Labor & Diagnostik

Laborneubau am Robert Koch-Institut - Erfahrungen aus Nutzersicht

21.09.2015 -

Der Betrieb eines Hochsicherheitslabors braucht eine verlässlich funktionierende bauliche und technische Infrastruktur – eine Heraus-forderung für alle Beteiligten der Baumaßnahme.

Initiiert durch Anthrax-Anschläge in den USA und die Einschätzung der damaligen Bundesregierung, dass das Robert Koch-Institut als zentrales Institut der Bundesrepublik Deutschland auf solch eine Situation weder technisch noch organisatorisch ausreichend vorbereitet und ausgestattet ist, wurde im Jahr 2001 eine Machbarkeitsstudie mit dem Ziel einer langfristigen Unterbringung des RKI in Berlin mittels Neubau, Modernisierung und Erweiterung auf dem Stand von Wissenschaft und Technik ausgeschrieben. Unter Beteiligung von drei Bundesministerien und einem Bundesamt wurde 2004 die genehmigte ES-Bau mit 178 Mio. € vorgelegt, deren erklärtes Ziel die Fertigstellung, Übergabe und Arbeitsbeginn in den Hochsicherheitslaboren am Standort Seestraße mit einem Teilvolumen von 108 Mio. € für das Jahresende 2009 war.

Verlauf der Baumaßnahme

Schon bei der Erstellung der EW-Bau in 2006 ff. ist in den jeweiligen Planungsstufen und auch in der späteren Bauausführung wiederholt festgestellt worden, dass Qualität und Quantität in den Unterlagen immer wieder angepasst werden mussten. Dies führte stets zu einer erheblichen Korrektur der angesetzten Kosten in sehr schwierigen und langwierigen Verfahren. So hat sich der Finanzbedarf für die Liegenschaft Seestraße von 2007 bis 2013 über drei genehmigte Nachträge von 108 Mio. € auf 172 Mio. € erhöht. Ab 2008 starteten dann endlich Planungen, Ausschreibungen und Vergaben. Erst im Jahr 2009 konnte mit den eigentlichen Bauarbeiten begonnen werde. Im Juni 2013 wurde das sanierte Haus 5 unter erheblichen Kompromissen an den Nutzer übergeben. Haus 6 – als drittes und größtes Hochsicherheitslaborgebäude Deutschlands – wurde im Februar 2015 im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel eingeweiht und im Mai 2015 zur Nutzung an das RKI übergeben. Aktuell laufen Störfallsimulationen und Validierungen in den Sonderbereichen S3, S4 und VTH.

Betrachtet man den Projektzyklus von 2002 mit der Beauftragung der ES-Bau bis zur heutigen Fertigstellung in 2015, sind 13 Jahre vergangen. Bei einem derartigen Projekt der öffentlichen Hand, das inhaltlich nach dem Stand von Wissenschaft und Technik geplant und errichtet werden soll, ist dieser Projekt- und Ausführungszeitraum bei einer aktuell herrschenden Innovationsverdopplung alle fünf Jahre viel zu lang. Gerade dadurch werden die Probleme bei dieser Projektart unbeeinflussbar induziert sowie zeitlich und kostenseitig nicht mehr beherrscht. Hier liegt das Grundproblem, dem aber die Abwicklungsorganisation in der heutigen Form nicht gerecht wird und werden kann.

Lehren und Thesen aus der Projektabwicklung

Es gilt, aus den positiven wie negativen Erfahrungen von Entscheidungen und Abläufen Lehren zu ziehen, um nicht von Anfang an im Konfliktpotential bei solchen hochkomplexen Projekten zu ersticken. Diese im Folgenden aufgestellten Erkenntnisse sollen die Handelnden in Planung, im Management, im Controlling und in der Finanzierung sensibilisieren.

1. Der Prozesszyklus von der Idee bis zur betriebsfähigen Übergabe an den Nutzer sollte maximal fünf Jahre (Planungsphase/Ausschreibung/Vergabe max. zwei Jahre; Ausführung/Inbetriebnahme/Nutzerübergabe max. drei Jahre) betragen. Sonst sind die Lösungen, realisierten Anlagen und Gebäude bezüglich der ursprünglichen Anforderungen, Budgets und nach dem Stand von Wissenschaft und Technik hoffnungslos veraltet.

2. Der Nutzer muss vor Projektbeginn zu einer Analyse seiner gesamten Arbeitsprozesse unter Berücksichtigung sich abzeichnender neuer Entwicklungen weit über die Forderung von Pflichtenheften hinaus in Form eines Betriebsführungskonzeptes verpflichtet werden und hat über die gesamte Projektphase einen wissenschaftlichen und technischen Nutzervertreter hauptamtlich zu benennen.

3. Es ist eine projektkonstante, ausreichend personelle und fachlich besetzte Projektleitung beim Bauherrn zu etablieren, die Architekten und jeweiligen Fachplaner sind auf fachliche Eignung zu prüfen und auszuwählen. Es sind Projektteams unter Einbeziehung der Planungsakteure auf fairer Basis, mit klaren Kompetenzen (kein „Kriegsrat mit Vasallen“) zu bilden. Die konzeptionelle und planerische Bearbeitung muss sich am Betriebsführungskonzept und am industriellen Bauen orientieren. Dem Prototypcharakter solcher Projekte ist Rechnung zu tragen.

4. Ein Benchmarking ist für den Prototypbau nicht verlässlich. Basis kann nur eine reelle Preisermittlung mit perspektivischer Preisindexorientierung sein und keine Gefälligkeitsansätze. Durch die zwingende Ausstattung mit einer ausreichenden finanziellen Beweglichkeit ist die Aufgabe, nach Stand von Wissenschaft und Technik zu bauen, überhaupt erst realistisch. Der Grundsatz „Invest vor Betrieb“ in der Anlagenauslegung und den Qualitätsfestlegungen ist als Planungsansatz vorzugeben und durchsetzen.

5. Es sind eine zentrale Koordination und Reviews der Planungsdetails unter Einbeziehung aller Beteiligten, des Nutzers, auch Genehmigungsbehörden, Sachverständigen etc. zu etablieren. Die Planung muss eine maximale Tiefe haben, in deren Bewertung auch über die Maßstäbe der HOAI hinauszugehen ist. Mittelmaß darf in diesen Prozessen nicht zugelassen und Schlechtleistungen nicht verschleiert werden. Die Planung wird in sinnvolle Teilprojekte unterteilt, um in sich geschlossene Lösungen zu induzieren. Schon in der Planungsphase müssen Validierungserfordernisse sowie Lastzustände in den Grundkonstruktionen und in der technischen Gebäudeausstattung in Bezug auf Forschungsprozesse und Abläufe Beachtung und Eingang finden.

6. Die Aufstellung und Einhaltung eines restriktiven Prüf- und Vergabeplans ist eine der entscheidenden fundamentalen Maßnahmen zur Sicherung der späteren Bau- und Anlagenqualität. Für die Vergabe hat sich die sinnvolle technische Losbildung nicht nur nach Kostengruppen, sondern nach technischer Notwendigkeit unter Beachtung zusammenfassbarer Kostengruppen bewährt, auch wenn dies zu einem erhöhten Lenkungsaufwand beim Bauherrn führt.

7. Die Planung und Aufstellung von Inbetriebnahmekonzepten und deren Abstimmung mit den Bauausführenden und dem Nutzer einschließlich des Übergabeprozesses muss bereits Bestandteil der Ausschreibungen werden und geht weit über das in der HOAI und VOB festlegte Maß hinaus. Eine vertragliche Bindung mit Leistungssoll in den Bauleitungs- und Bauaufträgen ist zwingend festzuschreiben.

8. In der Bauausführung sind verbindliche Termine und Meilensteinen mit klar definiertem Leistungssoll kontrollierbar festzulegen sowie interne und externe Prüfprozesse und –Organisationen zu berücksichtigen und einzubinden. Das Bauvorhaben ist interdisziplinär in kleine, in sich geschlossene Baustellen gewerkeübergreifend zu zerlegen. „Billigste“ Vergaben in der Ausführung sind mit fehlendem Fachwissen gleichzusetzen. Die Aufstellung und Durchsetzung einer Qualitätssicherung von Ausführungsleistungen der Firmen und eines Prüf-, Inbetriebnahme- und Abnahmekonzepts vor Übergabe an den Nutzer ist durch die Bauleitung zu etablieren, ständig zu kontrollieren und abzugleichen.

9. Es gibt nur einen Projekt- und Bauleiter beim Bauherrn. Nachgeschaltete Teilbauleiter sind personell und fachlich ausreichend zu besetzen, und deren Verbindlichkeit und Verfügbarkeit muss über die gesamte Bauphase absolut gesichert sein. Arbeitsort ist die Baustelle und nicht das Büro. Von den Ausführungsfirmen sind verfügbare Fachbauleiter zu fordern. Rohbau, Ausbau und technische Gebäudeausstattung sind keine Gegner. Da Werkplanung keine kopierte Ausführungsplanung ist, müssen abweichende Lösungen von der Ausführungsplanung funktional nachgewiesen und koordiniert werden. Ein konsequentes Kosten- und Claim-Management ist für alle Phasen durchzuführen.

10. In alle Prozesse sollte der Nutzer durch hauptamtliche Vertreter eingebunden werden und ein regelmäßiger Bericht und Abgleich als Erfüllungskontrolle etabliert sein. Entscheidungen und Prüfungen durch den Bauherrn oder anderer am Projekt beteiligter Entscheidungsgremien sind inhaltlich verantwortlich und zeitnah herbeizuführen. Sonderthemen und Nachträge müssen umgehend und zeitnah bearbeitet und gelöst werden, um Entscheidungsstau zu vermeiden.

Innovative Lösungen und Entwicklungen

Wie bei jedem anspruchsvollen Projekt führen nicht alltägliche Problemstellungen zu innovativen Lösungen und Entwicklungen. Das Projekt am Robert Koch-Institut hat auch einen nicht unerheblichen Beitrag geleistet:

◾ Entwicklung neuer HEPA-Filterkombination H13/H14 mit neuartigen validierbaren Prüf- und Inaktivierungseinrichtungen und -verfahren;
◾ Experimenteller Nachweis und Einführung der H2O2-Begasung in einem validierten Verfahren zur Dekontamination von Räumen und technischen Anlagen deutschlandweit;
◾ Umschaltbare Tierhaltung vom S2- in den S3-Betriebszustand;
◾ Tierhaltung im Durchlaufprozess mit Doppelschleusen;
◾ Unterdruckhaltung durch neuartige pneumatische Bypassregelungen bei S3 und S4;
◾ Unterdruckhaltung bei systembedingter Klappenschließung durch ein raumübergreifendes Nachströmkonzept im S4-Labor;
◾ Komplettimplementierung der GLT im IT-Netz des Campus und deren Daten- und Serverhaltung in Rechenzentren mit redundantem Aufbau;
◾ Zentrale Raumbegasungen im S3 und S4 mit Einkopplung der Steuerung der Begasungsautomaten in die GLT;
◾ Reduzierung der notwendigen Dampfleistung durch ein konsequentes Dampfmanagement der Verbraucher;
◾ Intelligentes Lastmanagement bei Stromausfall für den autarken Notstrom- und Ersatzstrombetrieb;
◾ Einheitliche Systemlösung bei der Medienzuführung in den Laboren und Tierhaltungsräumen.

Kaum ein entsprechend anspruchsvolles Projekt der öffentlichen Hand leidet nicht unter erheblichen Zeitverzögerungen und Kostenexplosionen. Wenn auch im Nachhinein vieles erklärbar ist und begründet werden kann, sind es meistens die sehr subjektiven Verhaltensweisen einzelner am Projekt beteiligter Personen und Institutionen, die diese negative Projektentwicklung geradezu heraufbeschwören. Mehr Professionalität und die verlässliche Wahrnehmung der eigenen Verantwortung zur interdisziplinären Zusammenarbeit gegenüber dem eigentlichen Projekt und dem fachlich-vertraglichen Mitstreiter sowie die faire Zusammenarbeit der an der Lösung Beteiligten würden schon wesentliche Hürden und Stolpersteine beseitigen. Die aufgeworfenen Fragen und Lösungen, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, sollen dabei als Anregung dienen.

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