Neue Antikoagulanzien
12.09.2012 -
Neue orale Antikoagulantien sind für die postoperative Thromboseprophylaxe nach Gelenkersatzoperationen und zur Anwendung bei Patienten mit Vorhofflimmern zugelassen.
In den nächsten Jahren wird eine massive Veränderung der antikoagulatorischen Therapie stattfinden. Neue orale Antikoagulantien sind für die postoperative Thromboseprophylaxe nach Gelenkersatzoperationen (Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban) und zur Anwendung bei Patienten mit Vorhofflimmern (Dabigatran, Rivaroxaban) zugelassen. Die Zulassung zur Behandlung bei venösen Thrombembolien und bei internistischen Indikationen wird kurzfristig erfolgen.
Zusätzlich stehen weitere direkte, orale Faktor Xa- bzw. Faktor IIa-Inhibitoren kurz vor Abschluss der klinischen Prüfungen und werden, soweit vorhersagbar, ebenfalls die Zulassung erreichen. Der große Vorteil dieser neuen Substanzen liegt darin, dass die Therapie in den meisten klinischen Situationen, im Gegensatz zur Therapie mit Cumarinderivaten, kein labordiagnostisches Monitoring erfordert. Das Labor ist jedoch trotzdem stark von der bevorstehenden, breiten Einführung betroffen, da die Ergebnisse nahezu jedes Gerinnungstests durch diese Substanzen bei höherer Dosierung oder bei Kumulation beeinflusst werden. In bestimmten klinischen Situationen wird auch ein Monitoring der neuen Antikoagulantien notwendig sein.
Für die antikoagulatorische Therapie des Vorhofflimmerns stehen mit dem Thrombininhibitor Dabigatran (Handelsname: Pradaxa, Hersteller: Boehringer Ingelheim) und dem Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban (Xarelto, Bayer Vital) seit Kurzem zwei neue orale Medikamente zur Verfügung.
Im Gegensatz zur klassischen Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten (Phenprocoumon, Warfarin) stellen die neuen Medikamente einen erheblichen erheblichen Fortschritt dar. In den meisten Fällen kann eine fixe Dosierung ohne zusätzliches Gerinnungsmonitoring gewählt werden, und die therapeutische Breite sowie das Nebenwirkungsprofil sind deutlich verbessert worden.
Kumulationsgefahr
Aufgrund der überwiegend renalen Elimination kann es bei niereninsuffizienten Patienten jedoch zur Akkumulation kommen, weshalb vor Therapiebeginn die Nierenfunktion überprüft werden sollte (z. B. mittels einer geschätzten Creatinin-Clearance), ebenso bei Patienten unter laufender Therapie, bei denen eine Verschlechterung der Funktion eintritt oder vermutet wird, sowie jährlich bei älteren Patienten > 75 Jahren oder bei vorhandener Niereninsuffizienz. Bei einerCreatinin-Clearance < 30 mL/min sind Dabigatran und bei < 15 mL/min Rivaroxaban kontraindiziert.
Medikamentenmonitoring
Bei Blutungskomplikationen, bei Verdacht auf Akkumulation oder Überdosierung oder bei bestimmten Patientengruppen, z. B. mit starkem Über-/Untergewicht oder Compliancefragen, kann es notwendig sein, im Labor die Bestimmung der Rivaroxaban-und Dabigatran-Plasmakonzentration durchzuführen. Hierfür stehen kommerziell verfügbare Reagenzien, Kalibratoren und Kontrollen zur Verfügung. Die Rivaroxabankonzentration kann über die Anti-Faktor-Xa-Aktivitätsbestimmung ermittelt werden, die Dabigatrankonzentration z. B. mit einer verdünnten Thrombinzeitmessung.
Beide Tests können auf üblichen Gerinnungsanalysatoren adaptiert und Rund um die Uhr zur Verfügung gestellt werden. Bei Verdacht auf Akkumulation wird ab einer Dabigatran-Konzentration von > 200 μg/L im Talspiegel (10-16 h nach letzter Dosis, bei einer Dabigatrandosierung von 150 mg 2-mal täglich) von einem erhöhten Blutungsrisiko ausgegangen.
Wenn in einem Labor keine spezifischen Tests zum Medikamentenmonitoring etabliert sind, kann für die Fragestellung, ob bei einem Patienten noch eine Medikamentenrestwirkung vorhanden ist, bei Rivaroxaban auch eine nicht Rivaroxaban-kalibrierte Anti-Xa-Aktivität (NMH-Test) und bei Dabigatran eine „normale" Thrombinzeit gemessen werden.
Eine nicht nachweisbare Anti-Xa-Aktivität bzw. eine normale Thrombinzeit schließen eine klinisch relevante Medikatenkonzentration im Patientenblut aus.
Einfluss auf Gerinnungstests
Unter Dabigatran- und etwas geringer ausgeprägt unter Rivaroxaban- und Apixaban-Therapie kommt es auch zu einem besonders starken In-vitro-Effekt auf nahezu alle koagulometrischen Gerinnungstests, der die Interpretation der Testergebnisse erschwert.
So werden 2-4 Stunden nach Einnahme (Spitzenspiegel der Medikamente) zum Beispiel ein um bis zu 30 % niedriger Quick-Prozentwert und eine um bis zu 20 sec verlängerte APTT sowie Einflüsse auf nahezu alle weiteren Tests beobachtet.
Die Effekte sind Reagenz-abhängig, sodass jedes Labor eigene Erfahrungen sammeln muss. Immunologische Gerinnungstests, wie zum Beispiel die D-Dimer-Bestimmung, werden nicht beeinflusst. Im Gegensatz zum Spitzenspiegel sind die Beeinflussungen bei Blutentnahme im Talspiegel (12-24 Stunden nach Einnahme = vor der nächsten Medikamentengabe) bei nicht niereninsuffizienten Patienten gering. Zur Abschätzung des Hämostasepotentials des Patienten sollte daher, wenn immer möglich, die Blutentnahme vor Einnahme der nächsten Tablettendosis erfolgen.
Für beide Medikamente ist bisher kein spezifisches Antidot verfügbar, und zur Therapie bei hämorrhagischen Komplikationen liegen nur sehr begrenzte Erfahrungen vor.
In der Tabelle sind die Empfehlungen für diagnostische und therapeutische Maßnahmen sowie die Einflüsse auf Gerinnungstests von Dabigatran und Rivaroxaban im Vergleich zu niedermolekularem Heparin und Fondaparinux zusammengefasst (Auswahl).
Alle in diesem Artikel und in der Tabelle zusammengefassten Informationen basieren auf Angaben aus der wissenschaftlichen Fachliteratur, Fachinformationen der Hersteller und eigenen Erfahrungen.
Im Einzelfall muss der behandelnde Arzt individuelle Patientenaspekte und lokale Laborbegebenheiten berücksichtigen. Die Angaben in diesem Artikel sind daher als orientierend zu betrachten, und für die Richtigkeit kann keine Garantie übernommen werden. Es sind bei der Patientenbehandlung daher immer der aktuelle Stand der Wissenschaft und die Angaben in den Fachinformationen zu berücksichtigen.
Quellen
Peetz D. Patientenmanagement bei Therapie mit modernen Antikoagulanzien. In: Der Gerinnungsimpuls Ausgabe 1/2012. Antikoagulanzien- Management in Klinik und Labor, S. 14-15. Hrsg.: Siemens Healthcare Diagnostics GmbH