Labor & Diagnostik

Diabetes mellitus Typ 2: Frühe Diagnostik und individuelle Therapie

05.06.2012 -

Diabetes mellitus Typ 2: Frühe Diagnostik und individuelle Therapie. Jeder zweite Diabetes-Patient ist über 65 Jahre alt, etwa 20 % der 70-jährigen leidet an Diabetes mellitus Typ 2. Diabetes ist die häufigste Komorbidität des Alters und wird beim älteren Patienten oft spät diagnostiziert, bagatellisiert oder inadäquat therapiert, so dass Folgeerkrankungen neben Einbußen in der Lebensqualität nicht selten zum Verlust der Selbstständigkeit und zur Pflegebedürftigkeit führen. Für das Gesundheitssystem entstehen durch ältere Menschen mit Diabetes mellitus mehr als doppelt so hohe Kosten wie durch ältere Nichtdiabetiker. Die Ausgaben für die Behandlung der Zuckerkrankheit und ihrer Folgen beliefen sich 2005 auf rund 25 Mrd. €.

Die Symptomatik ist oft unspezifisch

Diabetes mellitus beim älteren Menschen weist viele unspezifische Symptome auf (Abgeschlagenheit, Antriebsarmut, Appetitverlust, rezidivierende Haut- und Harnwegsinfektionen sowie kognitive Einbußen) und erhöht das Risiko für Stürze aufgrund verschiedener Faktoren wie Muskelatrophie, Retinopathie, Neuropathie und Amputationen. Zudem kann Diabetes mellitus beim älteren Patienten ursächlich sein für chronische Schmerzen, chronische Wunden, Harninkontinenz, Obstipation, Depression, kognitive Funktionsverluste und Polypharmazie.

Zu den Komplikationen, Folge- und Begleiterkrankungen gehören kardiovaskuläre und zerebrale Komplikationen, diabetische Retino- und Nephropathie, das diabetische Fußsyndrom sowie die sensomotorische Polyneuropathie und gastrointestinale Neuropathie. Bei älteren Patienten, die häufig stürzen, chronische Schmerzen angeben, harninkontinent sind, an Gewicht verlieren oder aber auch bei beginnender Demenz und Depressionen ist an einen Diabetes mellitus zu denken. Typische Symptome wie Polydipsie und Polyurie beim Diabetes mellitus Typ 2 im Alter sind selten, da das Durstgefühl der Patienten verringert und der renale Schwellenwert für Glukose erhöht sein kann. Bei vorhandenen Risikofaktoren für einen Diabetes mellitus und therapeutischer Konsequenz sollte bei älteren Patienten ein Diabetes-Screening mittels Nüchternglukosetest und postprandialem Blutzucker oder ggf. mittels oralem Glukosetoleranztest einmal pro Jahr durchgeführt werden.

Ältere Patienten benötigen individuelle Therapie

Die Diabetestherapie beim älteren Menschen muss individuell sein, d.h. abgestimmt auf die Lebensgewohnheiten, kognitive und körperliche Funktionen, Bildungsgrad und Compliance des Patienten, was ein umfassendes Assessment der Gesamtsituation notwendig macht. Die Ziele zur Behandlung beim älteren Patienten unterscheiden sich nicht von den Therapiezielen jüngerer Patienten. Berücksichtigt werden muss jedoch die Multimorbidität mit organübergreifenden Wechselwirkungen, die begrenzte körperliche Kompensationsfähigkeit und vor allem die veränderte Pharmakokinetik. Metabolische Entgleisungen sowie Spätkomplikationen sollen verhindert werden, wobei in der Durchführung einer konsequenten Stoffwechselkontrolle stets das Risiko auftretender Hypo- oder Hyperglykämien abzuwägen ist. Generell sollte beim älteren Menschen der Erhalt größtmöglicher Lebensqualität im Vordergrund stehen. Aktive, kooperative ältere Diabetiker ohne relevante kognitive Einschränkung profitieren von einer BZ-Einstellung entsprechend der der Leitlinien Diabetes mellitus Typ 2 behandelt werden (Abb. 1).

Beschwerdefreiheit und Risikoreduktion müssen Ziele sein

Zusätzlich zur BZ-Einstellung ist die Kontrolle aller kardiovaskulären Risikofaktoren wichtig. Bestehen bereits fortgeschrittene Komplikationen, lebensdauerbegrenzende Begleiterkrankungen oder schwere kognitive oder funktionelle Erkrankungen, so sollten weniger strenge Ziele formuliert werden. Diese Patienten profitieren sicherlich nicht von der Reduktion des Risikos für mikrovaskuläre Komplikationen, können aber sehr unter Folgen der Hyperglykämien leiden. Ziel ist hier die Beschwerdefreiheit, wozu ganz besonders auch die Prävention von Fußkomplikationen sowie die Vermeidung eines hyperosmolaren Komas zählen. Die American Geriatrics Society (AGS) empfiehlt diesen Patienten einen Ziel- HbA1c-Wert von unter 8 %. Für die antihyperglykämische Therapie liegen bezüglich den nichtpharmakologischen Interventionen evidenzbasierte, endpunktbezogene, positive Ergebnisse vor.

Maßnahmen wie Schulung, Lebensstiländerung, Ernährung und Bewegung sind Basis jeder Diabetes Typ 2-Behandlung und sollten zunächst ausgeschöpft werden. Für die pharmakologische Therapie sind solche evidenzbasierten, endpunktbezogenen, positiven Ergebnisse derzeit nur für Metformin, Sulfonylharnstoffpräparate und Insulin verfügbar. Die Schulung der Patienten bzw. deren Versorgenden ist die Grundlage der erfolgreichen, dauerhaften Behandlung auch für die Älteren. Die wiederholte Ernährungsberatung muss dabei Teil der Schulung sein. Zu empfehlen ist eine bedarfsgerechte ausgewogene Mischkost entsprechend den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin mit limitierter, modifizierter Fettzufuhr, sowie Meidung schnell verstoffwechselbarer Kohlenhydrate.

Körperliche Bewegung zur Verbesserung des Kohlenhydrat- Stoffwechsels durch Muskelarbeit sowie Verbesserung der Insulin-Sensitivität der Muskulatur und Übergewichtsreduktion sind wichtig. Es konnte gezeigt werden, dass BZ-Selbstkontrollen zu verbesserten HbA1c-Werten führen, ohne dass es zu Komplikationen kommt. Unter BZ-Selbstmessungen konnte neben einer Optimierung der Therapie auch die Häufigkeit der Hypo- sowie Hyperglykämien verringert werden. Hyperglykämien können zu Polyurie, Sehstörungen, Volumenmangel führen und damit das Risiko für z.B. Stürze, Harninkontinenz und kognitivem Abbau erhöhen. Zu Einzelheiten der medikamentösen Therapie wird auf die evidenzbasierte Diabetes-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) verwiesen. Die Kombination von Insulin und oralem Antidiabetikum ist auch bei älteren Patienten möglich.

Vorteile eines solchen Regimes gegenüber einer zweimal täglichen Insulininjektion hinsichtlich der BZ-Einstellung konnten bisher nicht nachgewiesen werden. Die einmalige Gabe eines Insulins am Abend ist auch für ältere Patienten durchführbar, die Lebensqualität wird durch weniger Injektionen am Tag angehoben. Eine Insulintherapie ist indiziert, wenn durch modifizierte Ernährungstherapie und/oder orale Antidiabetika das individuelle Therapieziel nicht erreicht werden kann (in der Regel bei einem HbA1c über 8 %). Zwei Injektionen eines vorgemischten Insulins pro Tag sind bei den meisten älteren Diabetikern empfehlenswert. Eine Alternative bei gewünschter flexibler Lebensführung bietet die supplementäre Insulintherapie (dreimal tägliche präprandiale Insulinapplikation). In Einzelfällen kann die intensivierte Insulintherapie (Applikation von kurzwirksamen Insulin zu den Mahlzeiten und ein langwirksames Insulin zur Nacht) oder die einmalige Applikation eines NPH-Insulins in Erwägung gezogen werden.

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