Schnittstellen in der Gesundheitsforschung besetzen
06.11.2018 -
Die stetig steigenden Gesundheitsausgaben hierzulande erfordern kostenintelligente Innovationen, die durch Konvergenz an den Schnittstellen der wissenschaftlichen Disziplinen entstehen. Prof. Gerd Geisslinger ist Gesundheitsforschungs-Beauftragter der Fraunhofer-Gesellschaft. Im Gespräch erläutert er, warum Fraunhofer dazu prädestiniert ist, die Probleme in der Gesundheitsforschung anzugehen und die vier großen Themenfelder – Drugs, Diagnostics, Data und Devices – optimal miteinander zu verknüpfen.
Warum richtet die Fraunhofer-Gesellschaft einen Fokus auf die Gesundheitsforschung?
Zu den größten volkswirtschaftlichen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte gehören die stetig steigenden Kosten im Gesundheitswesen. Die Gesundheitsausgaben in Deutschland haben im Jahr 2016 erstmals die Marke von einer Milliarde Euro pro Tag überschritten. Für 2017 prognostiziert das Statistische Bundesamt einen Anstieg um circa fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Damit steigen die Gesundheitsausgaben viel schneller als das Bruttoinlandsprodukt, was zu erheblichen Problemen bei der Gesundheitsversorgung führen wird.
Wie kann die Gesellschaft diesen Problemen begegnen?
Die Entwicklung innovativer und gleichzeitig kostenintelligenter Verfahren in der Gesundheitsversorgung wird insbesondere durch Innovationen ermöglicht, die durch Konvergenz an den Schnittstellen der wissenschaftlichen Disziplinen entstehen. Nur mit neuartigen Kooperationsformaten kann die Translation neuer, kosteneffizienter Ideen in die Anwendung gelingen. Dabei beobachten wir derzeit allgemein eine beginnende Kooperation zwischen den vier großen Bereichen Drugs, Diagnostics, Data und Devices, den 4D. Gegenwärtig sind nur anwendungsorientiert forschende und stark interdisziplinär operierende Organisationen wie die Fraunhofer-Gesellschaft in der Lage, die notwendige Bandbreite technologischer Disziplinen für kosteneffiziente Innovationen abzudecken und zu kombinieren.
Wie kann Fraunhofer die 4D zusammenbringen?
Für mich repräsentieren die 4D im Endeffekt auch vier Berufsgruppen: Ärzte, Naturwissenschaftler, Informatiker und Ingenieure. Bei Fraunhofer arbeiten diese Berufsgruppen wie bei keiner anderen Forschungsorganisation unter einem Dach zusammen und besetzen damit die Schnittstellen zwischen den 4D. Das verschafft Fraunhofer in der Gesundheitsforschung eine hervorragende Ausgangsposition.
Inwieweit engagiert sich Fraunhofer bereits heute in der Gesundheitsforschung?
Fraunhofer ist bislang trotz seiner innovativen Lösungen als wichtiger Player in der Gesundheitsforschung zu wenig sichtbar, obwohl man sich in der translationalen Gesundheitsforschung keineswegs verstecken muss. Immerhin beschäftigen sich 45 der 72 Fraunhofer-Institute mit diesem Thema. Rund 15 Prozent des Forschungs- und Entwicklungsbudgets von Fraunhofer fließen in Projekte der Gesundheitsforschung. Das Spektrum reicht dabei von der Prävention über Diagnostik und Therapie bis hin zur Pflege.
Wie sollen die vorhandenen Kompetenzen gebündelt werden?
Die Gesundheitsforschung zu stärken, ist ein wichtiges Anliegen des Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft, Prof. Reimund Neugebauer. Wir setzen den neuen Geist der Kooperation entlang der 4D auf vielen Ebenen um. Dazu gehören unter anderem Stiftungsprojekte und Leistungszentren, bei denen wir eng mit der Universitätsmedizin zusammenarbeiten. Ein Beispiel ist das Leistungszentrum für Translationale Medizintechnik in Hannover.
Im Januar wurde der Fraunhofer-Cluster of Excellence für immunmediierte Erkrankungen gegründet, in dem die 4D in einem virtuellen Institut abgebildet werden. Darüber hinaus läuft zurzeit die Ausschreibung für ein Leitprojekt zum Thema kostenintelligente Lösungen in der Medizin. Indem wir die 4D systematisch zusammenbringen, kann die anwendungsorientierte Forschung einen hohen Mehrwert erzielen.
Das Interview führte Christine Broll.