Knochenkiller Kortison
23.08.2010 -
Die Knochen werden dünn und brüchig. Schon bei kleinen Stürzen droht eine Fraktur. Osteoporose - Knochenschwund - ist eine häufige Nebenwirkung von Langzeittherapien mit Kortison. Das Glukokortikoid-Hormon Cortisol bzw. seine verabreichte Form Kortison wirkt entzündungshemmend und wird daher zur medizinischen Behandlung von allergischen Erkrankungen und von starken bzw. chronischen Entzündungen wie Rheuma eingesetzt. Als körpereigenes Hormon reguliert es eigentlich den Glukose-Stoffwechsel, als stark dosiertes oder über längere Zeit verabreichtes Medikament kann es aber auch Knochenschwund, Muskelschwäche und dünne Haut verursachen.
Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Altersforschung - Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena haben nun die molekularen Mechanismen der Kortison-vermittelten Osteoporose aufgedeckt. Die Molekularbiologen aus der Forschergruppe von Dr. Jan Peter Tuckermann konnten zudem nachweisen, dass der durch Langzeit-Therapien mit Kortison hervorgerufene Knochenschwund eine Folge des gestörten Knochenaufbaus ist. „Osteoporose entsteht dann, wenn das Gleichgewicht zwischen Knochenaufbau und Knochenabbau gestört ist", erläutert Gruppenleiter Tuckermann. Diese delikate Balance besteht zwischen Osteoblasten, also den knochenaufbauenden Zellen, und Osteoklasten, die Knochensub-stanz abbauen.
„Bisher glaubte man, dass der Kortison-vermittelte Knochenschwund durch einen verstärkten Knochenabbau verursacht wird", erklärt Doktorand Alexander Rauch. „Wir können nun aber zeigen, dass bei der kortisonbedingten Osteoporose die Neubildung von Knochenzellen, also der Knochenaufbau gestört ist", so der Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Tuckermann weiter. Die Forscher vom FLI konnten erstmals nachweisen, dass die Nebenwirkungen bei der Behandlung mit Glukokortikoid-Hormonen über einen Zelltyp-spezifischen Mechanismus vermittelt werden. Überraschenderweise sind nur die knochenaufbauenden Zellen (Osteoblasten) für den kortisonbedingten Knochenschwund entscheidend und eben nicht die knochenabbauenden Osteoklasten.
Dabei kam auch ans Licht, dass bei der Entstehung dieser Osteoporose-Art die molekulare Form des Glukokortikoid-Rezeptors eine Schlüsselrolle spielt. An diesen Rezeptor dockt das Glukokortikoid-Hormon an, wodurch unterschiedliche genetische und molekulare Mechanismen in Gang gesetzt werden können. Entscheidend für seine biologische Funktion ist die molekulare Form dieses Rezeptors, in der dieser aktiviert wird. Als Doppelmolekül (Dimer) spielt er insbesondere bei der Regulation des Zuckerstoffwechsels eine Rolle. Als Einzelmolekül (Monomer) ist er entscheidend für die entzündungshemmende Wirkung der Glukokortikoid-Hormone.
Die Jenaer Molekularbiologen konnten nun zeigen, dass auch die Hemmung der Knochenbildung über den Glukokortikoid-Rezeptor als Einzelmolekül vermittelt wird. Die kortisonbedingte Osteoporose hängt also von der monomeren Form des Rezeptors ab. „Bei der Kortisonbehandlung werden Entzündungshemmung und Knochenschwund über denselben molekularen Monomer-Mechanismus vermittelt", so Tuckermann. „Die schlechte Nachricht ist also, dass hier die positive Therapiewirkung mit der negativen Nebenwirkung sehr eng miteinander verbunden ist", erklärt der Biologe weiter.
„Es gibt aber auch eine gute Nachricht", sagt der FLI-Forscher. „Wir sind zuversichtlich, dass es bald gelingt, diese ‚unheilige Allianz‘ zwischen Therapieeffekt und Nebenwirkung durch die Entwicklung neuer Glukokortikoide aufzubrechen", so Tuckermann. Für alle Patienten, die auf die Behandlung mit Kortison bzw. Prednisolon angewiesen sind, bedeutet dies Hoffnung auf neue nebenwirkungsarme Therapien.
Der Hintergrund: Als Doppelmolekül wirkt der Glukokortikoid-Rezeptor selbst als Genschalter. Als Einzelmolekül (Monomer) hemmt er andere Transkriptionsfaktoren wie AP-1 und NFkB. Durch die Hemmung von NFkB kommt es zum Rückgang der Entzündungsreaktion. Die Abschaltung von AP-1 dagegen löst den Knochenschwund aus. „Durch die Entwicklung selektiv wirksamer Glukokortikoide, die ausschließlich den Entzündungsfaktor NFkB hemmen, ohne gleichzeitig AP-1 abzuschalten, könnte der Knochen unversehrt bleiben", erklärt Tuckermann. Denn AP-1 aktiviert die Produktion von Interleukin 11, einem interzellulären Botenstoff, der die Zelldifferenzierung reguliert. Fehlt dieser, können die Osteoblasten-Vorläuferzellen nicht ausreifen, was wiederum die Knochenbildung stört. Osteoporose entsteht.
Auch für die Altersforschung sind die Nebenwirkungen von therapeutisch eingesetzten Glukokortikoid-Hormonen von großem Interesse. Nicht zufällig gleichen die Nebenwirkungen der Kortisonbehandlung den Krankheitsbildern bestimmter altersassoziierter Erkrankungen. Hierzu zählen neben der Osteoporose, der Bindegewebs- und Muskelschwäche auch Diabetes und Depressionen. „Welche Rolle dabei das körpereigene Glukokortikoid-Hormon spielt, wollen wir in unseren Folgeprojekten klären", so Tuckermann.
Informationen zur Methode
Die Mechanismen der Glukokortikoid-bedingten Osteoporose konnten die Wissenschaftler aufdecken, indem sie Mäuse mit unterschiedlicher genetischer Konstitution mit dem Glukokortikoid Prednisolon behandelten und deren Knochen miteinander verglichen. Bei den einen fehlte der Glukokortikoid-Rezeptor ausschließlich in den Osteoblasten, bei den anderen in den Osteoklasten. Untersucht wurden zudem Mäuse, in denen die Dimerisierungsfähigkeit des Rezeptors ausgeschaltet war.
Dabei stellte sich heraus: Entscheidend für die Verringerung von Knochenbildungsrate und Knochendicke ist die Wirkung des Glukokortikoid-Rezeptors in den Osteoblasten - also den knochenaufbauenden Zellen. Mäuse, denen der Glukokortikoid-Rezeptor in den Osteoblasten fehlte, zeigten keinen Knochenverlust bei der Behandlung mit Prednisolon. Knochenschwund zeigten auch diejenigen Mäuse, bei denen ausschließlich die Dimerisierungsfunktion des Rezeptors ausgeschaltet war. Gemessen wurde mithilfe von Fluoreszenzmikroskopie und Computertomografie die Knochenbildungsrate, Knochendichte und -struktur.
Beteiligt an dem Forschungsprojekt waren Wissenschaftler der Universitäten in Hamburg, Erlangen und Göttingen sowie das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg.