Labor & Diagnostik

Genetische Diagnostik – Potenziale und gegenwärtige Bedingungen

30.09.2013 -

Durch die steigende Leistungsfähigkeit der Gendiagnostik (Miniaturisierung, Automatisierung, Parallelisierung) wachsen die technischen Möglichkeiten und erschließen sich immer mehr Anwendungspotenziale in der Medizin.

So weist der Deutsche Ethikrat in seiner Stellungnahme zur Zukunft der genetischen Diagnostik (April 2013) unter anderem auf die Potenziale für die präkonzeptionelle Diagnostik, die Präimplantationsdiagnostik und die nichtinvasive pränatale Diagnostik hin. Speziell bei vorgeburtlichen genetischen Untersuchungen standen bislang nur invasive Methoden (Probenahmen) zur Verfügung, die mit einem nennenswerten Risiko einer Fehlgeburt einhergehen. Inzwischen kann durch eine simple Blutentnahme bei der Schwangeren deren sowie die embryonale/fetale DNA unterschieden und analysiert werden.

Das Nationale Aktionsbündnis für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (NAMSE), eine Initiative des Bundesgesundheitsministeriums unter Beteiligung weiterer Bundesressorts und aller wesentlichen Akteure im Gesundheitswesen, hat im August 2013 seinen Aktionsplan vorgestellt. Aufgrund der großen Bedeutung der genetischen Diagnostik bei Seltenen Erkrankungen wird empfohlen, den Patienten Zugang zu neuen Verfahren wie dem „Next Generation Sequencing" (NGS) zu ermöglichen, sofern sie die Diagnosestellung beschleunigen.

Vielleicht die größte Faszination geht von dem Konstrukt der Personalisierten/Individualisierten Medizin aus. „Die individualisierte Medizin ist eines der vielversprechendsten Felder unserer modernen Medizin und eine der zentralen Herausforderungen der Gesundheitsforschung" sagte Bundesforschungsministerin Johanna Wanka im April 2013. Anlass war die Vorstellung des Aktionsplans „Individualisierte Medizin", mit dem das BMBF neue Förderprogramme und Ideenwettbewerbe bekannt gemacht hat. Zugleich wächst die Liste der Arzneimittel, bei denen der Einsatz eines therapiebegleitenden Diagnostikums (Companion Diagnostic) empfohlen oder vorgeschrieben ist, kontinuierlich an.

Die Diagnostika-Industrie sieht sich, was die regulatorischen und vergütungstechnischen Rahmenbedingungen anbelangt, mit einer Reihe von aktuellen Herausforderungen konfrontiert.

Neuordnung des gesamten ­Medizinprodukterechts

Auf europäischer Ebene steht die Neuordnung des gesamten Medizinprodukterechts auf der Agenda. Der Entwurf einer neuen Verordnung für In-vitro-Diagnostika liegt vor, mit dem als Kernstück eine neue risikoorientierte Produktklassifizierung eingeführt wird. Diese determiniert das weitere Procedere der „Produktzulassung" (des Inverkehrbringens) mit den daran anschließenden verschiedenen Konformitätsbewertungsverfahren. Therapiebegleitende Diagnostika werden danach der Klasse C (zweithöchste Risikostufe) zugeordnet. Zusätzlich zu den für diese Klasse geltenden Regelungen ist vorgesehen, dass im Rahmen dieses Prozesses die europäische Arzneimittelbehörde EMA, ggf. auch die neu zu schaffenden EU-Referenzlaboratorieren zu konsultieren sind. Alternativ wurde auch vorgeschlagen, therapiebegleitende Diagnostika ganz aus dem herkömmlichen regulatorischen System der Medizinprodukte herauszulösen und dem Regime der Arzneimittelzulassung zu unterwerfen. Der Verband der Diagnostica-Industrie wie auch alle anderen Herstellerverbände in Europa lehnen dies ab: Ein Sicherheitsgewinn wäre nicht gegeben. Und ein Hersteller müsste sich für ein und denselben Test - je nach Zweckbestimmung ein Companion Diagnostic oder nicht - in zwei völlig unterschiedlichen regulatorischen Welten bewegen, die jeweils für sich genommen schon äußerst komplex sind.

In-Haus-Herstellung

Ein weiterer Punkt: Bleibt das Privileg der In-Haus-Herstellung bestehen, demzufolge die Anforderungen an das Inverkehrbringen, die die heutige IVD-Richtlinie formuliert, für Eigenherstellung nicht gelten? Die Kommission neigt dieser Auffassung wohl nicht zu. Zumindest die therapiebegleitenden Diagnostika und Produkte der höchsten Risikoklasse D sollen künftig auch bei In-Haus-Herstellung den Anforderungen einer neuen IVD-Verordnung genügen. Die Kommission bleibt damit bei ihrer Linie, mit der Revision des europäischen Medizinprodukterechts die Patientensicherheit verbessern zu wollen und den Abbau von Divergenzen in der europaweiten Anwendung von Rechtsvorschriften anzustreben.

Schließlich gibt es aus dem europäischen Parlament heraus Bestrebungen, für die Anwendung genetischer Tests besondere Regelungen im Gemeinschaftsrecht vorzusehen. Ankerpunkt ist offenbar das deutsche Gendiagnostikgesetz (GenDG); insofern würde sich für Deutschland faktisch wohl nichts ändern. Der VDGH steht einem solchen Vorhaben grundsätzlich offen gegenüber. Das deutsche GenDG zielt mit seinem Diskriminierungsverbot und dem Prinzip des „informed consent" auf eine bessere Vertrauensgrundlage für die Gendiagnostik. Handwerkliche Mängel, wie die unklare Abgrenzung dessen, was als genetische Untersuchung zu medizinischen Zwecken gilt, sollten jedoch bei einer europäischen Rechtssetzung nicht wiederholt werden.

Auf nationaler Ebene steht einmal mehr die Vergütung labordiagnostischer Leistungen im Vordergrund. Der VDGH plädiert weiterhin dafür, eine Regelung im Sozialgesetzbuch V zu verankern, nach der GKV-Versicherte Anspruch auf Versorgung mit dem therapiebegleitenden Diagnostikum haben, wenn ein diagnostischer Test gemäß Fachinformation Voraussetzung für die Anwendung des Arzneimittels ist. Auch die zeitnahe Entscheidung der zuständigen Selbstverwaltungsinstitutionen über die Abrechnungsfähigkeit sollte im SGB V fixiert werden.

Next Generation Sequencing

Für den Einsatz des Next Generation Sequencing in der vertragsärztlichen Versorgung erscheinen die jüngsten Beschlüsse des Bewertungsausschusses mindestens ambivalent: Mit Wirkung zum 1. Oktober 2013 werden weitreichende Änderungen im humangenetischen Kapitel 11 des EBM vorgenommen. Danach wird die Leistungserbringung der Ziffer 11322 EBM (Nachweis/Ausschluss krankheitsrelevanter oder krankheitsauslösender, genomischer Mutationen mittels Sequenzierung menschlicher DNA) auf die Durchführung mit der Kettenabbruchmethode nach Sanger beschränkt. Nur noch diejenigen Leistungsziffern, die im Abschnitt 11.4 (indikationsbezogene molekulardiagnostische Stufendiagnostik) explizit erwähnt sind, können weiterhin technologieoffen, d. h. auch mit Hochdurchsatzverfahren durchgeführt werden. Alle Gebührenordnungspositionen (Hybridisierung, Nukleinsäureamplifikation, Sanger-Sequenzierung, NGS) werden in der Vergütungshöhe deutlich um ca. 30 % abgesenkt.

Den Protokollnotizen zu diesem Beschluss ist zu entnehmen, dass die mit den Änderungen ggf. frei werdenden Finanzmittel im humangenetischen Versorgungsbereich verbleiben und zur Weiterentwicklung der entsprechenden humangenetischen Leistungen genutzt werden. Diese soll zum 1.7.2014 erfolgen. Zum heutigen Zeitpunkt heißt das: Methodeneingrenzung und Gebührenabsenkung stehen auf der „Habenseite". Ob und wie die Versprechungen für 2014 realisiert werden, ist offen.

 

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