Zentrumsbildung in der Notfall- und Akutmedizin
09.05.2012 -
Steigende Patientenzahlen, keine eigene Facharztausbildung für klinische Notfallmedizin und wechselnde politische Rahmenbedingungen: Die Notaufnahmen deutscher Krankenhäuser stehen vor zahlreichen Herausforderungen.
Während Fachwelt und Öffentlichkeit bereits erste Versorgungsengpässe befürchten, zeigt das Kath. Marienkrankenhaus Hamburg, wie sich die Notfallmedizin zu einem wichtigen Innovationsmotor entwickeln kann.
Bedingt durch den demografischen Wandel und die Umstrukturierungen in der kassenärztlichen Notfallversorgung steigt die Zahl der Notfallpatienten in deutschen Kliniken weiter an. Aktuellen Angaben der Deutschen Gesellschaft Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin e. V. (DGINA) zufolge, kommen jährlich rund 12 Mio. Patienten als Notfälle in deutsche Krankenhäuser. Damit sind die Notaufnahmen Anlaufstelle für 40 bis 50 % aller Patienten, die in Kliniken behandelt werden. Zudem sind Notaufnahmen im Bewusstsein der Bevölkerung fest verankert als Anlaufpunkt, an den man sich rund um die Uhr und an 365 Tagen im Jahr in medizinischen Notfällen wenden kann.
Mangelnde Professionalisierung
Trotz dieser Schaltstellenfunktion in der medizinischen Versorgungskette, fehlt es vielerorts an einer entsprechenden Professionalisierung. Anders als etwa in den USA und dem überwiegenden Teil Westeuropas gehören zentrale und interdisziplinäre Notaufnahmen unter einer eigenständigen Leitung in Deutschland immer noch zu den absoluten Ausnahmen. Häufig wird nach dem Muster dezentral organisierter Einheiten verfahren, die in der Verantwortung einzelner Fachabteilungen liegen. Auch die immer noch fehlende Ausbildung zum Facharzt für Notfallmedizin trägt zum vorherrschenden Bild des „Stiefkinds Notfallmedizin" bei.
Um dennoch eine hochwertige, sichere und gleichzeitig effiziente Patientenversorgung zu leisten, ist die frühzeitige Reaktion auf neue medizinische und ökonomische Rahmenbedingungen erforderlich. Am Kath. Marienkrankenhaus Hamburg hat dieser Ansatz eine lange Tradition. Als eine der ersten Kliniken in Deutschland führte das Marienkrankenhaus 1985 eine Interdisziplinäre Notaufnahme ein. In diesem gemeinsamen Aufnahmebereich, der nicht mehr nach Unfallchirurgen oder Internisten trennte, sorgten Ärzte aller Fachabteilung für eine fachspezifische Versorgung der Patienten. Im Zuge der weiteren Professionalisierung erfolgte 2010 der nächste Schritt - die Überführung in eine Zentrale Notaufnahme als eigenständige Abteilung der Klinik. Unter der Führung eines Leitenden Arztes wurde die Spezialisierung in der Notfallmedizin im Sinne neuer interdisziplinärer Behandlungsansätze weiter vorangetrieben.
Notfallmedizin 2.0
Wiederum als einer der Vorreiter in Deutschland entschied sich das Marienkrankenhaus nun im Juni 2011 zu einer grundlegenden Neustrukturierung seiner Notfallmedizin. Mit dem Zentrum für Notfall- und Akutmedizin wurde eine Organisationsform geschaffen, die bundesweit einmalig sein dürfte und die im Februar 2012 als erstes Zentrum dieser Art nach DIN EN ISO 9001:2008 zertifiziert wurde. Das Zentrum, in dem rund 35.000 Patienten pro Jahr behandelt werden, steht unter der Führung eines Leitenden Arztes und basiert auf den Säulen Hochleistungs-Notfallmedizin, Allgemeine Akutmedizin sowie Kurzstationäre Notfallmedizin. Für die Diagnostik und Therapie stehen in der Notaufnahme elf separate Behandlungsräume mit der Möglichkeit der intensivmedizinischen Therapie sowie sieben Überwachungsplätze für eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung der Patienten zur Verfügung. Eingebunden sind eine Zertifizierte Chest Pain Unit, eine Zertifizierte Stroke Unit und ein Zertifiziertes Traumazentrum für Unfallverletzungen, in denen die Behandlung den Voraussetzungen der jeweiligen Fachgesellschaften und Anforderungen der Versicherungsträger entspricht.
Eine wesentliche Besonderheit der Zentrumskonstruktion, die das Marienkrankenhaus von anderen Ansätzen unterscheidet, ist die Einbindung einer akutmedizinischen Versorgungsstruktur in eigener Regie. Hintergrund: Immer mehr Patienten suchen die Notaufnahmen der Krankenhäuser mit Krankheitsbildern auf, die auch im niedergelassenen Bereich versorgt werden könnten. Diese Patienten stehen zwar häufig unter einem hohen persönlichen Leidensdruck, benötigen jedoch nicht das umfassende Spektrum und das medizintechnische Equipment einer professionellen Notaufnahme. Auch wenn diverse Tools wie die Manchester-Triage dabei helfen, die jeweilige Behandlungsdringlichkeit systematisch zu erfassen, binden diese Patienten naturgemäß wichtige Ressourcen wie Personal und Logistik, die vor allem für die Versorgung schwerer Notfälle benötigt werden. Unter anderem deshalb gab es am Marienkrankenhaus bereits vor sieben Jahren eine in Eigenregie organisierte, von einem Verbund niedergelassener Ärzte getragene Hausärztliche Notfallpraxis, die den Patienten am Wochenende und an Feiertagen zur Verfügung stand. Dieses Angebot gleicht den auch in anderen Krankenhäusern bereits teilweise eingerichteten KV-Notfallpraxen oder von kooperierenden Ärztenetzen betriebenen Go-In-Praxen, greift jedoch bei dem derzeit detektierten Bedarf der Patienten zu kurz.
Mit der Praxis für Allgemeine Akutmedizin eröffnet das Zentrum für Notfall- und Akutmedizin Patienten nun an jedem Tag im Jahr zu ausgedehnten Sprechzeiten die Wahl zwischen einer akutmedizinischen Behandlung und der Betreuung in der Notaufnahme. Als Medizinisches Versorgungszentrum steht die Praxis dabei keinesfalls in Konkurrenz zu den Hausärzten, sondern übernimmt die initiale Versorgung der Patienten, die anschließend wieder zurück zu ihrem behandelnden Hausarzt überwiesen werden. Ein besonderer Vorteil dieses ergänzenden Angebots: Bei Bedarf kann jederzeit auf die Klinikanbindung des Zentrums zugegriffen werden.
Neben der Hochleistungs-Notfallmedizin und der Akutmedizin bietet das Zentrum zudem eine eigene Kurzzeitstation, die dem Zentrum räumlich angeschlossen ist. Hier werden Patienten aufgenommen, deren Krankheit weder die Aufnahme in eine der Fachabteilungen erfordert, noch eine Entlassung nach Hause erlaubt. Bis zu 24 Stunden können Patienten auf der Kurzzeitstation mit sieben Überwachungsplätzen rund um die Uhr beobachtet und behandelt werden, um über die weitere stationäre oder ambulante Therapie zu entscheiden.
Fazit: Kompetenzen teilen - Eigenständigkeit stärken
Die Zentrumsstruktur erlaubt die Integration der Leitlinien und Verantwortungsstrukturen der etablierten Fachgesellschaften sowie der verschiedenen Versicherungsträger, ohne dabei die Eigenständigkeit der klinischen Notfallmedizin zu beschneiden. Im Gegenteil: Sie ermöglicht die Etablierung der klinischen Notfallmedizin auf Augenhöhe mit den anderen an der Notfallversorgung beteiligten Fachkliniken und könnte so auch ein Modell sein, in das sich ein eigener Facharzt für Notfallmedizin nach europäisch-angelsächsischem Vorbild problemlos integrieren ließe.
Eine derart grundlegende Neuordnung der Notaufnahmen wie am Marienkrankenhaus Hamburg ist zweifellos mit zahlreichen strategischen Entscheidungen auf Leitungsebene verknüpft. Wesentlich ist dabei der Konsens darüber, die Notfallversorgung der einzelnen Fachdisziplinen in die neu geschaffenen Strukturen einzubringen und Kompetenzen anders zu verteilen. Nur so kann die Notfallmedizin ihre eigene Fachlichkeit im Dialog mit den bestehenden Fachdisziplinen entwickeln und etablieren, um letztlich die Patientenversorgung zu verbessern und gleichzeitig den aktuellen medizinischen, prozessualen und ökonomischen Entwicklungen Rechnung tragen.
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