Akute Querschnittlähmung: Antikörper-Therapie kann Nervenregeneration verbessern
25.12.2024 - Antikörper können die Rehabilitation von Menschen mit akuter traumatischer Querschnittlähmung verbessern.
Dies haben Forschende an 13 Kliniken in Deutschland, der Schweiz, Tschechien und Spanien mit vielversprechenden Ergebnissen unter-sucht. Erstmals überhaupt konnten gut abgrenzbare Patientengruppen identifiziert werden, die einen klinisch relevanten Behandlungseffekt zeigten. Eine Folgestudie wird bereits im Dezember 2024 starten.
Untersucht wurde in einer multizentrischen klinischen Studie der Antikörper NG 101 (Anti-Nogo-A), der das körpereigene Protein Nogo-A blockiert und damit neutralisiert. Dieses Protein hemmt bzw. verhindert bei einer akuten Verletzung die Regeneration von geschädigten Nervenfasern im Rückenmark, wie in mehreren internationalen Studien im Tiermodell gezeigt werden konnte. Eine Behandlung mit Antikörpern soll diese hemmenden Mechanismen im Körper bremsen und so eine Erholung des Rückenmarks ermöglichen.
An der klinischen Studie nahmen insgesamt 126 Personen im Alter von 18 bis 70 Jahren teil, die an einer akuten kompletten bis inkompletten Querschnittlähmung durch eine Rückenmarksverletzung im Halsbereich litten. 78 Personen wurden mit dem Antikörper behandelt, der direkt in den Spinalkanal injiziert wurde; die übrigen 48 Personen erhielten ein Placebo, das auf die gleiche Weise verabreicht wurde. Ein vollständiger Behandlungszyklus bestand aus sechs Injektionen parallel zur normalen stationären Behandlung. Die Studie war randomisiert, doppelblind und placebokontrolliert, d. h. weder die Behandelten noch die Behandelnden wussten, wer den Antikörper und wer das Placebo erhalten hatte. Außerdem wurden die Patientinnen und Patienten nach dem Zufallsprinzip einer Gruppe zugeteilt.
Signifikante Verbesserungen bei inkompletter Querschnittlähmung
Eine standardisierte Untersuchung an Hand-Arm-Muskeln zeigte, ob sich motorische Funktionen bei den Patienten erholen. Diese Muskelgruppen sind für Patienten mit Tetraplegie (hohe Querschnittlähmung, die zusätzlich auch die Arm- und Handfunktionen betrifft) von größter Bedeutung im Alltag. Nach sechs Monaten wurde die Wirkung zwischen den mit Antikörpern behandelten und den unbehandelten (Placebo-)Patienten verglichen.
Bei Patientinnen und Patienten mit einer kompletten Querschnittlähmung zeigten sich keine Verbesserungen der motorischen Funktion. In der Patientengruppe mit inkompletter Querschnittlähmung führte die Behandlung mit Antikörpern zu signifikanten Verbesserungen sowohl in der willkürlichen Ansteuerung der gelähmten Muskeln als auch in der Selbständigkeit der Patienten im Alltag. Darüber hinaus zeigte sich, dass der Anti-körper allgemein gut verträglich ist und bisher keine damit verbundenen Nebenwirkungen aufgetreten sind. Damit zeigt die langjährige, unter Federführung der Universitätsklink Balgrist betriebene Forschung zu Antikörpern in der Rehabilitation ermutigende Erfolge.
Weitere Studien müssen nun diese erstmals erreichten positiven klinischen Befunde bei Patientinnen und Patienten mit akuter inkompletter Querschnittlähmung bestätigen. Eine Folgestudie mit einem weiterentwickelten Antikörper ist bereits für Dezember 2024 angekündigt. Hierfür werden Patientenuntergruppen ausgewählt, bei denen aufgrund der bisherigen Ergebnisse das Potenzial für eine signifikante klinische Verbesserung besteht.
Europäische Zusammenarbeit
Initiiert und organisiert wurde die multinationale Studie von der Universität Zürich, Prof. Martin Schwab, und von der Zürcher Universitätsklinik Balgrist, Prof. Armin Curt, in enger Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Heidelberg, Prof. Norbert Weidner, der feder-führend die Lancet-Publikation betreut hat. Ermöglicht und durchgeführt wurde sie in einem europäischen klinischen Netzwerk (www.emsci.org), dem zahlreiche spezialisierte Zentren zur Behandlung von Patienten mit Querschnittlähmung in Deutschland, der Schweiz, in Spanien und Tschechien angehören. Auch die Follow-Up-Studie wird in diesem Netzwerk stattfinden.