UKJ-Neurochirurgin rettet mit Hirn-Bypass einem Mann nach schwerem Schlaganfall das Leben
16.08.2024 - Es ist wie das Spinnen mit seidenen Fäden – und das an der Steuerzentrale des Menschen, dem Gehirn. So ungefähr kann man sich eine Bypass-Operation am Gehirn vorstellen. Ein seltener, komplexer mikro-chirurgischer Eingriff, den nur wenige Neurochirurgen deutschlandweit beherrschen.
Eine davon ist Privatdozentin Dr. Nazife Dinc, Leitende Oberärztin an der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Jena (UKJ). Ihr ist es gelungen, einen solchen Hirn-Bypass bei einem Patienten nach schwerem Schlaganfall erfolgreich durchzuführen. Eine Premiere, denn normalerweise erfordert dieser Eingriff eine langfristige Vorbereitung und wird an Patientinnen und Patienten mit chronischen Gefäßverschlüssen durchgeführt. Bei dem 61-jährigen Mann aus Südthüringen war jedoch Eile geboten. Bei ihm war der akute Gefäßverschluss – die Ursache des Schlaganfalls – so massiv, dass er mit den üblichen zur Verfügung stehenden Mitteln nicht behoben werden konnte. Ein Schlaganfall der kompletten Großhirnhälfte drohte. Um dem Mann eine Chance nicht nur auf ein Leben, sondern auch eines ohne große Einschränkungen wie dauerhafte Lähmungen zu geben, entschieden sich die Spezialisten Dinc und Dr. Albrecht Günther, Oberarzt in der Klinik für Neurologie, gemeinsam als neurovaskuläres Team des UKJ für einen Hirn-Bypass. Mit Erfolg.
Aber was genau ist ein Hirn-Bypass? Die meisten haben schon von Bypass-Operationen am Herzen gehört. Nach schweren Herzinfarkten gehören sie zum Standard. Die Bypässe dienen hier sozusagen als Ersatzleitungen für verstopfte oder verengte Gefäße. Sie umgehen die Engstelle, um das betroffene Organ weiterhin ausreichend mit Blut und damit Sauerstoff zu versorgen. Ganz ähnlich funktioniert das auch bei einem Hirn-Bypass. „Allerdings sind die Gefäße hier nur 0,7 bis 1,5 Millimeter dünn und teilweise mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen“, erklärt PD Nazife Dinc. „Wir arbeiten hier mit dem Mikroskop.“ Und: „Wir stellen bei dem Eingriff sozusagen eine Kurzschlussverbindung her. In der Fachsprache nennt sich das ECIC-Bypass, eine Verbindung zwischen einem extrakraniellen Gefäß, also einem Gefäß außerhalb des Schädels, und einem intrakraniellen Gefäß, also innerhalb des Schädels“, so Dinc weiter. Vier Stunden dauert so eine Operation in der Regel.
Auch bei dem 61-Jährigen dauerte der Eingriff insgesamt fast vier Stunden. Das Besondere an seinem Fall war zum einen die Ursache für den Hirn-Bypass. Denn für schwere akute Schlaganfälle gibt es keine Blaupause für einen Hirn-Bypass. „Wir konnten also nicht sagen, wie es sein wird, aber nichts zu tun war auch keine Option“, beschreibt es Nazife Dinc. Mindestens genauso besonders war der Zeitdruck. „Normalerweise erfordert ein Hirn-Bypass eine gründliche Planung und Vorbereitung.“ Dazu gehören verschiedene bildgebende Untersuchungen wie Ultraschall, MRT, Angiographie, aber auch neuropsychologische Testungen zu Gedächtnis und Konzentrationsfähigkeit. Und in der Regel habe sie auch genau diese Zeit dafür. Die Patientinnen und Patienten, die dafür infrage kommen, überweisen die Kolleginnen und Kollegen der Neurologie. Einigermaßen etabliert ist der Hirn-Bypass zum Beispiel bei Patientinnen und Patienten mit der sogenannten Moyamoya-Krankheit, einer seltenen Erkrankung der Hirngefäße, die bei Betroffenen zu vermehrten Schlaganfällen führt. Dennoch sind Hirn-Bypässe insgesamt selten. Obwohl der Eingriff sehr wirkungsvoll ist, können ihn nur wenige, neben der Neurochirurgie am UKJ, unter anderem die Charité und das Universitätsklinikum Tübingen. Auch Nazife Dinc hat lange trainiert, um das Verfahren zu beherrschen, unter anderem während eines mehrmonatigen Aufenthalts in Chicago. In Jena kann sie für ihren Spezialeingriff auf ein festes neurovaskuläres Team und OP-Team zurückgreifen, mit dem sie alle wichtigen Schritte vorher plant und durchgeht.
Alles anders war bei dem Fall des 61-jährigen Patienten. Nicht nur war die gesamte Operation kurzfristig nötig, auch ihr übliches OP-Team war in der Kürze der Zeit nicht zur Stelle. „Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen bedanken, die während des Eingriffs vor Ort waren, seien es die Kolleginnen und Kollegen der Anästhesie, der OP-Pflege oder der Neurointensivstation. Alle haben ihr absolut Bestes gegeben und das hat letztlich auch zu dem erfolgreichen Ergebnis geführt“, betont Nazife Dinc. Denn: Auch wenn der Patient sich selbst nicht in der Öffentlichkeit zeigen möchte, hat er schon merkliche Fortschritte gemacht und befindet sich nach dem komplexen Eingriff auf einem guten Weg. Die Lähmungen, die er vor dem Eingriff hatte, sind inzwischen fast vollständig gebessert, so dass er seinen linken Arm und das linke Bein wieder vollständig bewegen kann und ein eigenständiges Leben wiedererlangt hat. Dank des Mutes von Nazife Dinc und ihrem Team, etwas Außergewöhnliches durchzuführen.