Gesundheitsreform: Seminar in Bad Berka vom Verband der Privatkrankenanstalten in Thüringen
27.08.2011 -
Gesundheitsreform: Seminar in Bad Berka vom Verband der Privatkrankenanstalten in Thüringen. „Das richtige Thema zur rechten Zeit und noch dazu hochkarätige Referenten – es passte einfach alles.“ Vollauf zufrieden war Detlef Bätz, Geschäftsführer des Verbandes der Privatkrankenanstalten in Thüringen (VPKT), mit dem Ergebnis eines langen Seminartages. Seit 16 Jahren bietet der VPKT im Bad Berkaer Zentralklinikum alljährlich ein Podium für gesundheitspolitische und Fachdiskussionen.
Die Veranstaltung des 2008er Jahrgangs unter dem Titel „Gesundheitswesen 2009 – Aufbruch zu neuen Ufern“ erwies sich dabei als besonderer Magnet. 153 Teilnehmer kamen; rund ein Drittel mehr als im Vorjahr. „Angesichts der Vielzahl kommerzieller Seminarangebote … ist das ein phantastisches Ergebnis“, lautet auch Otto Böttchers erfreutes Fazit. Der Blick des amtierenden Vorstandssitzenden des VPKT galt aber schon künftiger Herausforderung: „Das hängt für uns die Hürde für 2009 enorm hoch“.
Offener Austausch
VPKT-Seminare haben traditionell einen guten Ruf: Gesundheitspolitiker, Wissenschaftler und Spitzenleute von Krankenkassen und Mediziner reden hier mit-, statt übereinander. So war es auch dieses Jahr – am Vormittag tagte man zunächst in großer Runde. Nachmittags dann folgten weitere Referate – speziell auf den Akut- und den Reha-Bereich zugeschnitten.
Derzeit heiß diskutiert ist das Thema Gesundheitsfonds. Er soll ab 1. Januar 2009 in Kraft treten. Aber dieser maßgebliche Bestandteil der 2007 von der SPD/CDU/CSU-Koalition verabschiedeten Reform des Gesundheitswesens scheidet die Geister. Zunehmend mehren sich die Stimmen, die deutliche Nachbesserung fordern, wenn nicht gar eine Aussetzung der Pläne.
Zunächst hatte der Leiter der Zentralabteilung im Thüringer Sozialministerium, Dr. Falk Oesterheld, seine Bedenken genannt. Vor allem die „Konvergenzklausel“ stehe in der Kritik. Sie soll den Betrag der Geberländer auf 100 Mio. € jährlich begrenzen und wurde auf maßgeblichen Druck aus Bayern etabliert. Ein aktuelles Gutachten habe nun festgestellt, dass aber dadurch besonders Thüringen und Sachsen benachteiligt würden. Fände die Klausel Anwendung, dann bekäme der Freistaat beispielsweise ab 2009 jährlich rund 129 Mio. € weniger Zuweisungen. Hinzu kämen durch den vereinheitlichten Krankenkassen- Beitrag „von wahrscheinlich 14,9 %“ zusätzliche Mehrbelastungen der Beitragszahler und der Arbeitgeber von geschätzten 200 Mio. €. „Mit großer Sorge“ sei man deshalb in Thüringen, weil das Bundesgesundheitsministerium dieses kritische Gutachten nicht anerkannt habe und prognostiziere daher „derzeit unübersehbare Folgen“.
Reform der Reform
Auch Frank Storsberg, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der AOK Plus, konnte dem Reformvorhaben „in seiner derzeitigen Form“ nicht viel abgewinnen. Er kritisierte, „dass kaum jemand in der Bevölkerung inzwischen noch nachvollziehen kann, was das eigentliche Ziel der Reform“ sei. Einer aktuellen FORSAUmfrage zufolge gehe das 79 % der Deutschen so. Der AOK-Manager konstatierte zwar, dass „diese Gesundheitsreform umfassend als Reform der Strukturen, der Organisation und der Finanzierung“ gedacht gewesen sei und die gesetzlichen wie privaten Krankenversicherungen betreffen sollte. Aber er könne die gewünschten Effekte nicht erkennen. Er gab zu bedenken, dass „wir in fünf Jahren nicht über den Wettbewerb zwischen den Ärzten reden werden müssen, sondern darüber, woher wir genug Mediziner für die Grundversorgung bekommen“. Auch mangele es angesichts des Verlusts der Beitragsautonomie für die Krankenkassen an tragfähigen Anreizen für Kosten- und Leistungsoptimierung und deshalb final an tatsächlicher Transparenz wie Vorteile für das einzelne Kassenmitglied. Wie andere an diesem Tag prophezeite er, dass angesichts schon jetzt sichtbarer massiver Mängel am Grundkonzept unmittelbar nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr „die Reform der Reform“ beginnen werde. „Die Halbwertszeit von Gesundheitsreformen wird immer kürzer“, klagte der AOK-Spitzenmann daher.
Qualität zum Discount-Tarif?
Wolfgang Pföhler, der Vorstandsvorsitzende der Rhön-Klinikum AG (Bad Neustadt), reduzierte das zu erwartende Ergebnis der Reform in die griffige wie provokante Formel: „Spitzenleistungen zu Schnäppchenpreisen“. Ohne auch nur annähernd die Folgen der demografischen Entwicklung zu bedenken, würden gedeckelte Budgets und geringere Zuweisungen an die Leistungserbringer stetig steigende Lohn- und sonstige Kosten entgegenstehen. Schon jetzt aber gebe es einen „immensen Investitionsstau“ in den Kliniken, Rationierung breche sich Bahn, Wartezeiten wüchsen unabsehbar an. Im ländlichen Raum sei schon jetzt der uneingeschränkte Zugang zu medizinischen Leistungen nicht mehr gewährleistet. „Doch die anstehende Reform gibt weder auf die aktuellen, geschweige denn auf künftige Fragen eine befriedigende Antwort.“ Pföhler forderte daher adäquate Vergütung der Leistungen. Zu sichern wäre dies „durch zunehmend mehr, aber dabei sozial gerechte Eigenbeteiligungen der Patienten und länderfinanzierte Investitionszuschüsse, basierend auf Fallpauschalen“. Außerdem reklamierte er ausreichenden unternehmerischen Spielraum durch weitere Öffnung der Kliniken für ambulante Leistungen und durch Freigabe der Leistungsmengen. „Statt Personalstärke und Strukturqualitäten zu bestimmen, sollte sich der Staat auf die engere Rahmenplanung wie z. B. die Gesamtbettenzahl und die Vorgaben für Fachbereiche beschränken.“ Begleitet werden solle dies durch einen „echten Qualitätswettbewerb, der anstelle des derzeitigen und plumpen Preis- und Rabattwettbewerbs“ treten solle. Der Vorstandsvorsitzende stellte seine Idee einer künftigen Struktur zur Diskussion: er habe die Vision eines Dreiklangs „aus wohnortnahen Einrichtungen der Grundund Regelversorgung, ergänzt von regionalen medizinischen Hochleistungszentren, die durch eine hochflexible Struktur miteinander vernetzt“ würden.
K.o.-Kriterium Finanzierbarkeit
Prof. Günter Neubauer, der Direktor des renommierten Münchner Instituts für Gesundheitsökonomik, machte darauf aufmerksam, dass „alle Industrienationen mehr oder minder derzeit vor dem selben Problem stehen – nämlich ihre Gesundheitssysteme nicht mehr finanzieren zu können“. Wissenschaftlicher Fortschritt lasse die Kosten der Diagnostik explosionsartig steigen. Trotz stetig wachsender Einkommen „vor allem bei solchen Kreisen, wie Ihnen, die Sie hier sitzen“, bliebe die Bemessungsgrenze für Krankenkassenbeiträge unverändert. Im Verhältnis dazu würden bei einer zunehmenden Zahl Deutscher Lohn, Gehalt und Rente eher geringer werden, weshalb auch das Beitragsaufkommen falle. Deshalb würde das System zunehmend durch jene finanziert, die immer weniger dazu beitragen – und müsse folgerichtig kollabieren. Dazu komme eine strukturelle Schieflage, „denn Deutschland hat – pro Kopf der Bevölkerung gerechnet – beispielsweise doppelt so viele Krankenhausbetten wie Finnland oder die Niederlande.“ Außerdem werde die Lebenserwartung „wegen der aktuellen Generation der übergewichtigen und bewegungsunfähigen Kinder“ wieder sinken, prognostizierte der Wissenschaftler. Daher stünden später noch weniger zur Verfügung, die einzahlten. An all dem aber ändere der aktuelle Reformansatz nichts. Deshalb hatte Prof. Neubauer auch speziell für den Gesundheitsfonds – unter zustimmenden Beifall des Publikums – nur wenig Schmeichelhaftes übrig: „Ich werde hier nichts schön reden, was nicht schön ist.“ Anstatt eine Zweiklassen-Medizin zu verhindern, die seiner Ansicht nach im Übrigen schon vorhanden sei, würden die aktuellen Veränderungen solche Erscheinungen eher etablieren und verfestigen. Seine Prognose für die kommenden Jahre lautete daher: „2011 wird die Politik über die Einführung der Kopfpauschale reden und nach der übernächsten Bundestagswahl bekommen wir ein System aus Grund- und Wahlleistungen …“
Prominenter Desillusionist
Einer der renommiertesten Kritiker der 2007er Gesundheitsreform ist Prof. Dr. Dr. (Harvard) Karl Lauterbach. Seinem Auftritt sah das Fachpublikum besonders gespannt entgegen. Das Mitglied des Bundestags- Gesundheitsausschuss machte es dann auch ausgesprochen spannend – zunächst aber, weil er auf sich warten ließ. Der SPD-Politiker bekannte, den Verkehr in Thüringen unterschätzt zu haben. Unterschätzt habe er aber auch die negativen Auswirkungen der 2007er Reformwerkes, im Besonderen die des geplanten Gesundheitsfonds. Und dies, obwohl er gegen die Pläne gestimmt habe. „Die aktuellen Probleme haben wir aber auch, weil es nichts taugt, wenn man ein schlecht gemachtes Gesetz noch verbessern will.“ Da wollte, da konnte ihm niemand widersprechen.