Herzbericht: Sterbefälle wegen Herzkrankheiten steigen
11.09.2024 - Alle Herzkrankheiten verzeichnen – teilweise leichte – Anstiege. Regionale Unterschiede in Sterblichkeit bei Herzinfarkt und anderen Herzleiden bestehen fort. Herzstiftung mahnt „mehr Resilienz“ der medizinischen Versorgung in Krisenphasen an.
Nach einer Phase leichter Rückläufigkeit, steigt die Sterblichkeit durch Herzkrankheiten wieder an. Nach den Zahlen des aktuellen Deutschen Herzberichts – Update 2024 starben im Jahr 2022 insgesamt 216.944 Menschen an den Folgen einer Herzkrankheit (2021: 205.581). Die Sterberate lag damit bei 224,2 an einer Herzkrankheit Gestorbenen pro 100.000 Einwohner (2021: 215,2). Die Herzkrankheit mit den meisten Sterbefällen sind weiterhin Durchblutungsstörungen durch Herzkranzgefäßverengungen, die koronare Herzkrankheit (KHK), mit 125.984 Sterbefällen (2021: 121.172) – davon am akuten Herzinfarkt 46.608 Sterbefälle – und einer Sterberate von 133,3 an KHK-Gestorbenen pro 100.000 Einwohner (EW) (2021: 129,7) (Herzinfarkt 2022: 49 Gestorbene pro 100.000 EW). „Diese Anstiege gegenüber dem Vorjahr bedürfen der genaueren Analyse, sie stellen jedoch in der Gesamtschau noch keine Trendwende dar. Ganz klar muss allerdings das Ziel aller für die herzmedizinische Versorgung verantwortlichen Institutionen sein, die Sterblichkeit durch Verbesserungen in Prävention, Therapie und Rehabilitation von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu senken“, betont der Kardiologe Prof. Dr. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender Deutschen Herzstiftung, bei der Vorstellung des neuen Deutschen Herzberichts – Update 2024.
Besonders fällt bei den Anstiegen die erhöhte Todesrate der Herzschwäche (Herzinsuffizienz) ins Auge. „Bei der Sterblichkeit der Herzschwäche könnte sich nach mehreren Jahren der Rückläufigkeit eine Trendwende abzeichnen, die wir genauer beobachten müssen“, so Voigtländer. Erstmalig steigt nämlich die Sterberate der Herzschwäche nach einer Phase der kontinuierlichen Abnahme von 2015 (51,9 Gestorbene pro 100.000 EW) bis 2021 (auf 35,8) wieder an auf 37,7 Gestorbene pro 100.000 EW. Die chronische Herzschwäche ist in den meisten Fällen das Endstadium von verschiedenen anderen Herzkrankheiten wie KHK/Herzinfarkt, Herzklappenerkrankungen, Herzrhythmusstörungen und angeborenen Herzfehlern. Zugleich stellt diese Volkskrankheit die häufigste Einzeldiagnose für vollstationäre Krankenhausaufnahmen mit 446.814 vollstationären Fällen (2022) dar. Nicht umsonst hat die Deutsche Herzstiftung den Fokus ihrer Bemühungen um eine verstärkte Patientenaufklärung und intensive Herz-Forschung auf die Herzinsuffizienz mit den bundesweiten Herzwochen im November beziehungsweise einer umfangreichen Sonderforschungsförderung „Herzinsuffizienz“ in Höhe von einer Million Euro gesetzt.
Zusätzliche Krankheitslast durch Bluthochdruck und hohes Cholesterin
Die koronare Herzkrankheit, die Grunderkrankung des Herzinfarkts, und die Herzschwäche sind immer noch die häufigsten Todesursachen und maßgeblich für den Plötzlichen Herztod verantwortlich. Beide Herzkrankheiten gehen in aller Regel mit Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Diabetes mellitus, Vorhofflimmern und Vorhofflattern, aber auch chronischer Nierenschwäche einher. Dies dokumentiert der aktuelle Herzbericht anhand von Zahlen aus der stationären und hausärztlichen Versorgung. „Die konsequente Behandlung von Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen durch zu viel LDL-Cholesterin im Blut mit gesundem Lebensstil und Medikamenten ist der entscheidende Hebel zum Eindämmen der KHK und Herzschwäche“, betont der Herzstiftungs-Vorsitzende Prof. Voigtländer. Hoher Blutdruck ist laut Herzbericht sowohl in der hausärztlichen als auch in der stationären Versorgung die häufigste Begleitdiagnose von Herzinsuffizienz (hausärztlich: 74,2/stationär: 74,6 Prozent) und von KHK (hausärztlich: 74,1/stationär: 75,3 Prozent), gefolgt von Fettstoffwechselstörungen, Diabetes und Vorhofflimmern/Vorhofflattern. „All diese Begleiterkrankungen sind mit einem hohen Schadenspotenzial für Herz und Gefäße durch die Gefahr von Schlaganfällen und Herzinfarkten verbunden – besonders dann, wenn sie unbehandelt bleiben“, betont Voigtländer.
Auch Herzkrankheiten früh erkennen, bevor es zum Eingriff kommt
In der Summe sind auch die vollstationären Krankenhausaufnahmen wegen Herzkrankheiten 2022 leicht angestiegen. In absoluten Zahlen von 1.560.441 (2021) Krankenhausaufnahmen auf 1.574.352 im Jahr 2022. „Die vollstationären Krankenhausaufnahmen bewegen sich weiterhin auf einem hohen Niveau, allen voran bei der KHK, den Herzrhythmusstörungen und der Herzinsuffizienz, die zusammengenommen rund 1,4 Millionen vollstationäre Fälle ausmachen“, betont Prof. Voigtländer. Allein die KHK führte 2022 zu 538.277 Krankenhausaufnahmen, Herzrhythmusstörungen zu 460.962 Klinikeinweisungen. Bei Männern setzt der Anstieg der Krankenhausaufnahmen wegen KHK früh ein: mit dem 45. bis 50. Lebensjahr. Bei den Herzrhythmusstörungen setzt ein Anstieg ab dem 50. bis 55. Lebensjahr ein. „Umso wichtiger ist eine frühzeitige Erkennung und Behandlung dieser Herzkrankheiten, bevor es zur Notwendigkeit von Eingriffen kommt“, so Herzspezialist Prof. Voigtländer. „Dank wesentlicher Weiterentwicklungen in der Herz-Diagnostik durch neue bildgebende Verfahren wie beispielsweise dem Kardio-MRT und der nicht-invasiven Koronaren CT-Angiographie, kurz: CCTA, haben wir sehr zuverlässige Verfahren für eine bessere Versorgung von Menschen mit einer KHK und einem Risko für Herzinfarkt und plötzlichen Herztod“, berichtet der Ärztliche Direktor des Agaplesion Bethanien-Krankenhauses in Frankfurt am Main. Kardio-MRT und die CCTA, die 2024 nach einem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) in den Leistungskatalog der gesetzlichen Kassen aufgenommen wurde, können Veränderungen der Herzkranzgefäße (Plaques, Verengungen) und deren Auswirkung auf die Durchblutung des Herzmuskels frühzeitig erfassen. „Dadurch reduzieren wir invasive Herzkatheterdiagnostik und stationäre Aufenthalte“, erklärt Voigtländer.
Pandemiejahr 2022: Stationäre Versorgung rückläufig – „Resilienz der medizinischen Versorgung im Fokus behalten“
Die bereits für die Pandemiejahre 2020 und 2021 dokumentierte Covid-19-bedingte Rückläufigkeit in der kardiologischen und herzchirurgischen Versorgung von Erwachsenen und Kindern, insbesondere bei den sogenannten elektiven, d. h. planbaren Eingriffen und in der kardiologischen Reha, setzte sich 2022 fort. Von 2018 zu 2022 kam es teilweise zu einer moderaten, aber teilweise auch zu einer deutlichen Abnahme bei herzchirurgischen und kardiologischen Eingriffen wie Koronarangiographien (-4,1 Prozent), PCIs (Herzgefäßaufdehnung durch Stent/Ballon) (-1 Prozent), Schrittmacher-/ICD-Implantationen (-3/-15,7 Prozent) beziehungsweise isolierten Koronaroperationen (-25,9 Prozent). „Diese rückläufigen Zahlen lassen darauf schließen, dass auch noch in 2022 Patienten entweder aus Angst vor einer Infektion einen Krankenhausaufenthalt vermieden oder umgekehrt Kliniken ihre Aufnahmen zweitweise auf Notfälle beschränkt haben und selbst für diese nicht immer ausreichende Kapazitäten vorhalten konnten. Welche Effekte diese vermeintliche Nichtinanspruchnahme der Krankenhausversorgung auf kardiovaskuläre Sterblichkeit haben wird, bedarf der Analysen“, so der Herzstiftungs-Vorsitzende und Kardiologe Voigtländer. „Für die Zukunft muss auch die Resilienz der herzmedizinischen Versorgung in Ausnahmesituationen wie der Covid-Pandemie im Fokus der Herzmedizin bleiben“, so sein Fazit.
Ungenutztes Therapie- und Innovationspotenzial?
Dass die Sterblichkeit bei KHK/Herzinfarkt und Herzschwäche in den vergangenen Jahrzehnten gesunken ist, hingegen die Zahlen der Patienten mit Herzinsuffizienz und damit verbunden auch die vollstationären Krankenhausaufnahmen kontinuierlich steigen, führen Experten unter anderem auf verbesserte medikamentöse, interventionelle und chirurgische Therapien zurück. „Auch dank dieser Verfahren können Menschen mit ihren zwar behandelten, aber chronisch bleibenden Rhythmusstörungen, Klappen- und Koronarerkrankungen sowie angeborenen Herzfehlern eine bessere Prognose erhalten, so dass ihnen eine Herzschwäche erspart oder zumindest um Jahre hinausgezögert werden kann“, erklärt Prof. Voigtländer. Zu nennen seien hier vor allem:
- Akutversorgung des Akuten Koronarsyndroms (ACS) (Herzinfarkt, instabile Angina pectoris) mittels PCI (Gefäßaufdehnung durch Stent/Ballon); bei bestimmten komplexen Mehrgefäßerkrankungen und komplexen Stenosen des linken Hauptstamms die koronare Bypassoperation
- kathetergestützter Aortenklappenersatz (TAVI) oder operativ zur Behandlung der Aortenklappenstenose
- kathetergestützte/chirurgische Therapie der Mitralklappeninsuffizienz
- katheterbasierte Vorhofflimmer-Ablation – seltener auch chirurgisch als kombinierter Eingriff mit anderen herzchirurgischen Eingriffen
- Schrittmacher- und Defibrillator-(ICD)-Therapien zur Prävention lebensgefährlicher Herzrhythmusstörungen nach einem großen Herzinfarkt, bei Herzmuskelerkrankungen (Kardiomyopathien, Myokarditis)
„All diese Verfahren verbessern die Durchblutung des Herzmuskels, stabilisieren diesen oder verhindern wie im Fall der Stenttherapie oder Bypass-Chirurgie Todesfälle. Bei Nicht-Behandlung erhöhen sie die Gefahr für Herzinsuffizienz und Komplikationen wie Herzinfarkt, plötzlicher Herztod oder Schlaganfall wie im Fall des Vorhofflimmerns“, betont Voigtländer. Es müsse aber in Deutschland gewährleistet sein, dass auch außerhalb der Ballungsgebiete herzkranke Menschen Zugang zu Kliniken mit einer entsprechenden kardiologischen Ausstattung hätten, so Voigtländer. Etwa zu den Chest-Pain-Units (CPU), ausgestattet mit einem Katheterlabor bei einer 24/7-Erreichbarkeit. CPUs sind eine wichtige Notfall-Einheit in der Versorgung schwerwiegender Erkrankungen wie dem ACS, aber auch anderer lebensbedrohlicher kardialer Ereignisse wie Lungenembolie, dekompensierte Herzschwäche oder krisenhaft erhöhten Bluthochdruckwerten.
Regionale Unterschiede in der Versorgung von Herzpatienten bestehen fort
Die in Deutschland weiterhin unterschiedliche Versorgungsdichte mit Kliniken, die ein Katheterlabor oder eine CPU vorhalten, hat zur Folge, dass in Regionen mit einer niedrigeren Versorgungsdichte behandlungsbedürftige Erkrankungen zu spät oder schlimmstenfalls gar nicht behandelt werden. „Rund 47.000 Herzinfarkte pro Jahr und 65.000 plötzliche Herztodesfälle, darunter eine Vielzahl aufgrund unentdeckter und nicht oder zu spät behandelter Herzkrankheiten, sind das beste Beispiel dafür“, so der Frankfurter Kardiologe und Intensivmediziner. So bestehen auch heute regionale Unterschiede in der Verbreitung beispielsweise von Kinderherzzentren, EMAH-Ambulanzen und überregionaler EMAH-Zentren, ebenso in der Verbreitung von CPUs und in der Kardiologendichte. Kommen beispielsweise in Hamburg auf einen Kardiologen 12.872 Einwohner, sind es im Saarland 49.633 Einwohner pro Kardiologe.
Regionale Unterschiede zeigen sich darüber hinaus in der Sterblichkeit und den Krankenhausaufnahmen wegen Herzkrankheiten, wie der aktuelle Deutsche Herzbericht dokumentiert. Östliche Bundesländer haben weiterhin die höchste Sterblichkeit durch KHK und Herzinfarkt. So haben 2022 die höchste Sterbeziffer (altersbereinigt) Sachsen-Anhalt mit 181 KHK- und 65 Herzinfarkt-Sterbefällen pro 100.000 EW, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern mit 180 KHK- und 68 Herzinfarkt-Gestorbenen und Sachsen mit 157 KHK- und 56 Herzinfarkt-Gestorbenen pro 100.000 EW. Am niedrigsten sind die Sterbeziffern für KHK und Herzinfarkt in Hamburg (KHK: 91/Herzinfarkt: 34), Nordrhein-Westfalen (111/33) und in Baden-Württemberg (121/50).
Bei der Herzinsuffizienz sind die höchsten Sterbeziffern in Sachsen-Anhalt mit 53 und Thüringen mit 50 Gestorbenen pro 100.000 EW, in Niedersachsen mit 48 und in Bremen 43 mit Gestorbenen pro 100.000 EW. „Die genauen Ursachen für diese teils ausgeprägten regionalen Gefälle bedürfen der Analyse. Mögliche Einflussfaktoren neben Alter und Geschlecht, die berücksichtigt werden müssen, sind Raucheranteil, Erwerbsstatus, Arbeitslosenquote und die Häufigkeit von Begleiterkrankungen“, so Voigtländer.
Effekte von Präventionsprogrammen im Kindesalter nutzen
Die Diskussion um das Gesunde-Herz-Gesetz hat die öffentliche Aufmerksamkeit insbesondere auf Defizite in den Präventionsbemühungen Deutschlands zur Vermeidung von kardiovaskulären Erkrankungen gelenkt. Zwar haben neben Fortschritten in Diagnostik, Therapie und nicht zuletzt auch verstärkte Präventionsaktivitäten – insbesondere gegen die Risikofaktoren Rauchen, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen (hohes LDL-Cholesterin), Diabetes mellitus, Übergewicht sowie psychosozialer Stress – zur Senkung der Herz-Kreislauf-Sterblichkeit durch die KHK und Herzinsuffizienz in den vergangenen Jahrzehnten gesorgt. Allerdings zeigen Studiendaten (1) auch, dass Deutschland bei der durchschnittlichen Lebenserwartung im Vergleich mit anderen westeuropäischen Ländern weit hinten steht. Die Gründe hierfür sehen die Studienautoren u.a. in Defiziten bei der Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Neben Alter und Genetik sind durch einen ungesunden Lebensstil verursachte Risikofaktoren wesentlich am Entstehen von KHK und anderen Herzkrankheiten wie Herzschwäche beteiligt. „Wir müssen für eine Verbesserung der Herzgesundheit in der Bevölkerung neben bestehenden Instrumenten der medizinischen Therapie, Screenings und Vorsorge-Check-Ups verstärkt die Effekte von frühzeitigen Präventionsprogrammen im Kindesalter für mehr Bewegung, gesunde Ernährung und Wissen über die Herzgesundheit nutzen“, fordert der Vorsitzende der Deutschen Herzstiftung.
Der Deutsche Herzbericht – Update 2024 wird von der Deutschen Herzstiftung zusammen mit den wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften für Kardiologie (DGK), für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG), für Kinderkardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK) und für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR) alljährlich herausgegeben.
Quellen/Literatur: (1) Jasilionis D et al. (2023), European Heart Journal of Epidemiology 38(8): 839-850).
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