ERC Synergy Grant für ClonEScape: Der Entstehung von Tumoren auf der Spur
06.11.2024 - Wie entstehen Tumore und warum können sie sich verbreiten? Mit welchen Strategien umgehen die mutierten Zellen die Schutzmechanismen, vermehren sich und führen zu einer Krebserkrankung?
Ein Forscherverbund aus Großbritannien, Südkorea und Dresden will dem Ursprung der klonalen Pathogenese mit dem Projekt „ClonEScape“ auf den Grund gehen. Die Erkenntnisse sollen neue Ansätze zur Prävention, Erkennung und Behandlung von Krebs liefern. Dafür erhalten Prof. Benjamin Simons, Dr. Maria Alcolea (beide University of Cambridge), Dr. Bon-Kyoung Koo (Institute for Basic Science) und Prof. Daniel Stange (TU Dresden) den ERC Synergy Grant verbunden mit einer Förderung in Höhe knapp 10 Millionen Euro.
Epithelgewebe bedeckt alle inneren und äußeren Körperoberflächen – die Haut besteht genauso aus Epithelzellen wie die Schleimhäute des Magen-Darm-Trakts. Sie spielen eine zentrale Rolle beim Schutz vor äußeren Einflüssen und müssen sich ständig erneuern, um Schädigungen zu reparieren. Tumore entstehen in der Regel durch einen Prozess, der mit einer sogenannten Feldkanzerisierung beginnt, d.h. mutierte Krebszellen vermehren sich durch Teilung und schließen sich wiederum zu kleineren Ansammlungen, den Tumorzellklonen, innerhalb von normal aussehendem Gewebe zusammen. Damit sie sich nicht ausbreiten können, haben Epithelgewebe Schutzmechanismen entwickelt, die das Wachstum dieser Klone hemmen. Gleichzeitig müssen sie jedoch notwendige Regenerationen zulassen. Dies scheinen die frühen Tumorzellklone als Schlupfloch zu nutzen. Überwinden die initialen Tumorzellklone diese Schutzbarrieren, entsteht mit der Zeit ein bösartiger Tumor.
Wie genau die Schutzmechanismen ausgehebelt werden und die Tumorzellen sich sodann ungebremst vermehren und verbreiten, ist die zentrale Frage der internationalen Forschungsgruppe „ClonEScape“. Ihr Fokus liegt auf den Epithelien des Magen-Darm-Trakts und darauf, wie Verletzungen, Entzündungen und Alterung den Krebszellen „helfen“, sich den natürlichen Schutzmechanismen zu entziehen.
„In den kommenden sechs Jahren will die Forschungsgruppe ein besseres Verständnis der zellulären und molekularen Mechanismen erlangen, die zur initialen Tumorentwicklung führen, sowie potenzielle präventive und therapeutische Ansätze entwickeln“, erläutert Prof. Daniel Stange, Arzt und Wissenschaftler am Universitätsklinikum Dresden sowie der Medizinischen Fakultät der TUD und des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT/UCC) Dresden.
Dieses Ziel wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch die Kombination verschiedener experimenteller Methoden mit mathematischen Modellen erreichen. Damit soll es gelingen, die Mechanismen zu entschlüsseln, die das Wachstum von mutierten Krebszellen in einer Umgebung von gesunden Zellen steuern. Hierbei kommen fortschrittliche Techniken wie genetisches Barcoding, Einzelzellgenomik und räumliche Transkriptomik zum Einsatz, um die Abstammung und Dynamik mutierter Klone zu verfolgen. Es sollen so diejenigen genetischen Programme identifiziert werden, die den Zellwettbewerb steuern und den mutierten Klonen die Überwindung von natürlichen Wachstumsgrenzen erlauben. Durch genetische Manipulation von 3D-Organoidkulturen mittels CRISPR/Cas9 und detaillierten somatischen SNV-basierten Abstammungsanalysen wollen die Wissenschaftler*innen auch in menschlichen Geweben erforschen, inwieweit diese Prinzipien zwischen Mensch und murinen Modellsystemen erhalten sind. Die Ergebnisse sollen neue therapeutische Ansätze zur Prävention und Früherkennung sowie Verhinderung von Tumorbildung auch durch altersbedingte Gewebeveränderungen liefern.
Zusammengefasst zielt die Studie darauf ab, die klonale Pathogenese von Tumoren in verschiedenen Geweben besser zu verstehen. Sie gliedert sich in drei komplementäre Ziele:
1. Dynamik von Tumorklonen verstehen: Die Ausbreitung von mutierten Tumorzellklonen wird quantifiziert, um zu analysieren, wie sie mit benachbarten „gesunden“ Zellklonen konkurrieren.
2. Einfluss von Alterung und Verletzungen: Es wird untersucht, wie Alterungsprozesse und Verletzungen die Konkurrenz zwischen Zellen beeinflussen und zur Krebsbildung beitragen können.
3. Übertragung auf menschliche Gewebe: Die Mechanismen der klonalen Pathogenese sollen zudem in menschlichen Geweben erforscht werden.
„Der ERC Synergy Grant gehört zu den wichtigsten Wissenschaftspreisen in Europa und wird nur an herausragende Forschungsvorhaben vergeben, die das Potenzial haben, echte Durchbrüche zu erzielen“, gratuliert Prof. Esther Troost, Dekanin der Medizinischen Fakultät der TU Dresden: „Mit ClonEScape wagen sich die Forscherinnen und Forscher an die Wurzeln der Krebsentstehung. Diese Auszeichnung unterstreicht nicht nur die Bedeutung dieses Vorhabens, sondern auch die Expertise in der Krebsforschung am Wissenschaftsstandort Dresden.“
Prof. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Dresdner Uniklinikums, ergänzt: „Wenn wir besser verstehen, wie und warum Tumore entstehen, können wir früher eingreifen, gezielter behandeln und die Heilungschancen für unsere Patientinnen und Patienten entscheidend verbessern. Wir sind stolz darauf, dass Dresden diese renommierte Förderung erlangen konnte."
Zur Person:
Prof. Dr. med. Dr. Daniel Stange studierte Medizin in Hamburg und Heidelberg und promovierte 2006 am Deutschen Krebsforschungszentrum. Nach seiner Approbation begann er seine Ausbildung zum Viszeralchirurgen an der Universität Heidelberg. Seine wissenschaftliche Weiterbildung, die er mit einem PhD abschloss, absolvierte Daniel Stange an der Universität Utrecht, Niederlande. Ende 2012 wechselte er nach Dresden, wo er mittlerweile als Erster Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden arbeitet. Er leitet das Chirurgische Forschungslabor der Medizinischen Fakultät der TU Dresden und führt am NCT/UCC Dresden die Preclinical Model Unit (PMU). Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen auf der translationalen Forschung zu Magen- und Kolonkarzinomen sowie der Molekularbiologie der intestinalen und gastralen Stammzelle.
Kontakt
Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Dresden
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