Akute myeloische Leukämie
Größerer Entscheidungsspielraum bei Therapie-Start
Die Diagnose einer Akuten myeloischen Leukämie (AML) galt bislang als medizinischer Notfall, der einen sofortigen Behandlungsbeginn erfordert.
Wissenschaftler und Ärzte der Hochschulmedizin Dresden und am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) konnten nun gemeinsam mit Kollegen von weiteren 23 Kliniken aus ganz Deutschland zeigen, dass es bei AML-Patienten mit gutem Allgemeinzustand vertretbar ist, zunächst wichtige Laborergebnisse abzuwarten, um auf dieser Grundlage eine Entscheidung über die beste verfügbare Behandlungsoption zu treffen. Angesichts neu zugelassener Therapiemöglichkeiten haben diese speziellen Laborergebnisse direkte klinische Auswirkungen.
Die Ergebnisse der bislang größten Untersuchung zu dieser Fragestellung führten Ende vergangenen Jahres bereits zu einer Anpassung der deutschen Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der AML. In die Studie einbezogen wurden die Daten von 2.263 AML-Patienten aus dem deutschlandweiten Register Studienallianz Leukämie (SAL). Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) ist eine gemeinsame Einrichtung des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden, der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden, des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) und des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ).
Eine seltene Erkrankung
Die Akute myeloische Leukämie (AML) ist mit jährlich 3,5 Neudiagnosen pro 100.000 Einwohner eine seltene Erkrankung, aber die häufigste Form akuter Leukämien in Deutschland. Sie entwickelt sich recht plötzlich und schreitet schnell voran. Bleibt die Krankheit unbehandelt, überleben Patienten nach Diagnosestellung im Mittel nur einen Zeitraum von etwa 17 Wochen. Die allgemeine Empfehlung lautete daher bisher, bei Diagnose einer AML unverzüglich – möglichst noch am gleichen Tag – mit der Therapie zu beginnen. Mehrere neuere Studien weckten bereits Zweifel an dieser Einschätzung. Die nun vorliegende deutschlandweite Untersuchung unter Leitung von Wissenschaftlern und Ärzten der Hochschulmedizin Dresden und am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) belegt auf der bislang breitesten Datenbasis und unter Anwendung umfangreicher Analyseverfahren, dass es vernünftig und sicher ist, bei Patienten mit einem guten Allgemeinzustand zunächst genetische und andere Laborergebnisse abzuwarten, die in einem Zeitraum von bis zu zwei Wochen erhoben werden.
„Diese bieten die Grundlage, um dann gegebenenfalls eine hochwirksame zielgerichtete Therapie gegen bestimmte Krankheitsmerkmale wählen zu können, die nur bei einem Teil der Patienten vorhanden sind. Diese Behandlungsoptionen können nicht genutzt werden, wenn unmittelbar mit einer intensiven Standard-Chemotherapie begonnen wird. Patienten können so von einer Verzögerung des Behandlungsbeginns profitieren“, erklärt Prof. Martin Bornhäuser, Direktor der Medizinischen Klinik I des Universitätsklinikums Dresden und Mitglied im Geschäftsführenden Direktorium des NCT/UCC Dresden.
Verschiedene statistische Methoden
Bei ihrer Untersuchung nutzten die Wissenschaftler einen Datensatz von 2.263 AML-Patienten aus dem Register Studienallianz Leukämie (SAL), das Daten von 46 Behandlungszentren in ganz Deutschland erfasst. In die Untersuchung einbezogen wurden Patienten, die eine vergleichbare Erstbehandlung mit einer intensiven Chemotherapie erhielten und deren Krankheitsverlauf mindestens ein Jahr lang nachbeobachtet wurde. Für ihre Analyse verwendeten die Wissenschaftler verschiedene statistische Methoden, die auch den möglichen Einfluss weiterer für die Prognose relevanter Parameter berücksichtigten. Im Ergebnis zeigte sich, dass beispielsweise genetische Risikofaktoren oder das Alter der Patienten einen deutlichen Einfluss auf die Überlebenswahrscheinlichkeit und die Wirksamkeit einer Therapie haben. Für den Zeitraum von der Diagnosestellung bis zum Therapiebeginn ließ sich hingegen kein entsprechender Einfluss aufzeigen. Im untersuchten Datensatz lag der Zeitraum bei wenigen Stunden bis 50 Tagen. Für genetische und weitere Analysen werden im klinischen Alltag bis zu zwei Wochen benötigt.
Verringerter Druck
Die Ergebnisse ihrer Untersuchung, die die Wissenschaftler bereits im vergangenen Jahr in einer Kurzfassung auf dem Kongress der American Society of Hematology (ASH) präsentierten, führten zu einer Anpassung der deutschen Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der AML. „Sie bilden die Grundlage für einen Paradigmenwechsel in der Behandlung von AML-Patienten. Für Ärzte verringert sich so der Druck, unmittelbar eine Therapieentscheidung treffen zu müssen. Künftig könnten so mehr zielgerichtete Behandlungen zum Einsatz kommen, was auch angesichts der Dynamik, mit der solche auf individuelle Krankheitsmerkmale gerichtete Wirkstoffe aktuell zugelassen werden, von großer Relevanz ist. Auch weiterhin gilt aber, dass wenn bereits bei der Diagnosestellung schwerwiegende Komplikationen vorliegen, ein unmittelbarer Behandlungsbeginn wichtig ist. In jedem Fall sollten unnötige Verzögerungen bei der Behandlung der AML vermieden werden“, sagt Prof. Christoph Röllig, Oberarzt an der Medizinischen Klinik I des Universitätsklinikums Dresden.
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