasse von sogenannten Radiopharmazeutika konnten die Forschenden das bisherige Problem der langen Aufenthaltsdauer von radioaktiven Substanzen in den Nieren reduzieren. Ihr Ansatz beruht auf einem zusätzlichen Protein, das in den Nieren gespalten werden kann. Diese Spaltung löst die radioaktive Substanz vom Medikament, wodurch diese direkt in den Harnweg gelangt, über den sie ausgeschieden werden kann.

Radiopharmazeutika sind Medikamente, die per Injektion verabreicht werden und womit sich Tumore im Körper aufspüren und bekämpfen lassen. Die Substanzen bestehen im Prinzip aus einem Radionuklid und einem Bio-Molekül. Das Bio-Molekül, zum Beispiel ein Antikörper oder ein Peptid, bindet spezifisch an bestimmte Oberflächenstrukturen von Geweben. Das Radionuklid gibt Strahlung ab, die dafür genutzt werden kann, einen Tumor aufzuspüren oder ihn zu zerstören.

Das Prinzip klingt einfach, doch bis zum fertigen Medikament gilt es, viele Hürden zu überwinden. Nebst der rein praktischen Schwierigkeit, ein Radionuklid an ein Bio-Molekül zu koppeln, muss überhaupt erst das richtige Molekül gefunden werden. „Ist das Molekül zu spezifisch, so besteht die Gefahr, dass nicht alle Tumore erkannt werden. Ist es jedoch zu allgemein gestaltet, so kann es womöglich an gesundem Gewebe binden, was zu falsch positiven Diagnosen führt“, erklärt Martin Béhé, Leiter der Gruppe Pharmakologie des Zentrums für radiopharmazeutische Wissenschaften am PSI, die Problematik.

Die extrazelluläre Matrix im Visier

Neben Tumoroberflächen existieren für entsprechende Moleküle aber noch weitere mögliche Ziele, zum Beispiel die sogenannte extrazelluläre Matrix. Statt direkt den Tumor anzupeilen, hat es deshalb die Forschungsgruppe um Martin Béhé auf diese extrazelluläre Matrix abgesehen. Bei ihr handelt es sich um den Gewebeanteil, der sich zwischen den Zellen befindet. Man kann sich diesen Raum wie ein dreidimensionales Gerüst vorstellen, in dem die Zelle eingebettet ist; allerdings ein hoch komplexes und flexibles Gerüst, denn die extrazelluläre Matrix steht in permanentem Austausch mit der Zelle und reguliert beispielsweise deren Wachstum und das chemische Gleichgewicht innerhalb der Zelle. Auch in pathologischen Prozessen wie dem Wachstum von Krebszellen spielt die extrazelluläre Matrix eine entscheidende Rolle. So deuten viele Studien darauf hin, dass bestimmte, darin vorkommende Proteine die Lebensfähigkeit von Krebszellen fördern. Tatsächlich konnte gezeigt werden, dass das Tumorwachstum mit einer Umgestaltung der extrazellulären Matrix einhergeht.

Diese Umgestaltung wollen sich die Forschenden um Martin Béhé und Viola Vogel, Leiterin des Labors für Angewandte Mechanobiologie an der ETH Zürich, zunutze machen, um die Radionuklide in das Tumorgewebe zu bringen. Konkret beschäftigen sie sich mit einem ganz bestimmten Protein der Matrix, dem sogenannten Fibronektin. In gesundem Gewebe weist das Fibronektin eine ausgestreckte, straffe Struktur auf, welche sich mit zunehmendem Krankheitsverlauf zu lockern beginnt. «Man kann sich das so vorstellen wie bei einer mechanischen Feder. Ist die Feder angespannt, so bestehen zwischen den einzelnen Windungen große Lücken, wo das Medikament nicht anbinden kann. Entspannt sich hingegen die Feder, so schließen sich die Lücken und die Bindungsaffinität steigt an», so die Analogie von Martin Béhé. Das Fibronektin unterliegt also einer strukturellen Veränderung unter Beibehaltung seiner chemischen Zusammensetzung. Diese Veränderung reicht jedoch aus, um die Bindungsaffinität mit gewissen Peptiden signifikant zu steigern.

Bereits in einer früheren Studie konnten Martin Béhé und sein Team zeigen, dass sogenannte Fibronektin-bindende Peptide (FnBP) als Träger genutzt werden können, um gezielt Radionuklide in die extrazelluläre Matrix eines Tumors zu transportieren. Dafür kombinierten die Forschenden das Fibronektin-bindende Peptid FnBP5 mit dem radioaktiven Isotop Indium-111. Mithilfe dieses Radiopharmazeutikums lässt sich Prostatakrebs präklinisch erfolgreich aufspüren. Allerdings reichert sich das Radionuklid nicht nur im Tumor, sondern auch in den Nieren an.

Das Problem mit den Nieren

Hohe radioaktive Ablagerungen in den Nieren beeinträchtigen nicht nur das Bildgebungsverfahren, sondern können auch die Nieren schädigen. Das Problem tritt auf, da viele Proteine und Peptide durch die Nieren herausgefiltert werden, bevor sie durch den Urin ausgeschieden werden. Dieser komplizierte Prozess kann dazu führen, dass sich die Radionuklide, die an Peptide gebunden sind, lange in der Niere aufhalten, bevor sie schließlich vollständig zerfallen oder anderweitig verarbeitet werden.

Um das Problem zu lösen, modifizierten die Forschenden das FnBP5-Peptid mit einem speziellen Protein, das in den Nieren gespalten werden kann. Dieses Protein wirkt wie eine Brücke zwischen dem ursprünglichen Peptid und dem Radionuklid. Das FnBP5 kann somit immer noch ans Fibronektin andocken und durch das Radionuklid den Tumor sichtbar machen. Doch sobald das modifizierte Medikament in die Nieren gelangt, wird das zusätzlich hinzugefügte Protein gekappt und das Radionuklid gelangt direkt in den Harnweg, über den es ausgeschieden werden kann.

Durch diesen molekularen Kniff konnten die Forschenden die Wirksamkeit des ursprünglichen Medikaments beibehalten und gleichzeitig die radioaktiven Ablagerungen in den Nieren effizient reduzieren. Béhé: „Wir hoffen, dass unsere Ergebnisse auch für andere Radiopharmazeutika verwendet werden können, die mit ähnlichen Nebenwirkungen verbunden sind.“

Kontakt

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5232 Villigen PSI
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