Rettungsfahrzeuge schneller vor Ort mittels SPR
18.08.2015 -
Wo sollen wann die Rettungsfahrzeuge einer Stadt stationiert werden, damit alle Orte im Stadtgebiet bestmöglich erreicht werden können?
Wirtschaftswissenschaftler helfen, diese komplizierte Frage IT-gestützt zu beantworten.
Wenn bei der Leitstelle der Feuerwehr ein Notruf eingeht, muss alles ganz schnell gehen: Nur 8–10 Min. dürfen in Städten vergehen, bis die Rettungskräfte am Ort des Geschehens eintreffen und Hilfe leisten, egal an welchem Wochentag, zu welcher Tages- oder Nachtzeit, egal ob bei dichtem Berufsverkehr, egal ob mitten in der Stadt oder in einem abgelegenen Randbezirk. Diese sog. Hilfsfrist zu gewährleisten, ist eine Herausforderung für die Planer bei den Rettungsdiensten, zumal die Finanzen knapp sind und die Einsatzzahlen stetig steigen. Rund 23.000 Einsätze fuhren die 13 Bochumer Rettungstransportwagen in den vergangenen Jahren jährlich. Durch die wachsende Zahl älterer Menschen steigt die Häufigkeit, mit der Notrufe abgesetzt werden.
Um diesen Herausforderungen strategisch-taktisch besser begegnen zu können, kooperiert in Bochum der Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Unternehmensforschung und Rechnungswesen von Prof. Dr. Brigitte Werners, mit der Feuerwehr. „Für Fallstudienseminare haben wir schon seit Jahren immer wieder zusammengearbeitet“, erzählt Werners die Vorgeschichte. „Der Amtsleiter der Bochumer Feuerwehr, Dr. Dirk Hagebölling, ist Neuem gegenüber sehr aufgeschlossen.“ Als es darum ging, auf wissenschaftlicher Basis ein IT-gestütztes Optimierungstool für die Planung des Rettungsdienstes zu entwickeln, war der Rahmen der studentischen Arbeit allerdings gesprengt: Der Lehrstuhl gewann die „Stiftung Zukunft NRW“ für sein Vorhaben und erhielt eine zweijährige Förderung. Vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter widmeten sich nun den komplexen Fragen rund um das Bochumer Rettungswesen.
„Im Grunde geht es darum, wie viele Rettungswagen zu welcher Zeit wo stehen müssen, um den gesetzlichen Auftrag bestmöglich zu erfüllen“, erklärt Werners. Um das zu ermitteln, griff das Projektteam auf vorhandene Daten über Einsätze in der Stadt zurück. Dabei kam z. B. heraus, dass die Stoßzeit für Rettungseinsätze zwischen 10 und 14 Uhr liegt. Nachts werden wesentlich weniger Notrufe abgesetzt. Auch die Einsatzzahlen an den verschiedenen Wochentagen unterscheiden sich. An Wochenenden und mittwochs häufen sich die Einsätze verglichen mit den anderen Wochentagen. Die Forscher vermuten, dass die Öffnungszeiten der Arztpraxen hinter diesem Phänomen stecken. Im Stadtzentrum sind mehr Einsätze zu verzeichnen als in Rand- oder Industriegebieten. Die Zeit, die ein Rettungswagen bis zu einem Verletzten oder Kranken braucht, hängt entscheidend davon ab, wie schnell er fahren kann. Das wiederum ist abhängig von der aktuellen Verkehrslage, die wiederum im Tagesverlauf deutlich unterschiedlich ist. Vor sechs Uhr morgens geht es noch flott voran, tagsüber sinken die durchschnittlichen Fahrgeschwindigkeiten. Alle diese Daten flossen in die Analyse der Wissenschaftler mit ein, ebenso wie die aktuellen und möglichen Standorte von Rettungsfahrzeugen und natürlich Angaben über die Gegebenheiten in der Stadt. Um Letztere handhabbar zu machen, nutzen die Forscher die Einteilung des Stadtgebiets in 1x1 km große Planquadrate. Die Datenanalyse zeigte, dass die Bochumer Innenstadt aktuell sehr gut versorgt ist, teils sogar überversorgt: Sämtliche Orte sind für Rettungsfahrzeuge binnen kurzer Zeit erreichbar, auch parallele Einsätze stellen keine Schwierigkeit dar. Anders sieht es allerdings in einigen Randbezirken der Stadt aus (Abb. 1).
„Eine entscheidende Stellschraube für die Optimierung des Rettungsdienstes ist die Platzierung der Rettungsfahrzeuge“, erklärt Werners. Zu bestimmten Zeiten kann es sinnvoll sein, Rettungsfahrzeuge nicht an einer der drei Hauptwachen zu stationieren, sondern an sog. flexiblen Wachen. „Das können z. B. Standorte der freiwilligen Feuerwehr sein, aber auch Krankenhäuser oder andere städtische Gebäude wie etwa Schulen“, so Werners. „Wichtig ist bei der Wahl der Standorte, dass das Personal der Rettungsfahrzeuge dort die Bedingungen vorfindet, die nötig sind, um das Fahrzeug nach einem Einsatz zu desinfizieren, und dass Aufenthaltsräume sowie sanitäre Anlagen vorhanden sind.“
Mittels komplizierter Rechenverfahren ermittelt das Optimierungstool SPR2 (Strategische Planung der Ressourcen im Rettungsdienst) nach der Dateneingabe die optimalen Standorte für Rettungsfahrzeuge, um das Stadtgebiet – gemessen am Erreichungsgrad – bestmöglich abzudecken. Bestimmte örtliche Gegebenheiten wie die Standorte der Hauptwachen werden dabei berücksichtigt. Das Ergebnis ist eine detaillierte Karte mit Vorschlägen für neue mögliche Standorte der Fahrzeuge (Abb. 1).
In einem weiteren Bestandteil des entwickelten Tools, das aus mehreren Komponenten besteht, kann sich der Planer oder die Planerin dann bestimmte Situationen oder Veränderungen genauer anschauen. „Die Simulation ist eine Art Gegenprobe der Optimierung“, beschreibt Werners. „Damit kann man außerdem die Auswirkungen bestimmter Veränderungen beobachten, z. B. die Verlegung einer vorgeschlagenen flexiblen Wache an einen anderen Ort, der aus irgendwelchen Gründen vielleicht günstiger scheint“ (Abb. 2).
Die Bochumer Feuerwehr überlegt derzeit, ob und wie sich die in der Optimierung vorgeschlagenen Veränderungen in der Stadt umsetzen lassen. „So etwas dauert natürlich seine Zeit, denn wir können in unserem Tool zwar viele Faktoren einbeziehen, aber nicht alle“, sagt Werners, „beispielsweise keine innerbetrieblichen Dinge wie bestimmte Zusatzaufgaben von Mitarbeitern.“ Sie ist inzwischen viel unterwegs, um das Tool auch in anderen Städten NRWs vorzustellen. Es stößt auf großes Interesse: Mehrere Städte aus NRW haben ihre Daten aus den vergangenen Jahren schon an das Bochumer Team übermittelt, um ebenfalls die Optimierung durchführen zu lassen. „Bis wir damit fertig sind, wird es aber noch eine ganze Weile dauern“, meint Werners. „Denn die Daten müssen zunächst einmal so bearbeitet werden, dass sie mit dem System kompatibel sind. Außerdem müssen wir sie bereinigen, wenn wir Fehler finden, also Daten, die einfach nicht plausibel sind.“
Um das System für Nutzer selbst anwendbar zu machen, wäre noch einige Programmierarbeit nötig, für die sich Interessierte zusammenfinden müssten, die diese Arbeit finanzieren. „Wir Wissenschaftler können so etwas natürlich nicht leisten; unsere Aufgabe ist eine andere“, erklärt die Forscherin. Ihre Begeisterung für das Projekt ist jedenfalls ungebrochen: „Es gibt für die verpflichtende Rettungsdienstbedarfsplanung feste Regeln, was die Methoden betrifft“, erklärt sie. „Wenn sich herausstellt, dass neue Methoden besser funktionieren, könnte das zu einer Änderung dieser Regeln führen – wobei es bis dahin natürlich ein langer Weg ist.“