Hygiene

Nosokomiale Infektionen: Hygiene allein reicht nicht aus

18.11.2010 -

Nosokomiale Infektionen treten in deutschen Krankenhäusern rund 400.000 bis 600.000 pro Jahr auf. Rund ein Viertel dieser Infektionen könnten vermieden werden. Für die Bekämpfung im Krankenhausalltag, ist ein multidisziplinärer Ansatz notwendig. Dr. Thomas Hauer, Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin und ärztlicher Leiter im Deutschen Beratungszentrum für Hygiene, informiert darüber, wie ein sinnvolles Infektionsmanagement aussehen muss und was in der Praxis zu tun ist, um Fehler und damit Infektionen zu vermeiden.

M & K: Was sind die personellen und organisatorischen Voraussetzungen für eine effektive Infektionsprävention?

Dr. Thomas Hauer: Um Hygiene in die täglichen Arbeitsabläufe zu integrieren und umzusetzen, braucht man nicht nur den nötigen Sachverstand, der durch das Hygieneteam vermittelt wird, sondern auch ausreichende Kapazitäten des medizinischen Personals insgesamt. Nur so kann Hygiene systematisch und gut durchgehalten werden.

Eine unzureichende Personalausstattung erhöht das Risiko für vermeidbare Infektionen. Wird die personelle Situation jedoch verbessert, lässt sich eine Risiko-Reduktion erreichen. Investitionen in Personal sind daher wichtig, und - wie gesagt - das gilt nicht nur für Hygienefachpersonal, sondern auch für die Mitarbeiter in der direkten Patientenversorgung. Letztere müssen nämlich die vom Krankenhaushygieniker und der Hygienefachkraft eingebrachten infektionsprophylaktischen Gesichtspunkte in der Praxis umsetzen.

Worauf muss das Krankenhaus-Personal achten, wenn es präventive Maßnahmen umsetzt?

Dr. Thomas Hauer: In der infektionspräventiven Medizin gilt wie sonst auch der Grundsatz, dass Nutzen und möglicher Schaden für den Patienten gegeneinander abgewogen werden müssen. Jede medizinische Maßnahme hat „Nebenwirkungen": Das gilt nicht nur für Medikamente, sondern auch für Hygienemaßnamen. Ein gutes Beispiel ist die Isolierung eines Patienten zum Schutze der anderen. Darunter kann die Intensität der Betreuung leiden, Reha-Maßnahmen können verzögert werden, und auch der Patient selbst kann psychisch belastet werden. Deshalb muss in der Krankenhaushygiene genau überlegt werden, wo welche Hygienemaßnahmen für wie lange tatsächlich durchgeführt werden müssen.

Wie wichtig sind dabei Standard-Hygienemaßnahmen?

Dr. Thomas Hauer: Krankenhäuser müssen ein Konzept haben, mit dem jeder Patient ungeachtet seines Infektionsstatus so versorgt werden kann, dass andere Patienten und Personal nicht gefährdet werden. Das moderne Konzept der Standardhygiene ist dafür die grundsätzliche Basis, denn mit ihrer Hilfe kann bei allen Patienten das Übertragungsrisiko nosokomialer Infektionen deutlich reduziert werden, schon bevor die Infektionsdiagnostik abgeschlossen ist.

Die Standardhygiene spielt also eine entscheidende Rolle, damit solche Patienten betreut werden können, bei denen man (noch) nicht weiß, mit welchen Erregern sie infiziert oder kolonisiert sind. Natürlich ist Hygiene nicht die einzige Maßnahme, mit der Behandlungskomplikationen verhindert werden können. Vielmehr ist sie Bestandteil eines gesamten Qualitätsmanagement-Konzepts zur Verbesserung der Behandlungsqualität und Patientensicherheit.

Wie genau sieht dieses Gesamtkonzept aus?

Dr. Thomas Hauer: Um multiresistente Erreger zu bekämpfen, reicht Hygiene im Sinne von Barrieremaßnahmen allein nicht aus. Vielmehr ist ein multidisziplinärer Ansatz nötig, zu dem auch eine fachgerechte Antibiotika-Therapie gehört. Dabei nimmt der behandelnde Arzt eine zentrale Position ein, weil er die Indikation stellt und das Antibiotikum verschreibt.

Er sollte aber auf Leitlinien zurückgreifen können, die unter Berücksichtigung der lokalen Resistenzsituation für das jeweilige Krankenhaus ausgearbeitet wurden. Dadurch können zu lange und/oder zu breit angelegte Therapien, aber auch überflüssige Kontrolluntersuchungen vermieden werden. Umgekehrt kann die Sicherheit und Effektivität der Behandlung verbessert werden. Dadurch ergeben sich nicht nur geringere direkte Antibiotika-Kosten, sondern, was noch wichtiger ist, auch kürzere Liegezeiten aufgrund einer gezielteren Therapie.

Hygiene spielt aber nicht nur bei den Arbeitsabläufen und der Therapie eine wichtige Rolle. In welchen Bereichen steckt zusätzliches Einsparpotential?

Dr. Thomas Hauer: Ein Feld, in dem häufig viel Einsparpotential vorhanden ist, ist die Bauplanung. Hier sollte schon im Vorfeld hinterfragt und geklärt werden, ob beispielsweise Schleusen tatsächlich notwendig sind, welche Raumlufttechnik zur Infektionsprophylaxe erforderlich ist und welche Materialien günstig sind.

Lassen Sie uns kurz auf die Schleusen zu sprechen kommen. Vor einigen Jahrzehnten ging man noch davon aus, dass sie die Infektionsrate im OP senken.

Dr. Thomas Hauer: Mittlerweile ist aber wissenschaftlich nachgewiesen, dass das nicht stimmt. Nehmen wir die Umkleideräume fürs Personal in OP-Abteilungen: Die können problemlos auch ohne räumliche Aufteilung im Sinne einer Dreikammerschleuse konzipiert werden. Ähnlich verhält es sich mit Schleusen, in denen der Patient für die Übergabe in den Operationssaal umgelagert wird. Diese müssen nicht räumlich oder gar klimatechnisch abgeteilt werden. Auch separate Material- und Geräteschleusen sind zwar oft vom Arbeitsablauf her praktisch und sinnvoll, aber nicht unbedingt zur Infektionsprophylaxe notwendig. Weitere Einsparmöglichkeiten können realisiert werden, wenn Lokalisation und Größe der Waschmöglichkeiten im OP nach aktuellem Krankenhaus-hygienischen Wissenstand konzipiert werden.

Haben Sie weitere Beispiele aus der Praxis?

Dr. Thomas Hauer: Häufig werden Waschbecken an Stellen eingebaut, wo man sie nicht braucht. Sie sollten nur dort vorhanden sein, wo die Hände wirklich gewaschen werden müssen. Ansonsten schafft man der Wasserqualität abträgliche „Tot"-Stränge. Bei der Instrumentenaufbereitung können nicht selten unnötige Resterilisationen vermieden werden, wenn ein modernes Lagerkonzept vorhanden ist. Noch einmal zur Raumlufttechnik: Gerade die in Anschaffung und Unterhalt sehr teure Laminar-Airflow-Technologie schneidet in wissenschaftlichen Untersuchungen mittlerweile schlecht ab, was ihre infektionsprophylaktische Wirkung angeht.

Genau diese Technik wenden viele Kliniken mittlerweile aber an. Sollten sie den Laminar Airflow aus ökonomischen Gründen besser wieder ausbauen?

Dr. Thomas Hauer: Das lässt sich pauschal nicht beantworten. Da muss man individuell durchrechnen, in welchem Verhältnis die Kosten für die Umbaumaßnahme zum Weiterbetrieb der Anlage über viele Jahre stehen.

Kontakt

Deutsches Beratungszentrum für Hygiene BZH

Schnewlinstr. 4
79098 Freiburg

+49 761 202678 0
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