Patientennahe Labordiagnostik: Innovationshürde Marktzugang
17.01.2011 -
Patientennahe Labordiagnostik wird nur sehr zögerlich in die Präventionsprogramme der Krankenkassen übernommen. Wer wissen will, wo die Diagnostica-Industrie in Deutschland der Schuh drückt, der kann Verbandsstellungnahmen lesen. Er kann aber auch auf eine vom Bundesforschungsministerium geförderte Studie von 2008 zurückgreifen. Sie listet auf, was die Innovationskraft und damit den wirtschaftlichen Erfolg vieler Medizinproduktehersteller hemmt: die fehlende oder verzögerte Akzeptanz innovativer Verfahren durch die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV), unangemessen hohe Anforderungen an Anwendertests sowie gesundheitsökonomische Studien. All dies zusammen verhindert, dass medizintechnische Innovationen zumindest den Kassenpatienten zeitnah zugute kommen können.
Die Ergebnisse dieser Studie sind auch heute noch aktuell. Beispiel Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs: Schon im Jahr 2003 stellte der damalige Bundesverband der Innungskrankenkassen beim Gemeinsamen Bundesausschuss den Antrag, molekulardia-gnostische Verfahren als HPV-Screening zuzulassen. Inzwischen ist der Test in anderen europäischen Ländern längst Routine. Hierzulande nahmen ihn die medizinischen Fachgesellschaften in ihre Leitlinie auf. Die Aufnahme in die Präventionsprogramme der Kassen ist jedoch bei positiver Bewertung frühestens in 2012 zu erwarten. Neun Jahre Beratung für den Einsatz eines Labortest bei der Früherkennung - das ist schon ein starkes Stück.
Solche Fälle sind nicht nur für die Patienten bedauerlich, denen moderne Diagnosemöglichkeiten vorenthalten werden. Dies ist auch ein Wettbewerbsnachteil für die Firmen, die solche Innovationen entwickelt haben. Der wichtige Heimat- und Referenzmarkt fällt bei der Refinanzierung ihrer hohen Investitionen zunächst aus.
Welche wirtschaftliche Bedeutung neu entwickelte Labortests für die Firmen gewinnen, wenn sie endlich auf dem Markt sind, zeigt eine Mitgliederbefragung des VDGH. Bei knapp der Hälfte der Firmen, nämlich bei 47,8%, machen Produkte, die maximal drei Jahre auf dem Markt sind, immerhin zehn Prozent des Umsatzes aus. Bei knapp elf Prozent der VDGH-Mitglieder tragen neue Produkte mit über 30 % zum Umsatz bei.
Dass ein solidarisch finanziertes System nicht jede neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode sofort finanziert, kann die Diagnostica-Industrie akzeptieren. Allerdings müssen die Zugangsvoraussetzungen transparent und nachvollziehbar sein und die Entscheidungen innerhalb klarer Fristen fallen. Daran hapert es.
Die Mitwirkungsmöglichkeiten der Industrie sind gering. Im Gemeinsamen Bundesausschuss sind diese praktisch nicht vorhanden. An anderer Stelle hat der VDGH zumindest erreicht, dass er Vorschläge zur Aufnahme neuer Labortests in den EBM machen kann. Damit ist aber immer noch nicht gesagt, ob der Vorschlag auch behandelt, geschweige denn, in welcher Zeit eine Entscheidung getroffen wird. Die Politik ist gefragt, der Selbstverwaltung auf die Finger zu schauen, ob sie die ihr übertragene Aufgabe, den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen festzulegen, in angemessener Weise erfüllt.
Der verzögerte Marktzugang ist einer der Gründe, weshalb Deutschland für die Diagnostica-Industrie wirtschaftlich an Bedeutung verliert. Noch ist der deutsche IVD-Markt der größte innerhalb der EU. Er wächst jedoch seit einiger Zeit unterdurchschnittlich im europäischen Vergleich.
Ein besonderer Faktor im Labordiagnostikmarkt ist, dass dort ein äußerst scharfer Preiswettbewerb existiert. Reagenzien und Geräte stehen unter hohem Preisdruck. Zum einen ist dies durch die Vergütungssysteme bedingt. Labortests sind Bestandteil des ärztlichen Honorars, was das Interesse des Doktors an niedrigsten Einstandspreisen bedingt. Vergleichbares gilt für das fallpauschalierte Entgeltsystem im Krankenhaussektor. Zum anderen verändert sich die Nachfrageseite rasant: Private-Equity-Firmen haben den Labormarkt für sich entdeckt und beteiligen sich an Laborketten. Ein erheblicher Konzentrationsprozess ist die Folge. Großlabore und international tätige Laborketten beherrschen zunehmend den Markt. Außerdem legen immer mehr Kliniken ihre Labore zusammen. Dieser Konzentrations- und Konsolidierungsprozess erhöht die Nachfragemacht und drückt die Preise. Die Rationalisierung und Automatisierung der Produktion ist weitgehend ausgereizt. Die Industrie steht vor großen Herausforderungen. Umso größer ist die Notwendigkeit, dass neue Produkte ihren Weg in das Erstattungssystem der gesetzlichen Krankenkassen finden.