Deutsches Gesundheitssystem im europäischen Vergleich
29.12.2011 -
Deutsches Gesundheitssystem im europäischen Vergleich. Immer wieder wird das deutsche Gesundheitssystem als teuer, uneffektiv und schlecht charakterisiert. Zeitungen berichten über Ausgabenexplosionen, denen nur unzureichend Maßnahmen zur Ausgabensenkung gegenüberstehen. Doch halten diese Aussagen einer objektiven Betrachtung stand? Die folgende Analyse beschäftigt sich mit Qualität und Ausgaben des deutschen Gesundheitssystems gleichermaßen und stellt den Vergleich zu anderen europäischen Ländern an.
Will man das deutsche Gesundheitssystem im europäischen Vergleich betrachten, darf man nicht - wie leider häufig der Fall – einseitig entweder Qualität oder Ausgaben untersuchen. Vielmehr müssen beide Kategorien gleichzeitig analysiert werden.
Qualität
Die Qualitätsmessung eines Gesundheitssystems ist regelmäßig mit Unsicherheiten verbunden. Bisher mangelt es in Europa hierfür an allgemein anerkannten, einheitlichen Kriterien. Ein gelungener Versuch der Vereinheitlichung von Qualitätskriterien ist der Euro Health Consumer Index (EHCI). Dieser Index wird seit 2005 jährlich ermittelt und veröffentlicht. Über insgesamt 27 Kriterien der Bereiche Patientenrechte/ Information, Wartezeiten, Ergebnisse, allgemeine Zugängigkeit und Arzneimittel erfolgt eine Analyse der Gesundheitssysteme Europas. Als Ergebnis wird eine Rangliste erstellt, welche einen Vergleich der Qualität der europäischen Gesundheitssysteme zulässt. Deutschland befindet sich in der Ausgabe 2007 des EHCI auf Rang fünf. Vor Deutschland rangieren Österreich, die Niederlande, Frankreich und die Schweiz. Im Jahr zuvor befand sich Deutschland auf Rang drei. Ausgehend vom EHCI 2007 kann also festgehalten werden, dass Aussagen hinsichtlich eines qualitativ schlechten deutschen Gesundheitswesens falsch sind. Vielmehr wird den Patienten in Deutschland eine hochwertige medizinische Gesundheitsversorgung bereitgestellt, die im europäischen Vergleich nur von wenigen Ländern punktuell übertroffen wird.
Ausgaben
Für die Beurteilung der Ausgaben ist das Verhältnis von Gesundheitsausgaben zum Bruttoinlandsprodukt aussagefähig. Gemessen an dieser Kennzahl hat Deutschland in Europa nach der Schweiz und nach Frankreich die dritthöchsten Gesundheitsausgaben. Diese Aussage legt zunächst den Schluss nahe, dass Deutschland ein teures Gesundheitssystem unterhält. Der Vergleich von Qualität und Ausgaben zeigt allerdings, dass ein starker Zusammenhang zwischen diesen beiden Kategorien besteht. Vier der fünf qualitativ besten europäischen Gesundheitssysteme sind unter den fünf Ländern mit den höchsten Gesundheitsausgaben im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt zu finden. Ein qualitativ hochwertiges Gesundheitssystem verursacht tendenziell höhere Ausgaben als ein qualitativ geringer einzuschätzendes Gesundheitssystem. Zwischen 1996 und 2005 hat sich das Verhältnis von Gesundheitsausgaben zum Bruttoinlandsprodukt in Deutschland kaum erhöht; ein nahezu konstanter Verlauf ist zu erkennen. Aussagen, dass in den vergangenen Jahren eine Ausgabenexplosion im deutschen Gesundheitswesen zu verzeichnen ist, werden durch diese Betrachtung nicht bestätigt.
Qualität und Ausgaben
Um eine ausgewogene Aussage über die Positionierung des deutschen Gesundheitswesens im europäischen Vergleich abgeben zu können, ist eine verknüpfte Betrachtung von Qualität und Ausgaben vorzunehmen. Hierfür wird die Kennzahl Ausgabeneffizienz – als Verhältnis von Qualitätsaussage gemäß EHCI und Verhältnis der Gesundheitsausgaben zum Bruttoinlandsprodukt – für die europäischen Länder gebildet und in einer Rangliste dargestellt (Abb. 1). Deutschland ist in dieser Rangliste im Mittelfeld zu finden. Insbesondere die Niederlande und Österreich, welche gemäß EHCI 2007 ein qualitativ besseres und gleichzeitig auf der Grundlage des Verhältnisses von Gesundheitsausgaben zum Bruttoinlandsprodukt kostengünstigeres Gesundheitssystem als Deutschland haben, stehen auf dieser Rangliste deutlich vor Deutschland. Die gute Qualität des deutschen Gesundheitssystems ist also mit vergleichsweise hohen Ausgaben verbunden.
Optimierungspotential
Die Rangliste der Ausgabeneffizienz lässt vermuten, dass das deutsche Gesundheitssystem gegenüber vergleichbaren Ländern qualitatives und quantitatives Optimierungspotential hat. Der Sechs-Länder-Vergleich des Commonwealth Fund 2005 sowie der EHCI 2007 zeigen beispielsweise folgende qualitative Schwachpunkte des deutschen Gesundheitssystems auf:
- Patientenrechte/Versicherungsschutz gegen Arztfehler/Elektronische Patientenakte
- Offenlegung von Qualitätsdaten
- Verbindung von ambulanter und stationärer Behandlung
- Doppeluntersuchungen
- Kommunikation zwischen Arzt und Patient
- Aufklärung zu Medikamenten
Der europäische Vergleich der Gesundheitsausgaben zum Bruttoinlandsprodukt nach einzelnen Ausgabenbereichen zeigt, dass Deutschland ausgabenseitig Effizienzreserven insbesondere in den Bereichen Gesundheitsverwaltung, medizinische Waren sowie ambulante Leistungen hat. Im Bereich der Ausgaben für Krankenhausleistungen steht das deutsche Gesundheitssystem im europäischen Vergleich inzwischen gut da.
Fazit
Das deutsche Gesundheitssystem ist keinesfalls pauschal als teuer, uneffektiv oder gar schlecht zu bezeichnen. Die Gesundheitsausgaben in Deutschland haben in den vergangenen Jahren auch keiner Ausgabenexplosion unterlegen. Vielmehr hat Deutschland ein qualitativ hochwertiges, wenngleich nicht durchgehend ausgabeneffizientes Gesundheitssystem. Vergleichsweise hohe Ausgaben hat Deutschland bei der Gesundheitsverwaltung, den medizinischen Waren und den ambulanten Leistungen. Hingegen ist Deutschland bei den Ausgaben für die Krankenhausleistungen inzwischen durchaus wettbewerbsfähig.