10.000-mal schneller als andere Methoden
11.12.2024 - Ein computergestütztes Framework entdeckt experimentelle Mikroskopietechniken und führt Optimierungen 10.000-mal schneller durch als etablierte Methoden.
Für menschliche Forscher ist es eine jahrelange Arbeit, neue superauflösende Mikroskopietechniken zu entdecken. Die Anzahl der möglichen optischen Konfigurationen eines Mikroskops – also die räumliche Anordnung von Linsen und Spiegeln – ist enorm. Forscher des Max-Planck-Instituts für die Physik des Lichts (MPL) haben ein Framework für künstliche Intelligenz (KI) entwickelt, das selbstständig neue experimentelle Designs in der Mikroskopie entdeckt. Das Framework namens XLuminA führt Optimierungen 10.000-mal schneller durch als etablierte Methoden. Die Arbeit wurde in ›Nature Communications‹ veröffentlicht.
Derzeit wird die optische Mikroskopie am häufigsten in den Biowissenschaften eingesetzt. Der Einfallsreichtum und die Kreativität menschlicher Forscher haben zur Entdeckung von superhochauflösenden Methoden geführt, die die klassische Beugungsgrenze des Lichts bei etwa 250 nm überwinden. Diese „Super-resolution“ (SR) Technologie ermöglicht es, die Organisation der kleinsten funktionellen Einheiten des zellulären Lebens aufzulösen. Die Entwicklung neuer Mikroskopietechniken beruht traditionell auf menschlicher Erfahrung, Intuition und Kreativität – ein anspruchsvoller Ansatz angesichts der Vielzahl möglicher experimenteller optischer Konfigurationen. Besteht beispielsweise ein optischer Aufbau aus nur zehn Elementen, die aus fünf verschiedenen Komponenten wie Spiegeln, Linsen oder Strahlteilern ausgewählt werden, gibt es bereits mehr als 100 Mio. einzigartige Konfigurationen. Die Komplexität dieses Raums lässt vermuten, dass viele leistungsstarke Techniken noch unentdeckt sind und die menschliche Intuition allein nicht ausreicht, um sie zu finden. Hier könnten KI-basierte Erkundungstechniken von enormem Nutzen sein, indem sie diesen Raum schnell und unvoreingenommen erkunden. „Experimente sind unsere Fenster zum Universum, im Kleinen wie im Großen. Angesichts der schier unermesslich großen Anzahl möglicher experimenteller Konfigurationen ist es fraglich, ob menschliche Forscher bereits alle außergewöhnlichen Anordnungen entdeckt haben. Genau hier kann künstliche Intelligenz helfen“, erklärt Mario Krenn, Forschungsgruppenleiter ›Labor für künstliche Wissenschaftler‹ am MPL.
Um diese Herausforderung anzugehen, schlossen sich Wissenschaftler des ›Labors für künstliche Wissenschaftler‹ mit Leonhard Möckl zusammen, einem Experten auf dem Gebiet der superhochauflösenden Mikroskopie und zum Zeitpunkt der Forschung Leiter der Forschungsgruppe ›Physikalische Glykowissenschaften‹ am MPL. Inzwischen hat er die Professur für ›Nanooptische Bildgebung‹ an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg angenommen. Gemeinsam entwickelten sie XLuminA, ein effizientes Open-Source-Framework zur Entdeckung neuer optischer Designprinzipien. Die Forscher nutzen seine Fähigkeiten mit besonderem Schwerpunkt auf der SR-Mikroskopie. XLuminA arbeitet als KI-gesteuerter optischer Simulator, der automatisch den gesamten Raum möglicher optischer Konfigurationen erkunden kann. Was XLuminA auszeichnet, ist seine Effizienz: Es nutzt fortschrittliche Rechenverfahren, um potenzielle Designs 10.000-mal schneller zu bewerten als herkömmliche Rechenverfahren. „XLuminA ist der erste Schritt, um KI-gestützte Entdeckungen und die superhochauflösende Mikroskopie zusammenzubringen. Die superhochauflösende Mikroskopie hat in den letzten Jahrzehnten revolutionäre Einblicke in grundlegende Prozesse der Zellbiologie ermöglicht – und ich bin überzeugt, dass XLuminA diese Erfolgsgeschichte beschleunigen und uns neue Designs mit beispiellosen Fähigkeiten bringen wird“, fügt Leonhard Möckl hinzu.
Eigenständiges Wiederentdecken grundlegender Mikroskopietechniken
Die Erstautorin der Arbeit, Carla Rodríguez, und die weiteren Teammitglieder bestätigen den Ansatz, indem sie zeigen, dass XLuminA drei grundlegende Mikroskopietechniken eigenständig wiederentdecken konnte. Ausgehend von einfachen optischen Konfigurationen entdeckte das Framework erfolgreich ein System zur Bildvergrößerung wieder. Die Forscher gingen dann komplexere Herausforderungen an und entdeckten erfolgreich die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete STED-Mikroskopie (Stimulated Emission Depletion) und eine Methode zur Erreichung von SR mithilfe optischer Wirbel wieder. Schließlich demonstrierten die Forscher die Fähigkeit von XLuminA, echte Entdeckungen zu machen. Sie beauftragten das Framework, das bestmögliche SR-Design unter Berücksichtigung der verfügbaren optischen Elemente zu finden. Das Framework entdeckte eigenständig einen Weg, die zugrunde liegenden physikalischen Prinzipien der oben genannten SR-Techniken (STED-Mikroskopie und die optische Wirbelmethode) in einem einzigen, bisher nicht berichteten experimentellen Design zu integrieren. Die Leistungsfähigkeit dieses Designs übertrifft die Fähigkeiten jeder einzelnen SR-Technik. „Als ich die ersten optischen Designs sah, die XLuminA entdeckt hatte, wusste ich, dass wir eine aufregende Idee erfolgreich in die Realität umgesetzt hatten. XLuminA ebnet den Weg für die Erkundung völlig neuer Gebiete in der Mikroskopie und erreicht eine beispiellose Geschwindigkeit bei automatisierten optischen Designs. Ich bin unglaublich stolz auf unsere Arbeit, vor allem wenn ich daran denke, wie XLuminA dazu beitragen könnte, unser Verständnis der Welt zu erweitern. Die Zukunft der automatisierten wissenschaftlichen Entdeckungen in der Optik ist wirklich aufregend!“, sagt Carla Rodríguez, die Hauptentwicklerin von XLuminA.
Der modulare Aufbau des Frameworks ermöglicht eine einfache Anpassung an verschiedene Arten von Mikroskopie- und Bildgebungsverfahren. Für die Zukunft plant das Team die Integration von nichtlinearen Wechselwirkungen, Lichtstreuung und Zeitinformation. Das ermöglicht die Simulation von Systemen wie iSCAT (interferometrische Streumikroskopie), strukturierte Beleuchtung, Lokalisationsmikroskopie und viele andere. Das Framework kann von anderen Forschungsgruppen genutzt und an ihre Bedürfnisse angepasst werden, was für interdisziplinäre Forschungskooperationen von großem Vorteil wäre.