Medizin & Technik

Digitale Versäumnisse in der Radiologie?

24.04.2025 - Künstliche Intelligenz (KI) kann bereits große Mengen radiologischer Daten präzise und effizient analysieren.

Welche Potenziale der Einsatz von KI zur Verbesserung der Patientenversorgung und zur Effizienzsteigerung in der radiologischen Praxis bietet und welche Herausforderungen mit der Implementierung verbunden sind, erläutern Prof. Dr. Stephan Schmitz und Prof. Dr. Tobias Saam.

Dr. Jutta Jessen, Weinheim

M&K: Wie verbessert der Einsatz von KI in der Radiologie die Genauigkeit und Effizienz der Diagnose von Krankheiten?

Prof. Dr. Stephan Schmitz: KI standardisiert die Bildauswertung und ermöglicht eine frühzeitige Intervention durch die Erkennung subtiler Veränderungen. Sie kann entzündliche Herde bei Multipler Sklerose im MRT beispielsweise mindestens so gut erkennen wie das menschliche Auge und ihre Größe präzise messen, was für die Therapieüberwachung entscheidend ist. Die Technologie identifiziert Knochenbrüche und Lungenkrebs zuverlässig und unterstützt effizient bei der Brustkrebsvorsorge, insbesondere bei Normalbefunden im Screening. Auch bei anderen Tumorerkrankungen zeigt KI großes Potenzial: Sie erleichtert die Verlaufskontrolle durch exaktes Vermessen, Lokalisieren und Vergleichen von Metastasen sowie die Erkennung kleinster Veränderungen. Diese zeitaufwendigen Aufgaben mithilfe der Technologie zu automatisieren, entlastet Radiologen ungemein. Darüber hinaus könnte sie ungenutzte Daten aus CT- und MRT-Aufnahmen prüfen und so die Prävention fördern. Beispielsweise ließe sich anhand der CT-Bilder einer Thorax-Untersuchung parallel eine Quantifizierung von Herzkranzgefäßverkalkungen durchführen, was zur Identifizierung von Patienten mit hohem Risiko für einen Herzinfarkt beitragen würde. Insgesamt kombiniert KI Geschwindigkeit, Präzision und Datennutzung, um eine schnellere und umfassendere radiologische Diagnostik zu ermöglichen.

Wie werden die Qualität und Zuverlässigkeit von KI-gestützten Diagnosen sichergestellt?

Prof. Dr. Tobias Saam: Um Qualität und Zuverlässigkeit von KI-gestützten Diagnosen sicherzustellen, bedarf es technischer, regulatorischer und menschlicher Faktoren. KI-Systeme werden mit vielfältigen und hochwertigen Datensätzen trainiert, gründlich getestet und unterliegen strengen Vorgaben wie CE-Kennzeichnung oder FDA-Zulassung. Letzten Endes bleibt die Einschätzung eines Facharztes jedoch unverzichtbar. Denn KI ist nur auf spezifische Aufgaben trainiert und kann nicht über diese hinausdenken. Radiologen bringen Flexibilität, Erfahrung und breites Wissen mit, um auch indirekte Anzeichen zu interpretieren. Die Ergebnisse der KI-Analysen müssen von Radiologen überprüft und eingeordnet werden, um fundierte Entscheidungen zu treffen, diese dem Patienten zu erklären und letztlich die Verantwortung für die Diagnose zu übernehmen.

Die vergangenen Jahre haben in einer Vielzahl medizinischer Bereiche zu einer deutlichen Arbeitsverdichtung geführt. Welche Rolle spielt KI bei der Reduzierung der Arbeitsbelastung für die Radiologen?

Schmitz: In den letzten 15 Jahren hat sich die Bildmenge pro Patient verzehnfacht und die Bilder sind deutlich detailreicher geworden. Des Weiteren führt der demografische Wandel zu einer wachsenden Zahl älterer Patienten mit umfangreichen Krankengeschichten, was die Diagnosen zeitintensiver macht. Angesichts dieser Herausforderungen und des anhaltenden Personalmangels in der Radiologie ist die steigende Arbeitslast ohne KI kaum zu bewältigen. Indem die Technologie Routineaufgaben übernimmt, Arbeitsprozesse optimiert und so die Effizienz steigert, können Radiologen den wachsenden Anforderungen in ihrem Fachbereich besser gerecht werden.

Wie kann der Einsatz von KI nicht nur den Arbeitsalltag der Radiologen, sondern auch das Gesundheitssystem entlasten?

Saam: KI erledigt zeitaufwendige Aufgaben schneller als Menschen, beschleunigt die Bildauswertung und Berichterstellung und verkürzt so die Diagnosezeiten – all das schafft mehr Zeit für eine intensive Patientenbetreuung und ermöglicht es zugleich, mit weniger Personal mehr Fälle zu behandeln. Die Technologie ist ein unterstützendes Werkzeug, keine Konkurrenz, und bietet durch die Automatisierung und Ressourcenoptimierung auch ökonomische Vorteile. Durch präzise und effiziente Analysen lassen sich frühere und genauere Diagnosen stellen, sodass Krankheiten oft in einem leichter behandelbaren und kostengünstigeren Stadium erkannt werden. Langfristig können so hohe Folgekosten durch späte oder falsche Diagnosen reduziert werden, wodurch die Investition in KI durch Einsparungen bei Behandlungen und aufgrund kürzerer Krankenhausaufenthalte ausgeglichen wird.

Welche Herausforderungen gibt es bei der Integration von KI in den radiologischen Workflow?

Schmitz: Bezüglich der Integration gibt es vor allem finanzielle Herausforderungen, da in der aktuellen Vergütungsordnung die Abrechnung der Nutzung von KI-Systemen nicht geregelt ist. So entsteht eine Kosten-Nutzen-Barriere. Datenschutz, ethische Fragen und die Einhaltung regulatorischer Vorgaben sind ebenfalls zentrale Herausforderungen. Schließlich müssen KI-Modelle regelmäßig überwacht und aktualisiert werden, um ihre Leistung konstant zu sichern. Auch die Akzeptanz der Technologie und die Schulung der Radiologen stellen eine Hürde dar, weil es teilweise noch immer Widerstand und Unsicherheiten in Bezug auf KI gibt.

Die Implementierung von KI-Technologien erfordert zunächst Investitionen in Software, Hardware und Schulungen. In welchem Rahmen bewegen sich die Kosten, die mit einer KI-Implementierung in der radiologischen Praxis verbunden sind?

Saam: Langfristig rentiert sich der Einsatz von KI wirtschaftlich, er ist jedoch mit erheblichen Anfangskosten verbunden. Angesichts der Vielzahl von Erkrankungen und Gerätearten müssen für radiologische Untersuchungen Hunderte bis Tausende spezialisierter Algorithmen entwickelt werden. Die Integration dieser Systeme in bestehende Arbeitsprozesse ist technisch komplex und ressourcenintensiv. Zusammengefasst fallen Kosten für Soft- und Hardware, Schulungen sowie Wartung und Support an. Daher können die Gesamtinvestitionen für eine KI-Implementierung in der radiologischen Praxis im sechsstelligen Bereich liegen, abhängig von der Größe der Praxis, den spezifischen Anforderungen und der gewählten Technologie. Die Kosten pro Analyse variieren stark und liegen je nach Verfahren im Bereich von zwei- bis dreistelligen Eurobeträgen, in Spezialfällen wie dem Heartflow-Verfahren sogar bei rund 950 Euro. Aufgrund dieser finanziellen Diskrepanz sind individuelle Kostenerstattungen notwendig.

Einige Länder haben spezifische Vergütungsmodelle für KI-gestützte Diagnosen entwickelt, während andere noch dabei sind, solche Modelle zu etablieren. Wie sieht es in Deutschland damit aus?

Schmitz: In Deutschland gibt es derzeit keine angemessene Vergütung für KI-Diagnosen durch gesetzliche oder private Krankenversicherungen. Bei gesetzlich Versicherten erfolgt keine gesonderte Kostenübernahme für KI-gestützte Diagnosen, während Privatpatienten einen veralteten „Zuschlag für computergesteuerte Analysen“ erhalten, der seit den 90er-Jahren nicht angepasst wurde.

Warum ist das so?

Saam: In Modellprojekten werden neue Vergütungsansätze getestet, und die Bundesärztekammer sowie die Kassenärztliche Vereinigung arbeiten an Rahmenbedingungen. Langfristig könnten spezifische Abrechnungspositionen für KI-Diagnosen entstehen, aber die Entwicklung dauert noch. Die geplante Reform der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) hätte im § 10 „Ersatz von Auslagen“ eine Lösung für Privatpatienten bringen können, etwa eine Regelung, nach der sich KI-Diagnostik, ähnlich wie bei Ausgaben für radioaktive Stoffe in der Nuklearmedizin, gezielt abrechnen ließe. Leider wurde jedoch auf eine entsprechende Ziffer für KI-Analysen verzichtet. Selbst der Zuschlag für computergestützte Analysen wurde im Entwurf gestrichen.

Wie sehen Sie die Zukunft der Radiologie mit zunehmendem Einsatz von KI?

Schmitz: Wir appellieren dringend an die Politik, neue Abrechnungsmöglichkeiten für KI-gestützte Diagnostik zu schaffen. Eine solche Reform ist notwendig, damit sowohl Radiologen als auch Patienten von den Vorteilen des KI-Einsatzes profitieren und das deutsche Gesundheitssystem zukunftsfähig bleibt. Diese Technologie hat das Potenzial, die Radiologie sowohl medizinisch als auch wirtschaftlich zu revolutionieren – jedoch müssen jetzt die Grundlagen für ihre Integration in die Versorgung gelegt werden.

Zur Person:

Prof. Dr. Stephan Schmitz, Facharzt für Radiologie und führendes Mitglied der Radiologie Initiative Bayern, arbeitet aktuell in der BAG Radiologie und Nuklearmedizin Aschaffenburg. Seit 2010 ist er Professor an der Philipps-Universität Marburg. Neben seiner klinischen Tätigkeit hat er die Raiys GmbH gegründet, die KI einsetzt, um den Radiologen bei der Bildanalyse zu unterstützen.

Prof. Dr. Tobias Saam, Facharzt für Radiologie und Vorsitzender der Radiologie Initiative Bayern, arbeitet derzeit bei DIE RADIOLOGIE in Rosenheim. Bis 2015 war er Oberarzt und Leiter der Magnetresonanztomografie an der LMU München und nahm dort anschließend die Tätigkeit als außerplanmäßiger Professor an.

Kontakt

Radiologie Initiative Bayern e. V

Henkestraße 91
91052 Erlangen
Deutschland

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