Labormedizin in Deutschland
11.09.2012 -
Die Labordiagnostik ist essenzieller Bestandteil des regulierten Gesundheitssystems. Häufig wird sie dabei allein als Kostenfaktor angesehen. Über den Nutzen und die derzeitigen Chancen der Diagnostica-Industrie sprach Management und Krankenhaus mit dem VDGH Vorstandsvorsitzenden Matthias Borst.
M&K: Welche Position nimmt der deutsche Diagnostica-Markt zur Zeit ein und wie beurteilen Sie die Entwicklungschancen des Marktes in den nächsten zwei Jahren?
Matthias Borst: Im vergangenen Jahr ist der deutsche Diagnostica-Markt um rund 2,9 % auf 2,21 Mrd. Euro gewachsen. Ich hoffe, dass sich nach zwei schwächeren Jahren damit der Beginn eines kontinuierlichen Wachstums darstellt. Allerdings ist man im hochregulierten Gesundheitsmarkt vor Überraschungen nie gefeit. Änderungen in der Gesetzgebung und Entscheidungen der Selbstverwaltung haben nicht selten erhebliche Auswirkungen auf unser Geschäft.
Was bedeutet dies für die Unternehmen?
Matthias Borst: Mehr als drei Viertel der von uns befragten Mitgliedsunternehmen (78,3 %) rechnen dieses Jahr mit steigenden Umsätzen, das sind sechs Prozent mehr im Vergleich zum Vorjahr. Zugleich ist der Anteil der Firmen, die mit einem schwächeren Geschäft rechnen, gegenüber den Branchenerwartungen vom Vorjahr leicht gesunken. Dies ist eine Prognose, die übereinstimmend bei allen Größenklassen von Unternehmen festzustellen ist. Unterm Strich zeigt sich, dass die Diagnostica-Industrie optimistisch ist. Aber noch einmal: Veränderungen der Rahmenbedingungen können dem einen Strich durch die Rechnung machen. Wir sehen gerade, dass die Honorarverteilung der Vertragsärzte durch Beschluss der KBV zum zweiten bzw. dritten Quartal erheblich verändert wird. Im Klartext: Vergütungen für Laborleistungen werden bundesweit abgestaffelt, und weitere Mengenbudgetierungen werden eingeführt. Infolgedessen dürfte sich der Preisdruck auf die Diagnostica-Industrie nochmals verschärfen.
In welchen Bereichen sehen Sie die größten Entwicklungspotentiale der Branche?
Matthias Borst: Neben der Entwicklung neuer Marker setzt die Diagnostica-Industrie auch auf die Weiterentwicklung bestehender Technologien, um Proben immer schneller und präziser zu analysieren und die Diagnostik zu beschleunigen. Der Faktor Zeit spielt bei vielen Therapien eine große Rolle. Neue Methoden und Verfahren mit neuem Einsatzbereich setzen sich am Markt aber erst dann flächendeckend um, wenn die Vergütungsbedingungen stimmen. Ein Beispiel hierfür ist die Massenspektrometrie. Ihr Einsatz in der Infektionsdiagnostik ist mit vielen Benefits verbunden. Ein Durchbruch in der vertragsärztlichen ambulanten Versorgung wird sich dann einstellen, wenn der EBM entsprechende Vergütungsziffern vorsieht.
Welchen Stellenwert nimmt die Personalisierte Medizin ein, wo liegen die Chancen, wo sehen Sie Probleme?
Matthias Borst: Die Diagnostica-Industrie wird einen noch höheren Stellenwert bekommen und mit anderen Industrien auf Augenhöhe den medizinischen Fortschritt maßgeblich beeinflussen.
In der VDGH-Umfrage wurden die Unternehmen gefragt, welche Bedeutung das Thema heute und in der Perspektive einnimmt. Gut zu erkennen ist, dass die Personalisierte Medizin eine große Dynamik entfalten wird. Zwar sehen 70 % der Unternehmen für sich keine oder eine niedrige Bedeutung des Themas. Perspektivisch jedoch glauben mehr als die Hälfte der befragten Firmen an eine mittlere bzw. hohe Bedeutung des Themas -nicht abstrakt sondern auf ihr eigenes Unternehmen bezogen.
In der Forschungspolitik hat die Personalisierte Medizin bereits einen ausgesprochen hohen Stellenwert. Im medizinischen Alltagsgeschehen ist die Personalisierte Medizin jedoch noch nicht angekommen. Am ehesten noch in der onkologischen Spitzenversorgung. Wir sollten uns auch davor hüten, übertriebene Erwartungen zu wecken. Wichtig ist vielmehr, ein gemeinsames Verständnis von Personalisierter Medizin zu entwickeln, die ärztliche Aus-, Fort- und Weiterbildung diesbezüglich zu schärfen und die Vergütungsentscheidung über das Diagnostikum und das Therapeutikum zu harmonisieren.
Problematisch finde ich, wenn die Diskussion eines faszinierenden Themas mit Angstmacherei verknüpft wird. „Personalisierte Medizin wird die Kosten des Gesundheitssystems sprengen", so eines der unrühmlichen Beispiele. Die Plausibilitäten sprechen vielmehr dafür, dass sich mithilfe der Personalisierten Medizin die Effizienz des Resourceneinsatzes verbessern lässt.
Ist und bleibt Deutschland ein attraktiver Standort für Diagnostica-Unternehmen?
Matthias Borst: Wachstum ist die Grundvoraussetzung, um auch weiterhin in den Standort Deutschland investieren zu können. Nur durch kontinuierliches Wachstum kann der Forschungsstandort Deutschland gesichert werden, und das ist bislang gegeben. Auch das Investitionsklima im Bereich Forschung ist überwiegend positiv. Dies ist bedingt durch das hohe Niveau der Universitäten und Forschungseinrichtungen in unserem Land. Dieses Niveau wird noch gefestigt durch die hervorragende Ausbildung unserer Forscher und das klare Bekenntnis der Regierung zu Investitionen in Forschung und Entwicklung. Hinzu kommt die im Vergleich zu manch anderen europäischen Ländern gute Zahlungsmoral, wir haben in Deutschland keine nennenswerte Late-payment-Problematik.
Auch das hohe Versorgungsniveau macht Deutschland zu einem attraktiven Standort. Darüber hinaus gibt es für unsere Produkte eine überwiegend schnelle Marktzulassung, womit ich ausdrücklich das nach dem europäischen Medizinprodukterecht geregelte Inverkehrbringen eines Produkts - also die CE-Kennzeichnung - meine und nicht etwa die Erstattungsregelung. Solange sich diese Rahmenbedingungen nicht verschlechtern, wird auch in Zukunft der Standort Deutschland attraktiv sein.
Eine Herausforderung stellen die Marktverhältnisse dar. Preisdruck im Markt wird durch die Konsolidierung und Konzentration auf Kundenseite forciert. Hinzu kommen das vergleichsweise niedrige Erstattungsniveau in den Gebührenordnungen und die Budgetierung der Leistungserbringer.
Ein Kernpunkt ist schließlich die Frage: Wie kommen Laborinnovationen in die Regelfinanzierung? Mit den diesbezüglichen Rahmenbedingungen kann die Laborindustrie unterm Strich nicht zufrieden sein. Zwar hat der Gesetzgeber der Selbstverwaltung neue Instrumente an die Hand gegeben. Mit dem am 01.01.2012 in Kraft getreten GKV-Versorgungsstrukturgesetz kann der Gemeinsame Bundesausschuss neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden erproben. Der Grundgedanke ist gut und wird von der Industrie unterstützt. Ob diese Regelung dazu führt, dass Patienten schneller an medizinischen Innovationen teilhaben, muss die praktische Umsetzung zeigen. Der Praxistest in einem anderen Bereich scheint nicht zu geraten. Für die Bewertung von Laborinnovationen hinsichtlich der Aufnahme in die vertragsärztliche Versorgung wurde von KBV und GKV-Spitzenverband im Jahr 2010 ein sogenanntes verkürztes HTA-Verfahren etabliert. Noch immer wartet die Industrie auf die erste Entscheidung nach diesem Prozedere.
Wie schneidet Deutschland im Vergleich zu den europäischen Nachbarstaaten ab?
Matthias Borst: Etwas mehr als zehn Milliarden Euro setzten die Diagnostica-Unternehmen in den 27 Ländern der Europäischen Union (EU) im Jahr 2010 um. Gut ein Fünftel dieses Umsatzes entfällt auf Deutschland als größten Teilmarkt in der EU. Danach folgen Frankreich und Italien. An dieser Reihenfolge hat sich nichts geändert. In der Wachstumsdynamik sieht die Situation völlig anders aus: Hier lag Deutschland in den vergangenen Jahren nicht auf dem Spitzenplatz, sondern landete unter den wichtigsten nationalen Märkten weit hinten.
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