Gesundheitsökonomie

Prof. Felix Tretter: Ein Verfechter des Systemischen Managements im Gespräch

27.01.2011 -

Prof. Felix Tretter ist begeisterter Anhänger des Systemischen Managements, das – vereinfacht gesagt – eine Organisation als dynamisches, lebendiges System in den Mittelpunkt stellt. Im Gespräch mit Eva Britsch erläuterte der Chefarzt des Fachbereichs Sucht am Klinikum München-Ost, warum das klassische Führungskonzept überholt ist und wie eine systemische Sichtweise den Bürokratismus demaskiert.

M & K: Sie sind Chefarzt des Fachbereichs Sucht am Klinikum München-Ost. Wie sind Sie dazu gekommen, das Systemische Management als Leitlinie Ihrer Führungsaufgaben zu nutzen?

Prof. Felix Tretter: Nach dem klassischen autokratischen Führungskonzept des Chefarztes lässt sich ein Krankenhaus oder eine Fachabteilung nicht mehr führen, denn die Aufgabenkomplexität ist heute zu heterogen und umfangreich, um sie als Einzelperson noch bewältigen zu können. Der Betrieb ist für die Leitung auch immer zu großen Teilen eine Black Box, die sich immer wieder wandelt. Auch ein konsequentes Kontrollkonzept ist da erfolglos. Es ist daher wichtig, ein Konzept vom Betrieb zu haben, das ihn nicht als starre Maschine, sondern als komplexes lebendes System erfasst. Auch treten in Untereinheiten viele Selbstorganisationsphänomene auf, die weder andauernd erfassbar, noch steuerbar sind. Es stellt sich also die Frage nach der optimalen Dezentralisation von Kontrolle. Auf der Suche nach einem wissenschaftlich begründeten Leitkonzept der Gestaltung von Führungsstrukturen und Führungskultur habe ich mich und das Führungsteam meiner Abteilung für das systemische Konzept entschieden. Dies lag auch daran, dass ich mich in meiner organisationssoziologischen Doktorarbeit in den 1970er Jahren bereits mit Managementkybernetik und systemischen Denken im Gesundheitswesen wissenschaftlich befasst hatte.

Was unterscheidet diesen Organisationsstil von anderen?

Prof. Felix Tretter: Betriebe werden als lebende komplexe dynamische Systeme verstanden und daher werden Strukturgestaltungen an Prozessoptimierungen ausgerichtet und außerdem wird dem Bereich Information mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Letzteres bedeutet, dass die mentale Karte, die die Leitung wie auch die nach geordneten Mitarbeiter vom Betrieb haben, ein mehrdimensionales Netzwerkmodell ist, das unter Umständen auch am Computer simuliert werden kann und nicht nur ein typisches Organigramm der betrieblichen Aufbaustruktur ist. In diesen mentalen systemischen Karten sind gegenläufige Wirkungspfade der einzelnen Steuerungsgrößen, wie wir sie etwa aus der Balanced Score Card Systematik kennen, repräsentiert und dynamisiert. Das lässt Konfliktkonstellationen und Nebenwirkungen von Managementimpulsen leichter erkennen.

Nennen Sie doch ein konkretes Beispiel, an dem sich das Systemische Management im Klinikalltag illustrieren lässt!

Prof. Felix Tretter: Die Steuerungsgrößen Kundenzufriedenheit, Mitarbeiterqualität, finanzielle Ressourcen und Prozessqualität zeigen wechselseitige Einflüsse, die streckenweise zu Blockaden und streckenweise zu Verstärkungen führen: Wird mehr Geld in die Mitarbeiterqualifikation investiert, ist dies zunächst eine Ausgabe, die aber in eine gesteigerte Qualität des Behandlungsprozesses münden kann, was wieder eine höhere Kundenzufriedenheit mit sich bringt, was wieder zu mehr neuen Kunden und damit wieder zu mehr Geld in der Klinikkasse führen kann usw. Damit ist ein Feedback- Loop identifiziert, dessen Wirkungsstärke und Dynamik genauer abgeschätzt werden kann, vor allem da andere Wirkgrößen diese Prozesse mitbestimmen. Professionelle Modellierungen berücksichtigen mehrere Dutzend miteinander vernetzter Variablen, was ohne technische Mittel des systemischen Denkens, wie es beispielsweise Computersimulationen sind, keinen Erklärungswert hat.

Hilft das Systemische Management auch, den immer größeren bürokratischen Aufwand, der durch stetig komplexer werdende gesundheitspolitische Vorgaben entsteht, zu bewältigen?

Prof. Felix Tretter: Soweit es gesetzlich bedingte Vorgaben betrifft natürlich nicht, aber es hilft kreativere und gangbarere Lösungen zu entwickeln, insofern den Merkmalen Komplexität, Vernetztheit, Dynamik und Nichtlinearität zentrale Aufmerksamkeit gewidmet wird. Allerdings ließe sich systemisch zeigen, dass die Bürokratie das Gesundheitswesen zunehmend dysfunktional und pseudoökonomisch werden lässt.

Herr Prof. Tretter, vielen Dank für das Gespräch!

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