Integrierte Versorgung und intersektorale Kommunikation in Neuseeland
Ein Vorbild für Deutschland?
Die Zeichen stehen auf Veränderung: Die Ära fragmentierter Behandlungsketten geht ihrem Ende zu. Längst hat man in vielen Gesundheitssystemen erkannt, dass sich die anstehenden Herausforderungen - zunehmende Nachfrage aufgrund des demographischen Wandels, höhere Anforderungen an Qualität und enge Budgets - nur durch eine Umstrukturierung bewältigen lassen. Patienten müssen künftig über die gesamte Behandlungskette gesteuert werden, von der Primärversorgung über die stationäre Behandlung bis hin zu Rehabilitation und Altenpflege.
Im neuseeländischen Canterbury hat man sich seit sechs Jahren dieses gesamtheitliche Versorgungsmanagement zum Ziel gesetzt. Die Entwicklung des Canterbury District Health Board (CDHB) hin zu einer integrierten, stärker patientenorientierten, effizienteren und qualitativeren Versorgung beschreibt ein Report des King's Fund. Die Autoren Nicholas Timmins, Senior Fellow, Health Policy und Chris Ham, Chief Executive, untersuchen, wie der integrierte Ansatz die Versorgung in Canterbury verbessert hat und welche Rückschlüsse sich auch in anderen Ländern aus dieser Reform ziehen lassen.
Motor der Veränderung in Canterbury war ein Gesundheitssystem, das unter Druck gekommen und nicht zukunftssicher war. Symbolisch stand dafür die Situation des CDHB-Krankenhauses in Christchurch im Jahr 2007: Das Haus mit mehr als 500 Betten erlebte regelmäßig einen nachfragebedingten Kollaps in der Notfallmedizin und auf Normalstation. Durch diese untragbaren Umstände geriet das Krankenhaus ständig in die Schlagzeilen der Medien. Es schien, als sei der Bau eines weiteren Krankenhauses dieser Größe bis zum Jahr 2020 unvermeidbar; 20 Prozent mehr Niedergelassene und Pflegepersonal würden benötigt sowie 2.000 zusätzliche Betten für die Altenpflege.
Eine Analyse zeigte, dass dieser Weg nicht zu finanzieren war; man berief daher eine Expertengruppe ein, die unter Berücksichtigung von Six Sigma und weiteren Management- und Projektansätzen eine Lösung in Richtung verschlankter Prozesse suchen sollte. Diese Arbeitsgruppe bezog am Ende rund 2.000 der 18.000 CDHB-Mitarbeiter ein. Als zentrale Botschaft stellte sich heraus: Es sollte weiterhin ein einziges Gesundheitssystem und ein einziges Gesundheitsbudget geben. In der neuen Landkarte der Gesundheitsversorgung stand der Patient im Mittelpunkt ... und das Krankenhaus erhielt eine Position am Rand des Systems.
Der Reformweg
Bürger sollten mehr Verantwortung für ihre Gesundheit übernehmen, so eine weitere Zukunftsforderung; die Menschen sollten so lange wie möglich zu Hause in ihrem Stadtteil bleiben; und in Fällen, die zwingend eine komplexe Behandlung im Krankenhaus notwendig machen, haben die Fristen für den Zugang zur Versorgung zeitnah und angemessen zu sein.
Dieser neue Ansatz - ein Programm mit dem Namen „Xceler8" - in Canterbury hat drei Grundpfeiler: eine qualitativ hohe Primärversorgung, die Patienten vom Krankenhaus fernhält - etwa durch die Übernahme von Leistungen, die früher das Krankenhaus erbracht hatte; die schnelle Behandlung für hospitalisierte Patienten; sowie die gute gesundheitliche und soziale Betreuung in der Gemeinde. - Das Aufsichtsgremium des CDHB stimmte dem Neuentwurf der Leistungsverteilung unter den Stakeholdern zu.
Die Realisierung der neuen „Landkarte" der Leistungserbringung erforderte eine fortdauernde Investition in die Kompetenzen des Fachpersonals und der Vertragspartner - sowie neue Vertragsformen, die Kollektivcharakter tragen, Budgets offenlegen und Gewinne und Verluste vordefinieren.
Technologie spielt eine wesentliche Rolle
Der Einsatz unterstützender Technologien hat eine wichtige Funktion bei der Umsetzung der Reform. Einige von ihnen stammen aus Neuseeland - etwa HealthPathways, ein Tool, das lokal abgestimmte Best Practices umzusetzen hilft, sowie ein elektronische Einweisungs-Managementsystem (ERMS) für die gemeinsame Planung mit dem Krankenhaus. Die patientenzentrierte Website HealthInfo setzt HealthPathways in der Sprache von Laien um, und Electronic Shared Care Record View (eSCRV) - basierend auf einer Plattform des eHealth-Anbieters Orion Health - bietet den unterschiedlichen Leistungserbringern die Zugriffsplattform für zusammengefasste elektronische Akten zu jedem Patienten. eSCRV führt Informationen von Apotheken, ambulanter Pflege, Niedergelassenen sowie vom Krankenhaus und von Spezialisten zusammen. - Neben diesen Lösungen holten sich die Neuseeländer Tools, die sie über den Vergleich mit anderen Ländern identifiziert hatten, etwa Lösungen für Sturzanalysen im Homecare-Bereich und für das Medikationsmanagement.
Integrierte Versorgung wird nur möglich durch die engere Zusammenarbeit der Akteure in der gesamten Behandlungskette; Technologien wie diese, die inzwischen in Canterbury zum Einsatz kommen, ermöglichen die nahtlose intersektorale Vernetzung, die für den Erfolg zwingend erforderlich ist.
Der aktuelle Stand
Heute messen die Verantwortlichen des CDHB den Erfolg ihrer Reform an drei Indikatoren, im Vergleich zu anderen Health Boards im Land: Die Zahlen für die Akutaufnahmen sind niedrig, die durchschnittliche Verweildauer und die Wiedereinweisungsrate gering.
So sind auch die Wartezeiten für Patienten deutlich kürzer geworden; der direkte Zugriff auf diagnostische Tests für Einweiser führt u. a. zu einer verbesserten Vorbereitung der Fälle für die Facharztambulanz. Und die Budgetbilanz konnte sich sehen lassen: Im Jahr 2007 belief sich das Defizit auf 17 Millionen NZ$ bei einem Umsatz von knapp 1, 2 Milliarden NZ$; 2010/11 war man dabei, 8 Millionen NZ$ Überschuss zu generieren. Dann fand allerdings das große Erdbeben von Christchurch statt, das 185 Menschenleben kostete und zu rund 6.600 Verletzten führte. Von dieser Katastrophe erholten sich die Stadt, ihre Bewohner und das Gesundheitssystem nur schrittweise.
Heute weist das CDHB-Krankenhaus eine etwas geringere Zahl von Betten aus als vor dem Erdbeben; eine Verringerung war jedoch ohnehin nicht das Ziel der Reform, vielmehr eine Vermeidung der Ausweitung der Bettenzahl.
Die Stakeholder überzeugen
Die Veränderung eines Gesamtsystems erfordert die Beteiligung vieler. In Canterbury spielten einige wenige Führungspersonen eine zentrale Rolle, doch die Steuerung des Wandels geschah bald dezentral. Der Wandel erfordert außerdem Zeit: Canterbury hat an dem Prinzip „ein umfassendes System, ein Budget" mehr als sechs Jahre hindurch gearbeitet; dieser Weg ist noch nicht zu Ende.
Die klare Perspektive für die Zukunft der Leistungserbringung spielt die zentrale Rolle dabei, die Beteiligten in der integrierten Behandlungskette zu motivieren. Sie muss patientenzentriert sein und Doppeldiagnosen vermeiden, Patientenzeit einsparen und die Mitarbeiterzufriedenheit erhöhen. Akzeptanz für den neuen Weg bauten die Verantwortlichen insbesondere auf, indem sie ein Ende des verschwenderischen Umgangs mit der wertvollen Zeit des Patienten forderten - dies erlaubte es, den Stakeholdern gegenüber die Verschlankung der Prozesse zu argumentieren.
Das Aufsichtsgremium zeigte aber vor allem, dass es bereit ist, diesen Wertewandel engagiert mit umzusetzen; die umfassende Investition in unterstützende Technologien ist hierfür ein deutlicher Beleg.
Integrierte Versorgung - Rückschlüsse für Deutschland
Aus deutscher Sicht mag es der monolithische Ansatz der Leistungserbringung den Verantwortlichen in Canterbury erleichtern, ihr Gesamtsystem zu reformieren und zukunftssicher vernetzt aufzustellen. Auch hierzulande wächst jedoch der Druck der Öffentlichkeit und der Budgets. Er wird mittelfristig dazu führen, dass unsere Politiker und Akteure im Gesundheitswesen solche plausiblen Neuansätze mit ihren innovativen Management- und Technologiekonzepten in Betracht ziehen.
Nähere Informationen über das Gesundheitswesen in Neuseeland und die Lösungsanbieter, die die Entwicklung des CDHB hin zur integrierten Versorgung unterstützen, erhalten Sie gerne von:
New Zealand Trade and Enterprise
Nicola Taylor
Business Development Manager - Germany
Nicola.taylor@nzte.govt.nz
https://www.nzte.govt.nz