Aus den Kliniken

Chirurgische Patientenversorgung in Pandemien und anderen Extremsituationen

21.11.2022 - Das internationale Forschungsnetzwerk COVIDSurg entwickelte ein Instrument, um die Widerstandsfähigkeit von Krankenhäusern während Extremsituationen zu bemessen und die chirurgische Versorgungssicherheit zu verbessern. In Sachsen-Anhalt beteiligte sich die Universitätsmedizin Halle in der Anwendung und Studienvalidierung.

Verschobene Operationen, lange Wartelisten: Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie empfindlich die chirurgische Versorgungslage weltweit sein kann. Das internationale Forschungsnetzwerk COVIDSurg entwickelte deshalb ein Instrument, um die Widerstandsfähigkeit von Krankenhäusern während Pandemien, Naturkatastrophen und anderen Extremsituationen zu bemessen. In Sachsen-Anhalt beteiligte sich die Universitätsmedizin Halle in der Anwendung und Studienvalidierung. Durch das Verfahren könnte die Anzahl der verschobenen chirurgischen Eingriffe zukünftig deutlich verringert werden. Die Arbeit des Forschungsnetzwerks wurde jüngst in der renommierten Wissenschaftszeitschrift „The Lancet“ veröffentlicht.

Um zukünftig besser auf Extremsituationen vorbereitet zu sein, entwickelte das internationale Forschungsnetzwerk COVIDSurg den „Chirurgischen Bereitschaftsindex“ (Surgical Preparedness Index; SPI). Insgesamt wurden 23 Kriterien ausgearbeitet, die zur Widerstandsfähigkeit von Krankenhäusern beitragen. Dazu zählen unter anderem Ausstattung und Infrastruktur, Personalmanagement sowie Handlungsabläufe im Rahmen geplanter Operationen. Je höher der errechnete Index ist, desto besser ist ein Krankenhaus auf Herausforderungen in Extremsituationen vorbereitet. „Die COVID-19-Pandemie wurde als exemplarische Stresssituation für die internationale Studie herangezogen“, erklärt Prof. Dr. Jörg Kleeff, Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Viszerale, Gefäß- und Endokrine Chirurgie an der Universitätsmedizin Halle. Es geht aber auch um andere Extremsituationen, wie Naturkatastrophen, Krieg oder Hitzewellen. „Oberstes Ziel muss es sein, Krankenhäuser so widerstandsfähig zu machen, dass möglichst wenige Operationen verschoben werden müssen und die Patienten weiterhin adäquat versorgt und vor gesundheitlichen Nachteilen bewahrt werden“, so Kleeff.

Prof. Dr. Thomas Moesta, Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Halle (Saale), erklärt: „Deshalb haben wir ein Konzept für OP-Priorisierung und persönliche Infektionsschutzmaßnahmen entwickelt, zusätzliche persönliche Schutzausrüstung angeschafft sowie weitere Maßnahmen für die Versorgungssicherheit in Extremsituationen eingerichtet.“ Maximalversorger wie das Universitätsklinikum in Halle sind in Krisenzeiten außerordentlich gefordert. „Während der Pandemie fand die Versorgung an unserem Klinikum unter besonders schwierigen Bedingungen statt. Wohlwissend, dass geplante Operationen teilweise verschoben werden mussten, waren dringende und unverzüglich erforderliche Operationen zu keinem Zeitpunkt betroffen.“

Die Studie zeigt, dass weltweit ein Großteil der Kliniken mit durchschnittlich 84,5 von 115 Punkten nicht ideal auf die Pandemie vorbereitet waren, was zu einem starken Rückgang der Anzahl chirurgischer Eingriffe führte. Die Universitätsmedizin Halle liegt aktuell mit 92 von 115 möglichen Punkten über dem 2021 ermittelten Durchschnitt einkommensstarker Länder. Um eine Validierung der Bewertungskriterien zu ermöglichen, berechnete das Forschungsnetzwerk das Verhältnis durchgeführter zu geplanter Operationen während der Pandemie: Im Durchschnitt konnten weltweit etwa 20 Prozent der planbaren Eingriffe nicht wie vorgesehen durchgeführt werden - Notfalloperationen sind hiermit nicht gemeint. Das Verhältnis war zudem linear vom Indexwert abhängig. Kurzgesagt: Krankenhäuser mit hoher Punktzahl verschieben in Extremsituationen statistisch gesehen weniger Operationen.

An der Studie beteiligten sich Krankenhäuser aus insgesamt 119 Ländern. Prof Dr. Ulrich Ronellenfitsch, lokaler Studienkoordinator und Oberarzt an der Universitätsklinik und Poliklinik für Viszerale, Gefäß- und Endokrine Chirurgie der Universitätsmedizin Halle, fasst zusammen: „Diese Studie zeigt erneut die enorme Wichtigkeit internationaler Forschungskooperationen, die während der COVID-19-Pandemie etabliert wurden. Diese Kooperationen werden auch nach der Pandemie weitergeführt, um weltweit wichtige Fragen zur chirurgischen Patientenversorgung zu beantworten und die Strukturen und Widerstandsfähigkeit von Krankenhäusern kontinuierlich zu verbessern.“

Über das Forschungsnetzwerk COVIDSurg

Die COVIDSurg Collaborative ist ein Forschungsnetzwerk, das die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die chirurgische Versorgung untersucht. Am Netzwerk sind über 15.000 Ärzte sowie Forscher aus über 100 Ländern der Welt beteiligt. COVIDSurg hat verschiedene große Beobachtungsstudien zur chirurgischen Versorgung und Risiken im Zusammenhang mit COVID-19-Infektionen durchgeführt und chirurgische Vergleichsdaten und Qualitätsindikatoren erhoben. Dadurch soll sich die chirurgische Versorgung weltweit verbessern. Bislang resultierten aus der Kollaboration bereits fast 20 gemeinsame Originalarbeiten. Das Konsortium soll auch über die Pandemie hinaus fortgeführt werden und relevante Fragen der chirurgischen Versorgungsforschung weltweit adressieren.

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