Labor & Diagnostik

Patientennahe Zukunft

Point-of-Care-Testing: Ein Gespräch über Herausforderungen und Chancen

24.06.2010 -

POCT entwickelt sich stetig weiter - daraus ergeben sich neue Möglichkeiten für die patientennahe Diagnostik. Beate Rühlemann sprach darüber mit Prof. Günter Gauglitz, Institut für Physikalische und Theoretische Chemie an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen.

M&K: Sie beschäftigen sich mit speziellen optischen Sensoren für bioanalytische Verfahren. Worum geht es dabei, wenn wir an POCT denken?

Prof. Günter Gauglitz: Im Prinzip geht es bei POCT darum, im Blut Parameter zu untersuchen, die relevant sind für den Gesundheitszustand von Patienten. Typische Beispiele sind die Messung des C-reaktiven Proteins, das CRP, oder relevante Marker für Sepsis. Außerdem spielt POCT in der Blutgasanalytik eine große Rolle. Das größte Projekt, für das wir gerade arbeiten, ist ein EU-Projekt, das sich CARE-MAN nennt. Es hat ein Fördervolumen von 11 Mio. €, läuft über fünf Jahre und hat 30 Partner in Europa. Im Rahmen dieses Projekts werden optische Plattformen entwickelt, mit denen in einer Art modularem System Probenahme, -vorbereitung und Messung sowie Auswertung durchgeführt werden sollen, und zwar möglichst für eine ganze Gruppe von Analyten, die im Zusammenspiel den Krankenzustand in der Akutmedizin besser wiedergeben. Interessant ist ein kleines neues Marker-Molekül, das Neopterin, das erstmals mittels POC nachgewiesen werden kann.

Welche Bedeutung kommt POCT zukünftig zu?

Gauglitz: Im intensivmedizinischen Bereich wird heute schon viel mit POCT gearbeitet. Einfach deshalb, weil die Bearbeitung übers Zentrallabor für den intensiv- und akut-medizinischen Bereich relativ zeitaufwendig ist - und gerade im Akutmedizinbereich Zeit für Diagnose und beginnende Therapie eine extreme Rolle spielt. Deswegen gibt es schon einige Geräte auf dem Markt, und es wird am 7. Juni in Tübingen ein Informationstag stattfinden, an dem wir mehrere solcher Geräte vorführen, aber auch über die Philosophie von POCT sprechen werden. Da geht es auch um Akzeptanz von Messtechniken, überhaupt um Akzeptanz von persönlicher Überwachung. Gut, also: POCT ist im Kommen, ganz klar, weil man zum Beispiel im ersten Schritt auf Intensiv- und Krankenstation schnell Informationen über Akutzustände eines Patienten haben will. Darüber hinaus macht POCT Sinn nicht nur für die Ambulanz, sondern auch im Notarztwagen. Die Vision geht dahin, dass vermehrt in Arztpraxen - vor allem bei Allgemeinmedizinern - einfache POCT-Geräte eingesetzt werden können. Denken Sie an die Situation freitags ab 11 Uhr, da findet der Hausarzt kein Labor mehr. Der letzte Schritt wird sicherlich sein, dass man Patientenüberwachung zu Hause machen kann, also postoperativ. Denken sie auch an die ambulante Chemotherapie oder die Kontrolle vom Medikamentenspiegel bei chronisch Kranken. So gesehen gibt es ein weites Feld von POCT, und das ist sicherlich der Grund dafür, dass Sie sehr viele Entwicklungen in diesem Bereich haben. Das wird vorangetrieben durch die elektrochemischen Methoden, in letzter Zeit auch durch optische Methoden. Diese gewinnen gerade an Interesse, weil man eben auch sehr kleine portable Geräte machen kann. Und weil man über ein System mit der Optik doch mehr herausbekommen kann, als man manchmal allein über die Elektroden bekommt.

Welchen zukünftigen Stellenwert haben neue Fotodetektoren für die Analytik und Diagnostik?

Gauglitz: Eine unheimliche Entwicklung haben wir in den letzen Jahren in zwei Bereichen. Das sind einmal die LED, die Leuchtdioden. Dadurch, dass Sie in jedem Auto jetzt solche Lämpchen haben, ist es ein Massenmarkt, lohnt sich weitere Entwicklung bei niedrigem Preis. Und auf der anderen Seite bei den Detektoren, den CCDs (charge coupled devices - finden sich in vielen Digitalkameras). Das ist sozusagen das Konventionelle. Im Rahmen eines sogenannten MoDekt-Projekts nutzen wir aktuell eine Entwicklung der Universität Stuttgart, die es ermöglicht - mittels Mehrschichtaufbau einer Halbleiterstruktur und verschiedener angelegter Spannungen beziehungsweise Felder - die Detektivität für einzelne Wellenlängen zu variieren. Dadurch bekommt man eine intelligentere Fotodiode, die zukünftig eine Rolle spielen könnte.

Wie sieht es mit den elektrischen Auswerteverfahren aus?

Gauglitz: Die sind natürlich sehr stark etabliert. Das ist ganz klar, weil vor allem in der Vergangenheit durch die Technik der Halbleitertechnologie und die Transistorschaltungen man immer davon ausgegangen ist, dass das Elektrische sehr preiswert ist und es Low-Cost-Artikel sind. Aber inzwischen ist das bei der Optik auch nicht mehr wesentlich teurer. Und deswegen werden diese Verfahren, je nach Anwendung, ihren Markt finden.

Was sind die Vorteile der optischen Systeme?


Gauglitz: Die Vorteile der optischen Systeme sind, dass sie die Messergebnisse nicht unbedingt am Chip abgreifen müssen. Das heißt, sie können die Materialien einfacher gestalten und Beobachtung und Anregung unabhängig vom Chip machen. Das kann ein Vorteil sein. Während man beim elektrischen System an den Chip ran muss und das Ableiten des Bondings durchaus ein Problem sein kann, ist dies bei optischen Verfahren nicht notwendig. Sie können sogar die markierten Systeme und damit automatisch Reagenzien vermeiden, die auch stören können. Wenn sie so direkt optisch messen können, haben sie zwei Vorteile: einmal natürlich das einfachere und kostengünstigere System und zum anderen, dass sie das System weniger beeinflussen.

Komplettanalyse-Systeme, diese Mikro-Total-Analyse-Systeme, was sagen Sie hierzu?

Gauglitz: Gut, viele Begriffe bedeuten Ähnliches: „Lab-on a Chip", µTAS und Taschentuchlabor, Teststreifen. Da gibt es die verschiedensten Systeme, die eine unterschiedliche Intelligenz haben. Und dann ist natürlich immer zu beachten, dass man sich fragen muss, ob man wirklich ein „ganzes Laborgebäude" auf einem 1 cm² großen Chip platzieren soll, oder ob das nicht manchmal auch überdimensioniert ist.

Muss man da an die Abschaffung des Zentrallabors denken?

Gauglitz: Nein, das glaube ich nicht. Das fing bei den ersten Sensoren schon an, dass man gesagt hat, jetzt brauchen wir keine konventionelle Analytik mehr. Man muss sich immer klar darüber sein, und es gibt in meinen Augen dazu überhaupt keine Diskussion, dass alle diese Dinge nebeneinander ihre Bedeutung haben. Und je nachdem, welche analytische Zielrichtung vorliegt, welche Komplexität meine Probe hat, muss ich unterschiedliche Ansätze in der Analytik machen.


Wo würde sich das „Labor im Taschentuch" am ehesten etablieren?

Gauglitz: Ja gut, ich meine, das ist ja die Sache von Herrn Prof. Bier in Potsdam. Es ist ja auch noch nicht ganz festgelegt, in welche Detektionsrichtung es gehen soll. Und da wird auch versucht - und das ist das Interessante dabei -, dass man hier eine sehr schöne Kombination der Expertise hat, gerade von der Oberflächenchemie, den Erkennungsstrukturen, den Aptameren und auf der anderen Seite hinsichtlich der Detektionsmöglichkeiten. Die Nutzung ginge dann in den POCT-Bereich.

Wohin entwickelt sich POCT? Wo sehen Sie bezüglich der Einsetzbarkeit Entwicklungspotential?

Gauglitz: Wir haben sicherlich ein soziologisches Problem. Das ist auf der einen Seite die alternde Bevölkerung. Auf der anderen Seite lesen wir schon dauernd in der Presse, dass es in Bereichen wie dem Schwarzwald oder Mecklenburg Vorpommern strukturschwache, zersiedelte Gegenden gibt, für die neue Wege gefunden werden müssen. Da bietet sich POCT an, wir nehmen doch heute auch schon EKGs mit nach Hause und lassen die Menschen 24-Stunden-EKGs zu Hause machen.

Was werden zukünftig die große Herausforderungen für die POC-Diagnostik sein?

Gauglitz: POCT muss sicherer sein als Geräte im Labor, da das Ziel von POCT ist, solche Geräte auch von nicht speziell lange Geschulten bedienen zu lassen. Außerdem ist POCT noch teuer, klar, dafür sind kontinuierliche Überwachungen möglich und der Informationsgewinn schneller.

Welche Entwicklung im POCT-Markt würden Sie nicht begrüßen?

Gauglitz: Jeder hat ein Taschentuchlabor in der Hosentasche, das kann es nicht sein. Nachsorge ist dagegen wichtig. Aber - der Mensch ist besonders wichtig. Man sollte auch nachdenken, ob es nicht doch wieder ein paar mehr Krankenschwestern geben sollte, denn Heilungsprozess und Wohlbefinden des Patienten können sicherlich nicht allein durch Messung gesteuert werden.

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