Digital statt Chaos: Die ePA als Chance für Deutschlands Kliniken
15.01.2025 - Die elektronische Patientenakte kann Deutschlands Gesundheitswesen revolutionieren – doch technische, organisatorische und politische Hürden verzögern die Umsetzung.
Die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) in Deutschland ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einem digitalen Gesundheitswesen. Ziel ist, dass Patienten und medizinisches Personal schnell und sicher auf relevante Gesundheitsdaten zugreifen können. Michael Pfeil, Sprecher des DSAG-Arbeitskreises Healthcare, sieht darin großes Potenzial: „Die ePA ist ein zentrales Element der Digitalisierungsstrategie. Sie kann die Versorgung spürbar verbessern, wenn sie richtig umgesetzt wird.“
Zu den wesentlichen Vorteilen zählen die Vermeidung von Doppeluntersuchungen, eine bessere Medikation und beschleunigte Behandlungsabläufe. Diagnosen und Therapieentscheidungen könnten auf Basis vollständiger und aktueller Daten schneller getroffen werden. Dies setzt jedoch voraus, dass Krankenhäuser, Arztpraxen und Apotheken technisch nahtlos vernetzt sind. Gleichzeitig ermöglicht die ePA einen Überblick über den gesamten Behandlungsverlauf, was vor allem für chronisch kranke Menschen von großer Bedeutung ist.
Hürden auf dem Weg zur flächendeckenden Einführung
Trotz der klaren Vorteile gibt es große Herausforderungen: Die IT-Landschaft der deutschen Kliniken ist fragmentiert, viele Systeme sind veraltet. „Die Interoperabilität der Krankenhaus-IT ist eine zentrale Hürde“, betont Pfeil. Unterschiedliche Software-Lösungen und proprietäre Standards erschweren den Datenaustausch erheblich. Eine harmonisierte IT-Infrastruktur ist jedoch die Grundvoraussetzung für die reibungslose Nutzung der ePA. Fehlende Standards für den Datenaustausch führen häufig zu Insellösungen, die langfristig nicht tragfähig sind.
Zusätzlich belastet die parallele Umsetzung mehrerer Großprojekte, wie z. B. die Erfüllung der Anforderungen des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) die IT-Abteilungen der Kliniken enorm. Ein SAP-bezogenes Beispiel ist zudem die Umstellung auf die neue SAP-Generation S/4HANA. Diese Migration ist für viele Krankenhäuser unvermeidlich, da der Support für ältere SAP-Systeme in den kommenden Jahren ausläuft. Die Umstellung erfordert umfassende Anpassungen in der IT-Infrastruktur und bei Geschäftsprozessen, was Zeit, Geld und spezialisierte IT-Fachkräfte beansprucht. „Die S/4HANA-Transformation ist keine einfache Software-Aktualisierung, sondern ein tiefgreifender Eingriff in die digitale DNA eines Krankenhauses“, erläutert Pfeil.
Förderprogramme notwendig
Hinzu kommt, dass viele Kliniken durch den ohnehin bestehenden Kostendruck an ihrer finanziellen Belastungsgrenze operieren. Neue Investitionen in IT-Systeme müssen deshalb durch gezielte Förderprogramme der öffentlichen Hand unterstützt werden. Ohne staatliche Finanzierung könnten viele Häuser den notwendigen technologischen Wandel nicht stemmen.
Eine weitere Herausforderung hat SAP mit der Abkündigung der Branchenlösung SAP Patientenmanagement (SAP IS-H) geschaffen. Eine Entscheidung, die nicht nur die Krankenhauswelt, sondern den gesamten Markt für Krankenhausinformationssysteme (KIS) in Bewegung gebracht hat. Denn: IS-H ist seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil der IT-Infrastruktur in vielen Kliniken und Krankenhäusern und sorgt dafür, dass die komplexen Prozesse im Gesundheitswesen reibungslos ablaufen – von der Patienten-Aufnahme bis hin zur Abrechnung. „Hier sind die Krankenhäuser und Kliniken bereits stark gefordert. Doch die Personalressourcen sind knapp. Und nun kommt auch noch die ePA als weiteres Mammutprojekt hinzu“, kritisiert Pfeil. Der Fachkräftemangel in der IT verschärft die Situation zusätzlich.
Hinzu kommen politische Vorgaben wie das Opt-out-Prinzip und strenge Datenschutzregeln. „Der Datenschutz darf die Einführung nicht blockieren, sondern muss Teil einer umfassenden Strategie sein“, fordert Pfeil. Auch regulatorische Unsicherheiten bremsen die Einführung der ePA. Die Gesetzeslage entwickelt sich ständig weiter, was Planungen erschwert. Eine wesentliche Forderung aus der Praxis ist zudem die bessere Vernetzung zwischen verschiedenen Akteuren im Gesundheitswesen. Ärzte, Therapeuten und Pflegeeinrichtungen müssen schnell und sicher auf relevante Daten zugreifen können, ohne dass umständliche Anfragen oder bürokratische Hürden die Behandlung verzögern.
Technische und organisatorische Anforderungen
Um die ePA erfolgreich einzuführen, müssen standardisierte Schnittstellen geschaffen werden. SAP spielt dabei als IT-Partner vieler Kliniken eine Schlüsselrolle. Die Unternehmen müssen ihre Krankenhausinformationssysteme (KIS) zukunftssicher machen und auf die Anforderungen der ePA anpassen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Datensicherheit: „Die Systeme müssen robust und vor Cyberangriffen geschützt sein“, betont Pfeil. Sicherheitsvorfälle könnten das Vertrauen der Bevölkerung in die ePA gefährden und die Akzeptanz erheblich schmälern. Zudem sind Schulungen für medizinisches Personal unverzichtbar, damit Ärzte, Pflegekräfte und Verwaltungsmitarbeiter die Systeme effizient nutzen können. „Technik allein reicht nicht, sie muss auch im Alltag praktikabel sein“, erklärt Pfeil.
Die flächendeckende Einführung der ePA wird auch die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen medizinischen Einrichtungen verändern. Zukünftig könnten Patienten selbst über den Zugriff auf ihre Gesundheitsdaten entscheiden und so aktiv an ihrer Behandlung mitwirken. Dies erfordert jedoch benutzerfreundliche Apps und Plattformen, die auch technikunerfahrene Menschen problemlos bedienen können.
Blick nach vorn: Chancen und Zukunftsvisionen
Trotz aller Schwierigkeiten sieht Pfeil die Einführung der ePA als unumgänglichen Schritt: „Die Potenziale für eine bessere Patientenversorgung und effizientere Klinikprozesse sind enorm.“ Wenn alle Akteure zusammenarbeiten, könne die ePA zur zentralen Datendrehscheibe im deutschen Gesundheitswesen werden. Die Vision reicht von KI-gestützten Diagnosen bis hin zu datenbasierten medizinischen Forschungsprojekten. „Daten, die sinnvoll ausgewertet werden, könnten die medizinische Forschung auf ein neues Niveau heben“, sagt Pfeil. Doch ohne ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen droht das Projekt zu scheitern. Pfeil warnt: „Wenn die Umsetzung weiterhin so schleppend verläuft, wird die ePA ein zahnloser Tiger bleiben.“ Die flächendeckende Einführung der ePA kann das Gesundheitswesen revolutionieren – wenn Politik, IT und Kliniken an einem Strang ziehen. Andernfalls droht, wie Pfeil befürchtet, ein ähnliches Schicksal wie bei der Corona-Warn-App: „Teuer, komplex und von vielen kaum genutzt.“