Demenzerkrankte im Krankenhaus
05.06.2012 -
In der Altenpflege ist Demenz seit Jahren Alltag - Krankenhäuser können noch einiges lernen. Arzneimittelsicherheit, Delirprävention und Betreuungsstabilität sind wichtig, weiß Prof. Dr. Gabriela Stoppe, Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel.
M&K: Ins Krankenhaus zu müssen, kann schon für manch Gesunden eine beängstigende Erfahrung sein. Ist es für einen Demenzkranken notwendigerweise schlimmer?
Prof. Dr. Gabriela Stoppe: Für einen Demenzkranken ist das sicher eine schlimmere Erfahrung, weil ein Umgebungswechsel, der ängstigt, zu der Krankheit hinzukommt, derentwegen er in die Klinik eingeliefert worden ist. Das sind zwei Stressoren auf einmal. Ein weiteres Problem ist die Gefahr des Delirs. Es äußert sich durch Desorientierung, Unruhe und teils durch körperliche Begleiterscheinungen wie Zittern oder Schwitzen. Zum Delir kommt es immer dann, wenn ein Organismus mehr verarbeiten muss als er kann. Bei älteren Menschen ist das sehr häufig - etwa bei 20-30% von ihnen kommt es dazu in den ersten Tagen nach der Aufnahme.
In der Altenpflege gehört die Demenz alter Menschen zum Alltag. Sind Krankenhäuser mit diesem Thema überfordert?
Prof. Dr. Gabriela Stoppe: Sie sind es häufig, auch wenn dies nicht so sein müsste. Die Altenheime sind seit Jahren auf Demenzkranke eingestellt - besonders nach Einführung der Pflegeversicherung, die die Zahl der demenzkranken Bewohner sprunghaft hat ansteigen lassen: 50-70% der Bewohner sind dement. Auf die Krankenhäuser kommt diese Herausforderung verstärkt zu - schon dadurch, dass es hier immer häufiger erst hier zu einer Diagnose der Demenz kommt, weil es z. B. aus Anlass eines Delirs das erste Mal zum psychiatrischen Kontakt kommt. Die damit verbundenen Komplikationen können aber durch systematische Maßnahmen zur Früherkennung und auch Vorbeugung dramatisch verringert werden.
Was gehört eigentlich zur Definition der Demenz?
Prof. Dr. Gabriela Stoppe: Es gibt eine Reihe typischer Kennzeichen, typischerweise mit schleichendem Beginn. Dazu kommen Gedächtnisstörungen und Sprachschwierigkeiten wie fehlendes Wortverständnis. Der Erkrankte findet immer seltener den richtigen Ausdruck, spricht weniger komplex, unscharf. Auch die Urteilsfähigkeit ist häufig gestört, Dinge und Geschehnisse werden nicht mehr richtig eingeordnet, die räumliche und zeitliche Orientierung ist gestört. Im weiteren Verlauf kommen nichtkognitive Störungen hinzu, wie depressive Verstimmtheit, Rückzug, Antriebs- und Interesselosigkeit, Unruhe, Nervosität, Ängstlichkeit.
Problematisch ist ja oft auch aggressives Verhalten?
Prof. Dr. Gabriela Stoppe: Agitation und verbale wie körperliche Aggression sind häufig. Dazu kommt Misstrauen. Das alles wird häufig tabuisiert, entsteht aber auf der Basis einer beidseitigen Überforderung in der Pflege. In den Pflegewissenschaften hat sich der Begriff „Herausforderndes Verhalten" etabliert. Das trifft es, weil damit der Kontext mit Personen und Umgebung mit angesprochen wird. Im weiteren Verlauf der Demenz kommen dann übrigens noch Störungen der Körperfunktionen, wie z. B. Inkontinenz, hinzu, auch Schluckstörungen sowie schlussendlich eine Phase der Bettlägerigkeit. In der Regel dauert es von der Erkennung der Krankheit bis zum Tod zwischen vier und neun Jahre.
Braucht das Klinikpersonal einen Mindestwissensstand zum Thema Demenz?
Prof. Dr. Gabriela Stoppe: Ja! Zunächst einmal sollte das Personal wissen, dass Demenz sehr häufig vorkommt - und wie man Demenz erkennt und damit das Erfordernis einer besonderen Betreuung. Denn Demenzkranke haben ein höheres Risiko für Delirentwicklung, vertragen bestimmte Medikamente nicht - etwa solche für Lungenfunktion, Herz sowie bestimmte Psychopharmaka. Wichtig ist es zu verstehen, dass der Demenzkranke häufig nicht in der Lage ist, seine Beschwerden selber einzuordnen und mitzuteilen. Häufig ist er einfach nur unruhig, jammert, schreit gar, ohne äußern zu können, wo er welche Schmerzen hat.
Das erfordert nicht nur Kenntnisse sondern auch persönliche Fähigkeiten ...
Prof. Dr. Gabriela Stoppe: Es bedarf der Fähigkeit, sich in den Kranken hineinzuversetzen. Geschulte Kommunikation und ein gutes Casemanagement sind entscheidend. Auch eine besondere Aufmerksamkeit ist sehr hilfreich: Ist das Essen so, dass Demenzkranke etwas damit anfangen können - ihm unbekannte exotische Früchte wird er nicht essen. Isst der Patient regelmäßig? Dabei ist wichtig, dass das Pflegepersonal stabil bleibt. Wenn die Frage „Haben wir heute keinen Appetit gehabt?" täglich von jemand anderem gestellt wird, der das unangerührte Tablett abräumt, fällt nicht auf, wenn der Patient tagelang nichts isst.
Worin besteht der größte Handlungsbedarf im Krankenhaus?
Prof. Dr. Gabriela Stoppe: Sinnvoll ist eine Konzentration auf Abteilungen mit spezieller Kompetenz, z. B. in der Geriatrie, Psychiatrie, Neurologie. Das Wichtigste ist, dass die Übergaben vom Vor- zum Nachbehandler gut funktionieren. Arzneimittelsicherheit und Delirprävention stehen also an vorderster Stelle. Vor allem größere Häuser können sich überlegen, demenzkranke Patienten in interdisziplinären Abteilungen zu bündeln und dort mit einem spezialisierten Team und integrierter Altenpflege zu betreuen. Hierzu gibt es bereits Modelle.
Welche realistischen Möglichkeiten gibt es eigentlich angesichts der mangelnden Zeit und des engen Finanzkorsetts unserer Kliniken?
Prof. Dr. Gabriela Stoppe: Zunächst kann man sagen, dass sich Investitionen in dem beschriebenen Sinne sich immer mehr lohnen werden, denn das Problem Demenz wird künftig noch größer werden. Jeder fünfte 80-Jährige ist ja betroffen. Wo es um DRGs geht, sollte bei einer mit ihr abgerechneten Erkrankung demenzbedingter Aufwand berücksichtigt werden. Gute Prävention und eine verbesserte strukturelle und personelle Vorbereitung der Klinik bieten aber auch durchaus ein Sparpotential. Zudem glaube ich, dass die demenzgerechte Versorgung im Krankenhaus auch ein Qualitätsmerkmal und damit ein Wettbewerbsvorteil sein kann.
Zur Person
Gabriela Stoppe ist Fachärztin für Neurologie, Psychotherapie und klinische Geriatrie und ist an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel tätig. Sie ist u. a. Autorin des Buches „Alles über Alzheimer", in dem sie auf fachlich fundierte Weise die wichtigsten Fragen zum Thema beantwortet - von Risikofaktoren über die Frage, was man selbst tun kann, wie man die Krankheit erkennt, und wie man sie behandelt.
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