Algorithmus identifiziert Komplikationsrisiko für Patienten mit Leberzirrhose
06.10.2022 - Eine Leberzirrhose ist eine häufige Folge langanhaltender Belastungen der Leber, beispielsweise durch Alkoholmissbrauch oder aufgrund einer Hepatitis.
In enger Zusammenarbeit haben nun Wissenschaftler der Forschungsgruppe von Thomas Reiberger am CeMM, der Medizinischen Universität Wien sowie am Ludwig Boltzmann Institute for Rare and Undiagnosed Diseases (LBI-RUD) einen Algorithmus entwickelt, der die Abschätzung des Risikos von schweren Komplikationen bei Patienten mit Leberzirrhose einfach und ohne invasive Eingriffe ermöglicht. Die Studie wurde im Journal of Hepatology veröffentlicht.
Die Leberzirrhose stellt ein fortgeschrittenes Stadium praktisch aller Arten von Lebererkrankungen dar. Sie entsteht als Reaktion auf wiederholte oder schwere Schädigungen der Leber, zum Beispiel aufgrund einer Fettlebererkrankung oder Virushepatitis. Mediziner unterscheiden dabei zwei klinische Stadien der Zirrhose: ein frühes-asymptomatisches (kompensiertes) Stadium, in dem die Patienten meist nur wenige und unspezifische Symptome wie Müdigkeit aufweisen, und ein fortgeschrittenes-symptomatisches (dekompensiertes) Stadium, in dem schwere Komplikationen wie innere Blutungen (Varizenblutungen) oder Wasseransammlung im Bauchraum (Aszites) auftreten können, die sogar zum Tod führen können. Um das Risiko für derartige Komplikationen festzustellen, ist es aktuell erforderlich, eine invasive Messung des hepatovenösen Druckgradienten (HVPG) durchzuführen. Ab einem HVPG-Wert von ≥10 mm Hg besteht prinzipiell ein Risiko für leberassoziierte Komplikationen (hepatische Dekompensation), ab einem HVPG -Wert von ≥16 mm Hg steigt die Wahrscheinlichkeit für eine hepatische Dekompensation deutlich. Bis dato konnte dieses Risiko bei Patienten mit kompensierter Zirrhose nur durch die nicht überall verfügbare, invasive HVPG-Messung bestimmt werden. Wissenschaftler der Forschungsgruppe von Thomas Reiberger am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, LBI-RUD und an der MedUni Wien sowie der Forschungsgruppe von Stefan Kubicek am CeMM entwickelten nun einen Algorithmus, der die Früherkennung des Risikos für eine hepatische Dekompensation schnell und einfach ermöglicht. In ihrer Studie trainierten die Erstautoren Jiří Reiniš (CeMM) und Oleksandr Petrenko (CeMM, LBI-RUD, MedUni Wien) Modelle für maschinelles Lernen auf Basis von Bluttestparameter von PatientInnen mit kompensierter Zirrhose, um HVPG-Werte ≥10 oder ≥16 mm Hg zu erkennen und so diejenigen zu identifizieren, die prinzipiell ein Risiko bzw. ein besonders hohes Risiko für die Entwicklung einer hepatischen Dekompensation haben.
Identifikation der wichtigsten klinischen Parameter für Risiko-Prognose
Die wichtigste Datenquelle für das Projekt war die laufende Wiener Zirrhose-Studie (Vienna Cirrhosis Study, VICIS), die an der Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der MedUni Wien und dem AKH Wien durchgeführt wird. Aus der Gesamtheit der klinischen Variablen wurden drei bzw. fünf optimale Parameter für die Erkennung von Hochrisiko-Patienten rechnerisch ermittelt und ausgehend davon ein 3- sowie ein 5-Parameter-Modell zur einfachen Bestimmung des Risikos für eine hepatische Dekompensation entwickelt. Studienleiter Thomas Reiberger erklärt: „Die Ergebnisse zeigen, dass mithilfe unseres entwickelten Algorithmus, durch eine simple Blutabnahme ganz einfach und schnell sowie ohne zusätzliche Belastung für Patienten eine präzisere Risikoabschätzung als mit anderen verfügbaren Methoden erreicht werden kann“.
Methode einfach durchführbar, Online-Rechner entwickelt
Um die diagnostische Leistung des nicht-invasiven 3P- sowie des 5P-Modells zur Vorhersage von einem HVPG ≥10 mm Hg bzw. ≥16 mm Hg zu bewerten, wurden die beiden Modelle anhand eines multizentrischen Datensatzes von 1.232 Patienten mit kompensierter Leberzirrhose aus acht europäischen klinischen Zentren validiert. „Der neuartige Ansatz erwies sich von ausgezeichnetem diagnostischem Wert. Nachdem der neue Test nur auf drei bzw. fünf allgemein verfügbaren Parametern beruht, und keine spezielle und teure Ausrüstung erfordert, wie es zum Beispiel für die Messung der Lebersteifigkeit erforderlich wäre, und – im Gegensatz zur invasiven HVPG-Messung – auch kein Risiko für die Patienten birgt, ist er leicht und überall einsetzbar“, so Reiberger. „Während eine HVPG-Messung zur genauen Verlaufskontrolle einer klinisch signifikanten oder schweren portalen Hypertension weiterhin erforderlich ist, könnte der neue, nicht-invasive Ansatz vor allem für die Risiko-Früherkennung und somit Vermeidung einer Zirrhose-Dekompensation dienen oder auch für die Auswahl von Patienten, die von einer Teilnahme an klinischen Therapie-Studien besonders profitieren können.“
Aufgrund ihrer einfachen Anwendbarkeit kann die vorgeschlagene Methode bei Routineuntersuchungen ohne zusätzliche Kosten eingesetzt werden. Für den leichten und breiten Einsatz wurde ein Online-Rechner entwickelt, mit dem Kliniker die HVPG-Werte und das assoziierte Risiko für betroffene Patienten mit kompensierter Leberzirrhose berechnen können.
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CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Wien
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