Gesundheitspolitik

UKSH-Studie: Wurden Organe ungerecht verteilt?

05.09.2024 - Neue Daten des Transplantationsregisters analysiert: Problematische Altersgrenzen bei 18 und 65 Jahren

Die anhaltende Knappheit an verfügbaren Organtransplantaten in Deutschland lenkt zunehmend die Aufmerksamkeit auf die gerechte Verteilung von Spenderorganen. Seit Jahrzehnten erfolgt die Organzuteilung nach weitestgehend unveränderten Verteilungsregeln (Allokationsregeln) der Eurotransplant International Foundation, deren konkrete Auswirkungen bislang noch nicht tiefgreifend analysiert wurden. Eine neue Studie unter der Federführung der Klinik für Innere Medizin IV mit den Schwerpunkten Nieren- und Hochdruckkrankheiten des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, hat nun erstmals die praktischen Auswirkungen dieser Regelungen untersucht. Die Ergebnisse der Studie „Allokationsregeln und altersabhängige Wartezeit bei Nierentransplantationen – Eine Analyse aus dem nationalen Transplantationsregister“ wurden heute im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht.

Priv.-Doz. Dr. Kevin Schulte, stellvertretender Klinikdirektor und Letztautor der Studie, erklärt: „Unsere Untersuchung zeigt, dass die im Regelwerk vorgesehenen Altersgrenzen erhebliche und zunehmend problematische Auswirkungen auf die Wartezeiten haben. Diese Ungleichheiten legen aus ethischer und rechtlicher Sicht nahe, das geltende Regelwerk zur Allokation von Nierentransplantaten zu überarbeiten und anzupassen.“

Dr. Benedikt Kolbrink, Erstautor der Studie und Arzt der Klinik für Innere Medizin IV, beschreibt die Folgen anhand eines Beispiels: „Zwei Jugendliche werden im Alter von 16 Jahren dialysepflichtig. Aufgrund des pädiatrischen Bonus und weiterer günstiger Umstände wird einer von ihnen bis zum 18. Lebensjahr transplantiert. Der andere erreicht sein 18. Lebensjahr, ohne bis dahin transplantiert worden zu sein. Die Konsequenz: Seine Zusatzpunkte verfallen komplett und die Wartezeit nimmt sprunghaft um fünf Jahre zu. Statistisch wird er also mehr als fünf Jahre später transplantiert als der andere Jugendliche.“

Die Analyse, die Datensätze von 19.664 Nierentransplantationen aus dem nationalen Transplantationsregister einbezog, ergab signifikante Unterschiede in den Wartezeiten und den Transplantationsraten zwischen verschiedenen Altersgruppen. Im aktuellen Regelwerk gibt es zwei Altersgrenzen, den 18. und den 65. Geburtstag, die einen erheblichen Einfluss auf die Wartezeit haben.

Im Durchschnitt beträgt die Wartezeit auf eine Niere zum Zeitpunkt der Transplantation 5,8 Jahre. Für Patienten unter 18 Jahren liegt die mediane Wartezeit bei 1,7 Jahren, während 18- bis 64-Jährige im Schnitt 7,0 Jahre warten müssen. Personen ab 65 Jahren erhalten im Median nach 3,8 Jahren eine Transplantation. Als Folge der aktuellen Regeln gibt es überproportional viele 65- und 66-jährige Organempfänger. 65-Jährige werden fast viermal häufiger transplantiert als 64-Jährige. Zudem konnten die Autoren nachweisen, dass die Differenz der Wartezeit zwischen Personen unter 65 Jahren und Personen über 65 Jahren weiter ansteigt: In den Jahren 2006 bis 2010 lag sie bei 2,6 Jahren, im Zeitraum 2017 bis 2020 bei 4,1 Jahren. Wachsende Ungleichheiten existieren ebenfalls an der Altersgrenze zum 18. Lebensjahr.

„Derartig sprunghafte Veränderungen sind medizinisch weder sinnvoll noch begründbar“, betont Dr. Schulte. Da das Transplantationsgesetz (TPG §12, Abs. 3) vorgibt, dass die geltenden Allokationsregeln bei der Organvergabe vordringlich die Aspekte Dringlichkeit und Erfolgsaussicht berücksichtigen müssen, werfen die erhobenen Daten die Frage auf, ob das geltende Regelwerk den Vorgaben des Gesetzgebers gerecht wird. „Unsere Analyse hat ethische und rechtliche Implikationen: Aus ethischer Sicht muss das Regelwerk die individuelle Chancengerechtigkeit der Wartenden und den gesellschaftlichen Nutzen der verfügbaren Organe austarieren. Scharfe Altersgrenzen und sich sprunghaft verändernde Wartezeiten werden nach unserem Verständnis weder dem einen, noch dem anderen gerecht“, so Schulte.

Prof. Dr. Roland Schmitt, Direktor der Klinik für Innere Medizin IV, unterstreicht die Relevanz der Studie für künftige Reformen: „Um für die angespannte deutsche Transplantationsmedizin den besten Weg in die Zukunft zu finden, ist eine transparente und gerechte Verteilung der verfügbaren Nierenorgane ein zentraler Punkt. Die Ergebnisse der Studie bieten wertvolle Impulse für eine Neubewertung der Allokationsregeln und fordern eine kritische Auseinandersetzung mit dem bestehenden Verfahren.“

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