IT & Kommunikation

Wohin geht die Reise für Clinicom-Anwender?

Der Markt kommt in Bewegung nach dem Aus von KIS Clinicom: Über Migration und andere Lösungen

25.03.2010 -

Zum 31.12.2013 wird Siemens die Wartung seines Krankenhaus-Informationssystems (KIS) Clinicom einstellen. Die Anwender haben also noch vier Jahre Zeit, über ein Nachfolgesystem nachzudenken. Die gesetzlichen Änderungen werden weiter eingepflegt werden müssen, über die Roadmap zur Programmentwicklung fehlen den betroffenen Krankenhäusern allerdings weiterhin die Informationen. Welche Alternativen bietet Siemens seinen Anwendern? Welchen Einfluss hat das auf den KIS-Markt, der heute bereits verteilt ist? Über diese und weitere Fragen sprachen wir mit den Initiatoren des Clinicom-Anwenderkreises, Christina Stehle, Leiterin Zentrale Dienste IT in den Kreiskliniken Dillingen-Wertingen, und Reimar Engelhardt, EDV-Leiter im Gesundheits- und Pflegezentrum Rüsselsheim.

M&K: Wie sieht die Migrationsstrategie von Siemens aus?

Christina Stehle: Uns wird angeboten, entweder zu ish.med oder zu Medico zu wechseln. Insgesamt zeigt uns der Anbieter schon plausible Strategien auf, die auch eine vollständige Datenmigration einschließen. Allerdings müssten die Häuser hart, d.h. von einem Tag auf den anderen wechseln. Es gibt bereits erste Häuser, die diesen Weg gegangen sind.

Wird Soarian nicht als Alternative ins Gespräch gebracht?


Reimar Engelhardt:
Nein, eine derartige Migration wird nicht aktiv angeboten. Allerdings wäre es als Alternative durchaus interessant gewesen, da die Strategie eine sanfte Migration des bestehenden Systems vorsah. Siemens wird allerdings das sog. Elevate-Verfahren nicht weiterverfolgen, weswegen ein harter Umstieg über SAP nötig wäre. Als Referenzen werden zwar vier Häuser genannt, ich kann jedoch keine Aussage zur Zufriedenheit oder Umsetzungsgrad treffen.

Neben der Migration kommt ein Anbieterwechsel infrage. Ist das eine realistische Option?


Engelhardt: Selbstverständlich. Für uns IT-Verantwortliche sind doch zufriedene Anwender und die optimale Unterstützung von Abläufen im Krankenhaus durch die IT entscheidend. Bei unzufriedenen Häusern wird ein Anbieter- und Systemwechsel da durchaus als Chance gesehen.
Die Auswahl ist aber auch abhängig von der Trägerschaft, da kommunale Häuser das Projekt bei dem zu erwartenden Investitionsvolumen auf jeden Fall mit offenem Ergebnis ausschreiben müssen. Wir kommunalen Häuser müssen ausschreiben, während andere freier in ihrer Entscheidung sind.
Stehle: Allerdings bietet eine Ausschreibung dem Krankenhaus auch immer die Chance, seine derzeitige Performance und die Leistungsfähigkeit des Systems kritisch zu hinterfragen, mit anderen KIS zu vergleichen.

Wo liegen darüber hinaus die Chancen und Risiken der verschiedenen Möglichkeiten?


Engelhardt: Bei der Migration zu einem anderen Siemens-KIS soll die nahtlose Datenmigration sichergestellt sein, und die etablierten Ansprechpartner würden bleiben, kurz, man weiß, was man hat. Allerdings müssen sich die Forderungen der Anwender den Möglichkeiten der Lösung anpassen.
Stehle: Das genau ist bei einem Anbieterwechsel anders. Der wird sich potentiell flexibler bei individuellen Anforderungen zeigen. Darüber hinaus bekommt man eine neue Lösung auf dem aktuellsten Stand der Technik. Das bietet dem Haus die Chance, sich weiterzuentwickeln. Außerdem ist Medico der Carecenter-Oberfläche sehr ähnlich, sodass eine Migration keinen wesentlichen Schritt nach vorn bedeuten würde.

Haben Sie als Anwenderkreis bereits erste Schritte unternommen, die Häuser bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen?

Engelhardt:
Während eines dreitägigen Workshops haben sich Siemens, Agfa, Meierhofer, iSoft und Nexus mit ihren Systemen präsentiert. Diese Anbieter haben die Anwender selber ausgewählt. So wollten wir z.B. Fragen nach der Philosophie der Anbieter sowie der Oberfläche und den Möglichkeiten der Software stellen, um sie mit den eigenen Anforderungen abzugleichen und auch die KIS untereinander zu vergleichen. Die Vergleichbarkeit war mit einem einheitlichen Präsentationsleitfaden gegeben, konnte aber letztlich nicht den Anspruch erheben, eine direkte Auswahl eines Anbieters zum Ziel zu haben. Dabei hat sich gezeigt, dass es durchaus innovative Lösungen im Markt gibt. Wir haben hier und da Ansätze gefunden, die wir bereits länger erwartet oder noch gar nicht auf dem Zettel hatten. Aus dem Vergleich ergab sich auch ein Anbieter, der die größte Zustimmung bei den Teilnehmern fand. Wir fühlen uns aber einer gewissen Neutralität verpflichtet und sehen von einer namentlichen Nennung an dieser Stelle ab.
Zum nächsten Anwendertreffen Ende Januar werden dann weitere drei KIS-Anbieter eingeladen.

Welchen Einfluss auf den KIS-Markt erwarten Sie sich allgemein vom Clinicom-Aus?

Stehle:
Es wird sicher Bewegung in den Markt kommen. Die etablierten Anbieter wollen ihre Kundenbasis erweitern, kleinere Anbieter wie AMC oder ComMed wollen sicher die Chancen nutzen, die 80 bis 100 neue potentielle Kunden bieten. Gerade hier erwarte ich mir eine hohe Flexibilität hinsichtlich individueller Anforderungen. Darüber hinaus bietet die Situation aber auch Anbietern aus dem Ausland die Möglichkeit, sich Marktanteile in Deutschland zu sichern.

Engelhardt:
Die Entscheidung gipfelt ja fast in einer Systemfrage. Etablierte KIS wurden für die Administration entwickelt, medizinische Belange erst später mit abgedeckt. Neuere Systeme verfügen i.d.R. über eine gute medizinische Dokumentation mit Ablaufsteuerung und Workflow-Elementen, denen es oftmals aber in der Abrechnung und Fakturierung fehlt. Gerade Clinicom-Kunden sind jedoch verwöhnt, was die funktionelle Breite des Systems betrifft. Diese hohen Standards zu erfüllen, ist die Herausforderung bei einem Anbieterwechsel. Denn kaum ein Haus wird bereit sein, hier einen Schritt zurückzugehen.

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