Atemwegsinfektionen bei Kindern: Weniger Antibiotika, mehr Phytopharmaka
12.01.2024 - In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Verordnungen von Antibiotika in der Kinderheilkunde stark zurückgegangen. Gleichzeitig haben Kinderärzte mehr Phytopharmaka verschrieben. Das zeigen Prof. Karel Kostev, Leiter der Epidemiologie von IQVIA Frankfurt, und Kollegen. Sie haben Daten aus Kinderarztpraxen analysiert.
Viele Infektionen bei Kindern werden durch Viren ausgelöst, gegen die Antibiotika wirkungslos sind. Verschreiben Kinderärzte dennoch Antibiotika, träg das zur weiteren Verbreitung von Resistenzen der Infektionserreger bei. Außerdem können je nach Medikament unterschiedliche Nebenwirkungen auftreten. Soweit – so bekannt.
Daher stellt sich die Frage, ob Awareness-Kampagnen über den verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika wirklich gelungen sind. Schafften sie es, Ärzte für die Problematik zu sensibilisieren? Das war bislang im Bereich der pädiatrischen Antibiotikaverordnungen unklar; methodisch hochwertige Daten zur Verschreibung von Antibiotika oder Phytopharmaka bei akuten Infektionen der oberen (Upper Respiratory Infection, URI) bzw. der unteren Atemwege (Lower Respiratory Infection, LRI) bei Kindern und Jugendlichen gab es nicht.
Deshalb haben Kostev und Kollegen anhand der Disease Analyzer Datenbank von IQVIA Veränderungen in der Verschreibung von Antibiotika und Phytopharmaka untersucht. Ihre retrospektive Datenstudie umfasste Kinder im Alter von zwei bis zwölf Jahren, bei denen in den Jahren 2013, 2018 oder 2022 in einer von 180 pädiatrischen Praxen akute URIs oder LRIs diagnostiziert wurden. Zu den URIs gehören Nasopharyngitis, Sinusitis, Pharyngitis, Tonsillitis, Laryngitis und Tracheitis sowie Infektionen der oberen Atemwege. LRIs entsprachen einer Bronchitis-Erkrankung.
Der Trend: Weniger Antibiotika, mehr Phytopharmaka
Ein Blick auf die Ergebnisse: Im Jahr 2013 haben Ärzte bei insgesamt 120.894 Kindern akute URIs oder LRIs diagnostiziert, verglichen mit 116.844 im Jahr 2018 und 127.821 im Jahr 2022. Die Prävalenz der Antibiotikaverschreibung nahm zwischen 2013 und 2022 für alle Diagnosen ab. Dieser Rückgang war sowohl für 2013 bis 2018 als auch für 2018 bis 2022 für Nasopharyngitis, Pharyngitis und Bronchitis statistisch signifikant (Abb. 1).
Abb.1: Anteil der Kinder mit akuten Antwesginfekten, die in den Jahren 2013, 2018 und 2022 in Deutschland Antibiotika verschrieben bekamen. Quelle: Disease Analyzer
Gleichzeitig stieg der Einsatz von Phytopharmaka für alle Diagnosen zwischen 2013 und 2018 signifikant an. Die Prävalenz der Verschreibung von Phytopharmaka ging zwischen 2018 und 2022 zwar leicht zurück, aber dieser Effekt war statistisch nicht signifikant (Abb. 2).
Abb.2: Anteil der Kinder mit akuten Antwesginfekten, die in den Jahren 2013, 2018 und 2022 in Deutschland Antibiotika verschrieben bekamen. Quelle: Disease Analyzer
„Unsere Studie zeigt, dass die Verschreibung von Antibiotika bei Kindern mit akuten URIs und LRIs in Deutschland im letzten Jahrzehnt abgenommen hat“, interpretiert Prof. Kostev die Daten. „Zeitgleich haben Ärzte mehr Phytopharmaka verordnet.“
Die Forscher wollen jetzt anhand weiterer Daten herausfinden, ob dieses Ergebnis auch für andere Patientengruppen, etwa Erwachsene, gilt.
Originalpublikation:
Karel Kostev, Louisa van den Boom, Christian Tanislav, Louis Jacob: Changes in the Prescription of Antibiotics and Phytopharmaceuticals in Children Treated for Acute Upper and Lower Respiratory Tract Infections in Pediatric Practices in Germany in 2013, 2018, and 2022. Antibiotics (Basel) 2023 Sep 28;12(10):1491. doi: 10.3390/antibiotics12101491. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37887192/