Da Vinci OP-Roboter – Marketing Instrument oder medizinischer Fortschritt?
05.10.2011 -
Keine andere neue Technologie hat sich in der Medizin in den letzten Jahren so rasch verbreitet wie der Da Vinci Operationsroboter. In den USA hat sich die Zahl der mit diesem System durchgeführten Eingriffe seit 2007 etwa verdreifacht (2010: 220.000 Operationen) und die Zahl der etwa 2 Millionen Euro teuren Systeme um etwa 75% auf 1.400 erhöht. In Europa zeigt sich eine ähnliche Dynamik mit zeitlich verzögertem Beginn. In Deutschland wurden seit 2006 allein 52 Operationsroboter aufgestellt.
Beim „Da Vinci" handelt es sich im Prinzip um einen Telemanipulator, bei dem der Operateur an einer Steuerkonsole ein 3-D-Bild des Operationssitus sieht und computerunterstützt laparoskopische chirurgische Instrumente an vier Roboterarmen steuert. Für den Patienten ergeben sich gegenüber einer offenen Operation - je nach Eingriffsart - die allgemein akzeptierten Vorteile einer Laparoskopie: kleinere Inzisionen, geringerer Blutverlust, kürzerer Krankenhausaufenthalt und raschere Rekonvaleszenz. Im Vergleich zur Laparoskopie schätzen Operateure beim Da Vinci die größere Beweglichkeit der Instrumente und die Präzision der Bewegungen durch eine Übersetzung (z.B. 3:1 Konsole → Patient).
Hauptsächlich wird der Da Vinci zur radikalen Prostatektomie beim lokalisierten Prostatakarzinom eingesetzt. In den USA werden mittlerweile über 80% dieser Eingriffe roboterassistiert durchgeführt, in Deutschland sind es derzeit über 20%, Tendenz steigend.
Darüber hinaus wird der Da Vinci für radikale Zystektomien bei invasiven Harnblasenkarzinomen, organerhaltenden Nierentumorresektionen, Nebennierentumoren und angeborenen Fehlbildungen des Ureterabganges eingesetzt. Nach der Urologie wird der Operationsroboter am häufigsten in der Gynäkologie für Hysterektomien eingesetzt (ca. 17% in den USA).
Die rasche Verbreitung der Robotertechnologie - trotz der erheblichen Kosten für Anschaffung und limitiert wiederverwendbare Instrumente (ca. 1.500,- Euro pro Prostatektomie) - ist vor allem auf erfolgreiches Marketing zurückzuführen. Auf Werbeplakaten und Internetseiten wird seit Jahren von Krankenhäusern in den USA massiv für Da Vinci Operationen geworben.
Dabei wird laut einer aktuell im Journal for Healthcare Quality erschienenen Studie u.a. von 89 % der Krankenhäuser eine Überlegenheit roboterassistierter Eingriffe angegeben. Das diese Strategien erfolgreich gewesen sind, belegt eine Untersuchung der Verteilung radikaler Prostatektomien im Staat Wisconsin zwischen 2002 und 2007/2008: Die Aufstellung eines Da Vinci Operationsroboters ging mit einer (adjustierten) jährlichen Zunahme der „Marktanteile" um 114% zulasten der übrigen Krankenhäuser einher (Cancer 2011).
Dabei bleibt die Frage, ob und bei welchen Operationen ein roboterassistierter laparoskopischer Eingriff von Vorteil ist, umstritten. Umfangreiche Daten liegen vor allem für die radikale Prostatektomie vor. Bei diesem komplexen Eingriff muss einerseits die Prostata samt Tumor im Gesunden entfernt werden. Andererseits wächst der Tumor meist unmittelbar benachbart zu dem Gefäß-Nervengeflecht, das für die Potenz verantwortlich ist. Dieses muss ebenso wie der willkürliche Schließmuskel optimal erhalten werden, um Impotenz und/oder Inkontinenz zu vermeiden. Aufgrund der engen Lagebeziehungen ist hier also „Millimeterarbeit" gefragt.
Methoden bedingt - durch den hohen Druck des Pneumoperitoneums werden insbesondere venöse Blutungen reduziert - ist der Blutverlust bei einer Laparoskopie gegenüber der offenen Prostatektomie klinisch relevant geringer. In einer Metaanalyse war das Transfusionsrisiko dem entsprechend bei der offenen radikalen Prostatektomie (OPR) 4,7-fach höher. Andere Vorteile der Laparoskopie wie kleinere Schnitte, geringere postoperative Schmerzen etc. scheinen evident, sind aber nicht durch methodisch hochwertige Studien belegt.
Mit Blick auf die an der Urologischen Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums Jena seit Beginn der Da Vinci Prostatektomien Ende Januar 2011 behandelten Patienten, sind diese Vorteile klar nachvollziehbar: Bei den bisher fast 90 Patienten wurde (dank kleiner Schnitte) keine Wundinfektion beobachtet; die perioperative Transfusionsrate lag bei 4 %. Nach roboterassistierter laparoskopischer Prostatektomie (RALP) werden Patienten nach sieben, diejenigen nach OPR frühestens nach zehn Tagen katheterfrei entlassen.
Die genannten Parameter sprechen allerdings in erster Linie für die Laparoskopie und nicht für ein (teures) roboterassistiertes Vorgehen. Gegen eine (nicht roboterassistierte) Laparoskopie (LPR) sprechen dagegen neuere Daten, die schlechtere funktionelle Ergebnisse (Kontinenz, Potenz) im Vergleich zur offenen Prostatektomie nahelegen.
Medicare-Daten aus dem Zeitraum zwischen 2003 und 2007, die allerdings keine Differenzierung zwischen Laparoskopie mit oder ohne Roboter erlauben, zeigen für diesen Zeitraum eine signifikant höhere Inkontinenz- und Impotenzrate sowie mehr urogenitale Komplikationen bei einem minimal-invasiven Vorgehen (JAMA 2009).
Möglicherweise bedingt durch die zunehmende Erfahrung zeigen schließlich jüngst publizierte Daten deutliche Vorteile für die RALP. In einer Metaanalyse (n = 110.016) fanden sich signifikant weniger positive Absetzungsränder nach RALP als nach LPR oder OPR.
Gematchte Analysen von 13.000-20.000 Patienten zeigen darüber hinaus ein besseres rezidivfreies Überleben (fünf Jahre) bei allen Prostatakarzinom-Risikogruppen. Je eine prospektiv randomisierte Studie zeigt darüber hinaus einen besseren Potenzerhalt nach RALP gegenüber LPR bzw. OPR. In der im Journal of Sexual Medicine (2011) pu¬blizierten randomisierten Studie konnten ein Jahr nach RALP 77 % der Patienten Geschlechtsverkehr ausüben gegenüber nur 32 % nach LPR.
Zusammenfassend hat sich das Da Vinci Operationssystem Marketing getrieben rasch verbreitet. Die technischen Vorteile gegenüber offener und konventionell laparoskopischer Operation liegen auf der Hand und werden bei der neuesten Gerätegeneration (Da Vinci Si HD) besonders deutlich: 3-D-High-Definition-Bildgebung mit 10- bis 12-facher Vergrößerung des Operationssitus und computerunterstütze Steuerung erlauben feinste Präparation für komplexe Eingriffe wie die radikale Prostatektomie. Mehr als zehn Jahre nach der Zulassung durch die FDA mehren sich die Daten, dass sich die technische Überlegenheit der RALP neben den allgemeinen Vorteilen der Laparoskopie - in erfahrenen Händen - auch durch günstigere funktionelle, möglicherweise sogar bessere onkologische Ergebnisse auszahlt.