Wissenschaftspreis Niedersachsen 2022 für Medizinethikerin der Universitätsmedizin Göttingen
17.11.2022 - Herausragende Wissenschaftlerin und Pionierin der Medizinethik in Deutschland: Prof. Dr. Claudia Wiesemann, Direktorin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen, erhält den Wissenschaftspreis Niedersachsen 2022.
Prof. Dr. Claudia Wiesemann, Direktorin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), ist als herausragende Wissenschaftlerin einer niedersächsischen Universität ausgezeichnet worden. Sie erhält den Niedersächsischen Wissenschaftspreis 2022. Die Jury würdigt Prof. Claudia Wiesemann als Pionierin der Medizinethik in Deutschland, die die wissenschaftliche Exzellenz und internationale Sichtbarkeit des Fachs entscheidend vorangetrieben habe. Die Auszeichnung ist mit 25.000 Euro dotiert. Die Preisträgerin wurde am Dienstag, dem 15. November 2022, in Hannover vom Niedersächsischen Minister für Wissenschaft und Kultur, Falko Mohrs, ausgezeichnet.
„Seit den 1990er Jahren hat sich das Fach Medizinethik rasant entwickelt. Darüber bin ich sehr glücklich. Medizinethik sorgt für eine wichtige Form der Qualitätssicherung in der Medizin: eine Verständigung über die normativen Ziele der Medizin und die Mittel, sie zu erreichen. Der Wissenschaftspreis Niedersachsen ist eine großartige Bestätigung für meine Arbeit in den vergangenen (fast) dreißig Jahren“, sagt Prof. Claudia Wiesemann. „Er gilt zunächst einmal aber der Medizinethik selbst. Denn er zeigt, wie wichtig es ist, sich mit ethischen Fragen im Gesundheitswesen auseinanderzusetzen. Er stärkt die Kolleginnen und Kollegen, die mit mir zusammen diese Entwicklung vorangetrieben haben. Mich persönlich motiviert er, mich auch weiterhin, für einen fairen ethischen Diskurs von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit einzusetzen.“
Prof. Dr. Wolfgang Brück, Sprecher des Vorstandes der UMG und Dekan der Medizinischen Fakultät sagt: „Wir freuen uns und sind stolz darauf, dass in diesem Jahr mit Prof. Claudia Wiesemann eine Wissenschaftlerin aus der Universitätsmedizin Göttingen ausgezeichnet wurde, die sich wie keine zweite um ein Thema in der Medizin als Grundlage und Entscheidungsfaktor für medizinisches Handeln verdient gemacht hat: die Ethik in der Medizin. Sie hat weit über Niedersachsen hinaus die Sichtbarkeit dieses Faches etabliert und in den Kanon medizinischer Ausbildung eingeführt. Wir gratulieren Frau Prof. Wiesemann zu dieser bemerkenswerten Anerkennung.“
In der Begründung zur Auszeichnung heißt es: Claudia Wiesemann habe wesentlich dazu beigetragen, den in einer pluralen Gesellschaft so wichtigen Themen und Fragestellungen der Medizinethik in Deutschland Anerkennung zu verschaffen. Die Professionalisierung des interdisziplinären Fachs Medizinethik in der deutschen Hochschullandschaft habe sie nachhaltig vorangetrieben.
Unter ihrer Ägide wurde die Ausbildung des Nachwuchses im Fach Medizinethik intensiv vorangetrieben. In enger Kooperation mit der vom Land Niedersachsen geförderten Geschäftsstelle der Akademie für Ethik in der Medizin in Göttingen entwickelte sich das Göttinger Institut für Ethik und Geschichte der Medizin zu einer zentralen Anlaufstelle für die Ausbildung junger Wissenschaftler sowie klinischer Ethikberatender.
Mit Weitblick, Beharrlichkeit, Ausdauer und weit überdurchschnittlichem Engagement habe Prof. Wiesemann die Entwicklung der Medizinethik in Deutschland inhaltlich und diskursiv maßgeblich geprägt und zu deren struktureller Verankerung in Ausbildung, Forschung und Praxis beigetragen, heißt es in der Begründung der Jury weiter.
Die Preisträgerin
Prof. Dr. Claudia Wiesemann hat Medizin, Geschichte und Philosophie studiert, wurde in Medizingeschichte promoviert und habilitierte sich für das Fach Geschichte und Ethik der Medizin. Seit 1998 ist sie Direktorin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen.
Claudia Wiesemann forscht zu ethischen Fragen des guten Lebens in Medizin und Gesundheitswesen. Dabei interessiert sie insbesondere, wie sich neue medizinische Möglichkeiten und die Vorstellungen der Menschen von einem guten Leben in der Zeit wechselseitig bedingen. Ihr geht es unter anderem darum, der Perspektive von Patienten in die Medizin mehr Einfluss zu verschaffen. Sie hat sich dazu auch mit dem Zusammenhang von Autonomie und Vertrauen in der modernen Medizin näher befasst.
In zahlreichen Veröffentlichungen, Interviews und Podcasts nimmt Claudia Wiesemann Stellung zu gesellschaftlich relevanten Themen, wie Elternschaft und Familiengründung mit Hilfe von Fortpflanzungsmedizin, Sucht, Kinderrechten in der Medizin, Inter- und Transgeschlechtlichkeit, Organspende und Vorstellungen von Tod und Sterben. Dabei hat sie immer die Diskussion mit der Öffentlichkeit gesucht.
Als Sprecherin der DFG-geförderten Forschungsgruppe „Medizin und die Zeitstruktur guten Lebens“ (FOR 5022) widmet sie sich aktuell wenig reflektierten Hintergrundannahmen über das gute Leben in der Zeit, die in medizinischen Konzepten, Technologien und Praktiken wirksam werden. Untersucht werden drei medizinische Anwendungsfelder, die unterschiedliche Phasen im Lebensverlauf betreffen: die Behandlung chronisch Kranker im jungen und mittleren Erwachsenenalter, die zeitlichen Planungs-, Steuerungs- und Optimierungsbemühungen im mittleren Lebensalter vor allem im Kontext der Fortpflanzungsmedizin sowie die Neu-Verhandlung des Alterns in der Gesundheitsversorgung älterer Menschen.
Claudia Wiesemann war unter anderem Mitglied und Stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrats und der Initiative Niedersächsischer Ethikrat. Sie hat die Politik bei Entscheidungen beraten, etwa bei der Reform des Organspenderechts, und bringt ihr interdisziplinäres Wissen in aktuellen gesellschaftlichen Debatten ein. Seit 2021 gehört sie der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina als Mitglied an.
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