Bauen, Einrichten & Versorgen

Quartiersentwicklung zwischen faden Donuts und verdichteten Städten

15.07.2019 -

Alberts Architekten versteht sich als Büro für Soziale Architektur - das partizipative Planen und Bauen für Gemeinschaften. Über dieses und die besondere Herangehensweise an Aufgaben der Inklusion spricht medAmbiente mit Marc Wübbenhorst.

Herr Wübbenhorst, Sie haben kürzlich formuliert, wenn man über das Wohnen spreche, rede man „vorwärtsgewandt über Lebensziele“. Inwieweit weichen die verschiedenen Lebensziele eigentlich voneinander ab, soweit sie relevant sind für einen Städteplaner und Architekten?

Marc Wübbenhorst: Das Wohnen ist von den Lebenszielen nicht zu trennen. Es bildet selbst bildet immer Ordnungsvorstellungen ab und das echte Leben.

Dazwischen bewegen sich Viele in einem Spannungsfeld, das professionelle Planung verlangt. Wenn ich ein Haus habe und die Kinder da nicht mehr wohnen, muss ich eben umbauen oder die Situation weiter erdulden. Die Menschen in Bau-Beratungen verbinden ihre Biografie mit dem Werden des eigenen Hauses und erzählen die Geschichte des Hauses mittels ihrer eigenen Biografie. „Als unser Ingo in die Schule kam, haben wir oben ausgebaut“ ist so ein Satz, der so etwas an Tageslicht bringt. Wer will ich sein, wo will ich hin und wie organisiere ich das räumlich? Das sind die Fragen, die Architektur lebensweltbezogen und konkret werden lassen. Dass es dort bei mehreren Familienmitgliedern unterschiedliche Vorstellungen sind, ist klar. Auf der Ebene der Stadtplanung ist eine Aufgabe, über den öffentlichen Raum mit den Anspruchsgruppen zu verhandeln. Im Prinzip wollen alle ja ein schönes Leben, nur das Wie kann zu Konflikten führen. Genau das ist dann ein Fall für die Stadtteilmoderation.

Von verödenden Innenstädten, aus denen die Leute aufs Land ausweichen,  bis zu extrem verdichteten Innenstadtbereichen gibt es ganz unterschiedliche Voraussetzungen.

Marc Wübbenhorst: Das ist das Spannende, das Individuelle einer Stadt, und zugleich vermischt es sich mit allgemeinen Trends, die sich überall ablesen lassen. Viele Ortskerne leiden unter den Leerständen in der Stadtmitte. Die Älteren erinnern sich oft an die vielen Geschäfte im Stadtkern, die dann eins nach dem anderen dichtgemacht haben, als die Discounter an den Stadtrand zogen. Manche Kleinstadt hat sich davon – auch emotional – nicht erholt. Man wuchs doch in der Zeit auf, als man nach den Entbehrungen wieder die Nase an das Schaufenster drücken konnte! Gleichzeitig wachsen die Städte in die Peripherie, da Bauland für junge Familien geschaffen werden muss, und weil der Immobilienmarkt das so haben will. Keiner investiert im Stadtkern in den Wohnraum. Die Qualität der Neubaugebiete ist leider oft eher so mittel. Dazu kommt noch der Online-Versand. Das ergibt den berüchtigten „Donut-Effekt“: ein Loch in der Mitte und etwas Glasur am Rand. Doch oft gibt es auch exakt die gegenteilige Entwicklung.

Wie stark ist der Wunsch, auf engem Raum mit unterschiedlichen Interessen zusammenzuleben, überhaupt? Wie ist das nach Ihrer Erfahrung bei beeinträchtigten, behinderten, alten Menschen?  

Marc Wübbenhorst: Das ist irgendwie bipolar, jede Entwicklung scheint aber auch die exakte Gegenentwicklung zu verursachen. Menschen haben gleichzeitig das Bedürfnis nach Nähe und Abgrenzung. Dafür gibt es dann kein Patentrezept.

Es gibt immer wieder Initiativen, die es sich zur Aufgabe machen, dass Menschen in größter Unterschiedlichkeit und Gemeinschaft miteinander leben. Alternative Lebensmodelle sind rein wohnlich sicher akzeptiert. Und man muss sich gedanklich auch etwas vom Vater-Mutter-zwei-Kinder-Modell aus der Werbung lösen. Dieses Modell klingt zunächst sehr individuell, führt aber städtebaulich oft zu Siedlungen, die an Langeweile nicht zu überbieten sind. Für Kommunen ist so eine Entwicklung zweischneidig. Wenn ich die Grundschule im Ort erhalten will, brauche ich Zuzüge, also Bauland. 20 Jahre später wohnen da nur die jungen Alten, die bedauern, dass die Tochter zum Studium weggezogen ist. Auf der anderen Seite ist der Wunsch nach dem Einfamilienhaus, nach den eigenen vier Wänden, derart groß, dass ständig auf irgendwelchen Wiesen neue Siedlungen entstehen. Da tun sich dann komplette Straßenzüge mit Menschen zusammen, die alle in der gleichen Lebenssituation sind. Bestimmte Communities haben mittlerweile regelrechte Parallelstrukturen aufgebaut. Auch das hat sein Für und Wider. An Schulen freier Trägerschaft bemerkt man starken Zulauf. Das ist ein deutlicher Indikator für Entmischungsprozesse. Gerade die Mittelschicht fürchtet bei Integration und Inklusion, das eigene Kind könne zu kurz kommen. Da fährt man lieber etwas weiter und ist unter sich.

Sie arbeiten stark mit dem Partizipationsgedanken. Das bedeutet, dass die Anwohner sich mit ihren Ideen einbringen können. Wie läuft so etwas ab – und für welche Art von Projekten eignet sich so ein Vorgehen?  

Marc Wübbenhorst: Partizipative Ansätze in der Stadtplanung setzen sich langsam durch. Ihre Methoden und Prozesse sind genau so diskussionswürdig wie Aspekte der Stadtplanung selbst; es gibt also nicht die eine Form der Teilhabe. Die Bezugsgrößen sind sehr unterschiedlich: An was habe ich denn überhaupt Teil? Partizipation darf keine Schauveranstaltung sein. Das wäre Zeitverschwendung und würde das Vertrauen derjenigen untergraben, die ihre Freizeit opfern, um sich dort zu beteiligen, im Ehrenamt. Diese sind immer Experten für ihre eigene Lebenswelt und diejenigen, die das Ergebnis letztendlich aushalten müssen. Daher hat Partizipation vorwiegend mit Akzeptanzbildung zu tun. Und man muss ehrlich sagen, dass es hier um die Zielfindung, um Ideen, die Transparenz des Verfahrens geht, nicht um die Planungsleistung als solche. Es gibt manchmal die Fantasie, dass Bauaufgaben komplett gemeinschaftlich geplant werden. Das geht nicht. Es geht hauptsächlich um die inhaltliche Öffnung von Verfahren. Dazu kommt, dass wir in einer repräsentativen Demokratie leben. Wenn der Rat einer Stadt mit seinen Parteien die Verwaltung beauftragt, eine Baumaßnahme durchzuführen, dann ist diese Entscheidung im Grundsatz von der Stadtgemeinschaft getragen. In Schulbauprojekten hat es sich bewährt, ein Gremium zu bilden, das wir als pädagogischen Bauausschuss bezeichnen.

In vielen Regionen ist der Wohnraum so knapp, dass man verdichtet, also enger und höher baut. Das dürfte den Spielraum ziemlich einschränken?  

Marc Wübbenhorst: Verdichtung zum Zentrum ist besser als Städte komplett ausufern zu lassen, wie das manchmal in den USA der Fall ist. Da gibt es dann eine gigantische Fläche, die nur mit gleichförmigen Einfamilienhäusern bebaut ist. Der urbane Charakter geht durch dieses Ausufern verloren. Insofern kann man sagen: Städte werden durch Verdichtung urbaner und attraktiver.

Die Themen Barrierefreiheit in und außerhalb von Gebäuden und Inklusion, also die Integration behinderter Menschen, sind wesentlicher Bestandteil Ihrer Arbeit. Was kann Architektur dazu beitragen?

Marc Wübbenhorst: Architektur bildet immer Gesellschaftsmodelle ab; sobald Inklusion ein gesellschaftlich relevantes Thema ist, findet sich das in der Bildungsdebatte wieder. Architektur ist die räumliche Umsetzeng, quasi die gebaute Übersetzung von Konzepten, im Prinzip eine Verwirklichung. Pädagogische Architektur, Schulbau ist hier das häufigste Beispiel, muss gesellschaftliche Ansprüche räumlich abbilden. Wenn es darum geht, rein räumlich Menschen mit Behinderung Zugang zu ermöglichen, reden wir von Barrierefreiheit. Inklusion ist größer: Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch ganz natürlich dazugehört. Gleich, welche Sprache du sprichst oder ob du eine Behinderung hast. Jeder kann mitmachen. Wenn alle Menschen dabei sein können, ist es normal, verschieden zu sein. In einer inklusiven Welt sind alle Menschen offen für andere Ideen und Lebenswelten. Das ist mehr eine innere Haltung als nachzusehen, ob die Bushaltestelle eine LED-Beleuchtung hat.

In Wirklichkeit stellt sich jedoch schnell heraus, dass Ansprüche einzelner Gruppen gegenläufig sind und zu Zielkonflikten führen können, für die der Stadtraum als gebauter Raum wenig flexibel ist. Die Zuordnung der Nutzergruppen, vor allem die Sortierung nach Behinderungsarten, ist äußerst schwierig. Deshalb entsteht schnell das Bild, bei gebauter Inklusion handele es sich um die am besten geeignete Stadt für Menschen im Rollstuhl.

Lassen Sie uns konkrete Beispiele ansehen: Sie haben beispielsweise die integrative Wohnanlage Odilia konzipiert. Was ist da das Besondere?

Marc Wübbenhorst: Durch die ländliche Lage erleben die Bewohner Selbständigkeit, ohne dabei den Anschluss an Betreuung zu verlieren. In der bestehenden Wohnanlage mit ihren zwei Vollgeschossen wohnen junge Erwachsene, die in einem Unterstützungssystem gelebt haben und nun auf ihrem weiteren Lebensweg die Möglichkeit bekommen, selbständig alleine oder in Wohngemeinschaft mit anderen zu leben. Viele von ihnen sind berufstätig, das spiegelt sich auch in der technischen Ausstattung des Gebäudes wider.

Ganz aktuell beschäftigen Sie sich mit einem Stadtentwicklungsprojekt für die Stadt Horn – hier geht es um eine Belebung der Stadt. Auch hier beziehen Sie die verschiedenen Stakeholder partizipatorisch mit ein. Aber wie belebt man eigentlich eine Stadt, so dass es auch funktioniert?

Marc Wübbenhorst: Thorsten Försterling (Mitgründer von Alberts Architekten BdA – Büro für Soziale Architektur, Anm. d. Red.) sagt dazu: „Wir wollen aufzeigen, dass sich die Initiative für den Stadtteil lohnt.“ Ins Handeln kommen, miteinander sprechen und gemeinsame Ziele formulieren, darum gehe es bei der Umsetzung des Konzepts. Seit einigen Wochen sind wir als Stadtteilmoderatoren im historischen Stadtkern von Horn unterwegs. Wir informieren uns über leerstehende Häuser und Geschäftslokale, den Zustand der Wallanlagen oder Spuren des Horner Vereinslebens. Hintergrund ist das Integrierte Handlungskonzept Horn, das viele Maßnahmen vorsieht, um den Horner Stadtkern zu beleben und zu verschönern, und um das ehrenamtliche Engagements zu stärken. Wenn die Menschen Ideen oder eigene Beobachtungen dazu einbringen möchten, verstehen wir uns als Ansprechpartner dafür. Zu unserer Arbeitsweise gehört es, nicht nur vorgegebene Projekte umzusetzen, sondern eine Verfahrenskultur zu etablieren. Ein gemeinsamer Anpack durch befugte Gremien, gemeinsame Ziele, Abstimmung mit der politischen Willensbildung und der Verwaltung. Das ist ein stark kommunikativer Ansatz, den wir für eine mittelgroße Stadt für wie Horn-Bad Meinberg für richtig halten. Hier gibt es bereits sehr viel Initiative, so dass wir innovativ sein wollen, aber das Rad nicht neu erfinden. Wir schöpfen aus dem Vorhandenen und arbeiten an einem positiven Zukunftsbild. Das ist in erster Linie baulich, aber soziale Fragestellungen kann man nicht ausblenden.

Herr Wübbenhorst, Sie persönlich haben eine sehr seltene Krankheit, die Sie in Ihrem Alltag durchaus belastet – und Sie vernetzen sich diesbezüglich auch weltweit mit Betroffenen, Forschern, Medien etc. Schärft das Ihr Verständnis für Fragen des Zusammenlebens, Fragen der Inklusion – und Ihr Vermögen, dies zugunsten aller zu organisieren?   

Marc Wübbenhorst: Naja, jeder hat was und ich habe eben das. Insgesamt ist mein Blick auf die Dinge im Allgemeinen schon etwas anders. Allerdings bin ich nicht der Behinderte, der sich für nun auch noch für Inklusion einsetzt, das ist mir einfach zu wenig. Ich hatte die Möglichkeit und das Interesse, diese Geschichte zu erzählen. Wer außer mir hätte das tun können? Mein Ziel war es, dass jeder diese Krankheit kennt, ich habe nun 100 Millionen Menschen auf der Erde Bescheid gesagt. Unwissen ist ein Teil der Behinderung. Ich hatte mir erhofft, Menschen zu finden, die auch so etwas haben, und ich wollte denen, die nun Kinder haben, das eine oder andere erleichtern. Ich habe meinen eigenen Fall quasi als Best-Practice angeboten. Die Medien wollten natürlich das Drama bringen und den Freakfaktor ausspielen, was ich völlig in Ordnung finde. Ich werde auf das Thema nun verschiedene Projekte draufsatteln: einen Kongress, soziale und psychologische Forschung, die Frage der Wasserverfügbarkeit. Viele Kommentare waren sehr hässlich, aber das entlarvt ja auch. Auf der anderen Seite kenne ich nun Menschen in der gesamten Welt. In Deutschland haben wir so eine Kultur des Leides und der Hilfsbedürftigkeit; in anderen Ländern steht oft mehr die Frage im Vordergrund: Was kann ich tun, um die Lage zu verbessern? Das ist auch mein Ansatz. Dadurch, dass ich mir im Leben irgendwie selber helfen musste, habe ich viel Eigeninitiative entwickelt. Ich sag dann immer: Aus allem kann man was machen.

 

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