IT & Kommunikation

Strahlentherapie profitiert von neuen KI-Technologien

09.12.2019 -

Die Strahlentherapie ist besonders geeignet um zu zeigen, wo die neuen Technologien schon heute wertvolle Beiträge leisten können.

Mit „Deep Learning“ bezeichnet man moderne Methoden des maschinellen Lernens, die in der Lage sind, hochkomplexe Zusammenhänge zwischen Rohdaten wie z.B. Texten und Bildern und z.B. deren Einschätzung durch medizinische Experten zu modellieren. Dadurch, dass hier kognitive Aufgaben mit dem Computer gelöst werden, fällt dieses Forschungsgebiet automatisch unter „künstliche Intelligenz“, obwohl die entwickelten Verfahren keineswegs den Anspruch erfüllen, wirklich intelligent zu sein. Die besonders erfolgreichen künstlichen neuronalen Netze, die derzeit zu revolutionären Entwicklungen in der Informatik beitragen, kann man eher als besonders komplexe statistische Modelle begreifen. Auch der Begriff „Lernen“ kann leicht zu Missverständnissen führen: Es handelt sich eher um ein bewusst von außen gesteuertes Training, und wenn ein solches neuronales Netz heute in ein Medizinprodukt integriert wird, ändert sich sein Verhalten nicht ohne äußeres Zutun.

Bei welchen konkreten medizinischen Aufgaben können neuronale Netze unterstützen? Im Prinzip können fast beliebige Daten verarbeitet werden, wie z.B. Texte, Laborwerte, medizinische Bilddaten, bis hin zur kompletten digitalisierten Patientenhistorie. Praktisch aber wächst mit der Komplexität der Aufgabe die notwendige Menge an Trainingsdaten schnell über realistische Ausmaße hinaus an. Deep Learning ist dafür bekannt, Millionen von Trainingsbeispielen zu benötigen, aber diese Größenordnung scheint auf den ersten Blick in der Medizin nicht erreichbar. Wenn man jedoch die Konturierung von Objekten in medizinischen Bilddaten betrachtet, muss man letzten Endes für jeden Bildpunkt entscheiden, ob dieser z.B. zu einem Organ, einem Gefäß oder einem Tumor gehört. So wird jeder einzelne Punkt zu einem Trainingsbeispiel für die Konturierungsaufgabe, und es ist damit nachvollziehbar, warum diese eine der ersten Aufgaben ist, die mit vertretbarem Aufwand automatisierbar ist.

Anwendung: Konturierung in der Strahlentherapie

Aus Sicht der digitalen Bildverarbeitung ist die Konturierung von Objekten eine häufige Teilaufgabe und Voraussetzung für viele weitergehende Schritte zur Visualisierung, Vermessung oder genaueren Untersuchung. In der klinischen Praxis jedoch gibt es nur wenige Abläufe, in denen diese für Menschen langwierige und ermüdende Aufgabe wirklich durchgeführt wird; hierzu gehört die Bestrahlungsplanung. In den Schichtbildern einer dreidimensionalen Computertomographie werden dabei regelmäßig die zu bestrahlenden Zielstrukturen (Tumore) mit Sicherheitssäumen eingezeichnet, sowie Risikostrukturen, die geschont werden müssen. Dabei kommen in einem einzelnen Datensatz schnell hunderte von Konturen zusammen, was Zeit und Konzentration kostet. Ein Mensch muss dies zwar üben, aber geht meist nach festen Schemata vor, ohne sich intellektuell herausgefordert zu fühlen. Der Computer hingegen kann diese Aufgabe ohne Ermüdungserscheinungen, in immer gleicher Qualität und in wenigen Sekunden durchführen. Die künstlichen neuronalen Netze betrachten dabei auch nicht nur einzelne Schichten, wie sie am Bildschirm dargestellt und bearbeitet werden können, sondern haben keine Probleme mit einer direkten Analyse des dreidimensionalen Kontexts. Die Erfolge dieses Vorgehens haben früh das Interesse der Industrie geweckt, die in Kooperation mit Forschern z.B. des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medizin MEVIS mittlerweile bereits an der Integration der ersten Modelle in Medizinprodukte arbeitet. Eine vollautomatische Konturierung kann bereits im Hintergrund in den IT-Systemen erfolgen, so dass die Ergebnisse sofort zusammen mit der Computertomographie dargestellt werden und niemand warten muss.

Da die bisher manuell eingezeichneten Konturen zusammen mit den Bilddaten in klinischen Datenbanken abgelegt und archiviert werden, liegen offensichtlich große Datenmengen vor, die sich für Deep Learning anbieten. Die Qualität der dabei entstehenden Modelle hängt jedoch stark von der Qualität der Trainingsdaten ab. Damit ein Modell auch auf ungesehenen Datensätzen möglichst gute Konturen erstellen kann, müssen die Trainingsdaten die zu erwartende Vielfalt der Praxis möglichst gut abbilden. In der Regel bestehen subtile Unterschiede zwischen Aufnahmen, die in verschiedenen Krankenhäusern erstellt wurden. Selbst wenn die verwendeten Geräte vom gleichen Hersteller stammen, oder gar das gleiche Modell mit offensichtlich gleichen Einstellungen verwendet wurde, spielen noch viele weitere Aspekte eine Rolle, die von Krankenhaus zu Krankenhaus variieren. Auch Patienten unterschieden sich je nach Herkunft und Krankheitsbild nicht nur äußerlich, sondern ebenso in der tomographischen Bildgebung. Wenn beim Training nur auf eine Quelle zurückgegriffen wird, besteht daher die Gefahr, dass das Modell auf Daten anderer Herkunft fehlerhafte Konturen liefert.

Deep Learning ermöglicht heute die vollautomatische Konturierung vieler Organe, Risikostrukturen oder sogar Tumore. Der Entwicklungsaufwand entsprechender Modelle ist trotz besserer Qualität dabei geringer als bei traditionellen Algorithmen, verlagert sich allerdings hin zu den Daten, die gesichtet, aussortiert, ggf. annotiert oder korrigiert werden müssen. Die in der klinischen Praxis unter Zeitdruck für die Bestrahlungsplanung eingezeichneten Konturen einer Risikostruktur wie der Niere eignen sich nicht automatisch für das Training eines neuronalen Netzes, denn um einen Tumor „an der Niere vorbei“ zu bestrahlen, ist Genauigkeit nur auf der dem Tumor zugewandten Seite wichtig. Menschliche Experten wissen und berücksichtigen dies, um Zeit zu sparen. Ein Computer hat dies nicht nötig, im Gegenteil; wenn man die so gezeichneten Konturen direkt dem maschinellen Lernen zuführt, verringert das die Qualität des entstehenden Modells. Bei der Entwicklung geeigneter Konturierungsmodelle und der Datenaufbereitung fließt daher sowohl medizinisches Fachwissen als auch Expertise über die KI-Technologien und ihre möglichen Fehlerquellen ein.

Vielversprechend für die Zukunft

Deep Learning verspricht für die Zukunft noch viel mehr als nur die automatisierte Konturierung, aber viele wichtige Fragen sind noch offene Forschungsthemen. Wenn der Computer z.B. komplexe Diagnosen vorschlagen soll, in die nicht nur einzelne Bilder, sondern die komplette Patientenhistorie eingeht, ist die Nachvollziehbarkeit und Erklärbarkeit der Ergebnisse eine wichtige Voraussetzung für den praktischen Einsatz. Auch hier bietet sich die Konturierung als ein möglicher Zwischenschritt an, dessen Ergebnisse für quantitative Analysen verwendet werden. Bei Bedarf können die Strukturen leicht von Menschen überprüft werden.

Bereits heute kann radioonkologisches Fachpersonal, statt mühsam hunderte von Konturen für die Bestrahlungsplanung manuell einzeichnen zu müssen, auf bessere Computerunterstützung durch neuronale Netze setzen, ohne dass der Computer wirkliche Intelligenz entwickeln oder der Mensch Verantwortung abgeben muss. In der Zukunft werden davon auch Patienten profitieren, wenn eine schnellere Anpassung der Pläne für eine Bestrahlungstherapie eine individuelle Optimierung der einzelnen Sitzungen ermöglicht.

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