Medizin & Technik

MDR - Hemmnis für den medizintechnischen Fortschritt?

09.06.2020 -

Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) sieht die Medizintechnik-Branche vor großen Herausforderungen, EU-MDR, Ressourcendefizite bei Benannten Stellen, längere Bewertungsverfahren und steigende Preise trüben die Stimmung.


Nina Passoth, Berlin

Wie ist die aktuelle Lage der Medizintechnik-Branche, das möchte der Bundesverband Medizintechnologie in seiner alljährlichen Herbstumfrage von seinen Mitgliedsunternehmen wissen. In 2019 haben sich hieran von den angeschriebenen 220 Unternehmen rund 50% beteiligt, darunter vor allem die größeren Hersteller von Medizinprodukten aus Deutschland und den USA.

Sinkende Gewinne, MDR und Export als stabilisierender Faktor

Die drei wichtigsten Ergebnisse seien zusammengefasst vorangestellt:

  • 1.    Die Stimmung in der deutschen Medizintechnik-Branche hat sich deutlich eingetrübt. Die erwartete Umsatzentwicklung im Inland ist mit nur noch 3,3 % gegenüber dem Vorjahr (4,2 %) stark rückläufig. Besonders besorgniserregend ist die Entwicklung der Gewinnsituation durch sinkende Preise und höhere Kosten. Nur noch 12 % der Unternehmen erwarten in diesem Jahr eine verbesserte Gewinnsituation. Zudem ist der vom BVMed erhobene Innovationsklima-Index mit 4,2 von 10 Punkten auf dem niedrigsten Stand.
  • 2.    Hauptgrund für die eingetrübte Stimmung ist die EU-Medizinprodukte-Verordnung (EU-MDR), die für Ressourcendefizite bei den Benannten Stellen, längere Bewertungsverfahren und steigende Preise sorgt. Fast 90 % der MedTech-Unternehmen befürchten, dass Produkte aus ökonomischen Gründen vom Markt genommen bzw. nicht auf den Markt gebracht werden. Das würde dann auch zu Lasten der Patientenversorgung gehen.
  • 3.    Ein stabilisierender Faktor bleibt der Export. Mit einem erwarteten Umsatzwachstum von 5,8 % wachsen die Unternehmen der Medizintechnologie weltweit nach wie vor deutlich stärker als im Inland.


Stärken und Schwächen des MedTech-Standorts Deutschland

Als große Stärken des Standorts Deutschland nennen die befragten MedTech-Unternehmen vor allem die gut ausgebildeten Fachkräfte (70 %) sowie die gute Infrastruktur (63 %). Häufig genannte Stärken sind zudem das hohe Versorgungsniveau der Patienten (40 %), gut ausgebildete Wissenschaftler und Ingenieure (31 %) sowie gute Rahmenbedingungen für den Export (20 %).

Den mit Abstand schlechtesten Wert erhält – wie im Vorjahr – die Forschungsförderung (nur 2 % der Nennungen). Auch die Aspekte klinische Forschung, Erstattungsniveau und Marktzulassung werden selten genannt (zwischen 16 und 18 %).

Hemmnisse für MedTech-Fortschritt, Folgen der MDR

Besonders kritisch beurteilen die Unternehmen die neue EU-MDR. 81 % der BVMed-Unternehmen bezeichnen die zusätzlichen Anforderungen durch die MDR als größtes Hemmnis für die künftige Entwicklung der Medizintechnologie-Branche. Dabei geht es vor allem um die Pflicht zu umfassenden klinischen Daten (71 %), um längere Konformitätsbewertungszeiten durch Ressourcendefizite bei den Benannten Stellen (59 %) sowie die zahlreichen Pläne und Berichte gemäß der MDR (43 %) (Abb. 1).

Als Folge der MDR-Implementierung gehen 94 % der Unternehmen davon aus, dass die Preise für Hersteller und Vertreiber steigen werden – und damit dann auch die Preise der Produkte. 87 % der MedTech-Unternehmen befürchten, dass Produkte aus ökonomischen Gründen vom Markt genommen bzw. nicht auf den Markt gebracht werden. Dies würde dann auch zu Lasten der Patientenversorgung gehen (40 %). Der Druck wird dabei insbesondere auf kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs) steigen, sagen 58 % der Befragten (Abb. 2).

Als größte Hemmnisse der aktuellen nationalen Rahmenbedingungen werden von den MedTech-Unternehmen nach wie vor der Preisdruck durch Einkaufsgemeinschaften (48 %), die Absenkung sachkostenintensiver DRG-Fallpauschalen (26 %) sowie die innovationsfeindliche Einstellung von Krankenkassen (25 %) genannt. Weitere häufig benannte Hemmnisse sind die Krankenkassenverhandlungen im Hilfsmittelbereich und zu langsame Entscheidungen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (jeweils 21 %) sowie die noch unklaren Regelungen zu digitalen Medizinprodukten (20 %).

Gesundheitspolitische Forderungen

Bei den gesundheitspolitischen Forderungen der Branche stehen in 2019 erstmals MDR-Themen klar an der Spitze. Rund zwei Drittel der Unternehmen fordern, die Neuzertifizierung für Altprodukte durch eine „Großvaterregelung“ zu vereinfachen (67 %) sowie die MDR-Übergangsfristen zu verlängern (64 %). Ein Viertel der Unternehmen wünscht sich Förderprogramme für KMUs zur Umsetzung der MDR.

Neben dem beherrschenden Thema MDR stehen auf der gesundheitspolitischen Agenda vor allem eine Verkürzung der Dauer der Bewertungsverfahren (43 %), eine aktive Beteiligung der Industrie und mehr Transparenz der Prozesse des Gemeinsamen Bundesausschusses (30 %) sowie eine bessere gegenseitige Anerkennung von Studien (29 %). Wichtig sind den Unternehmen auch eine besser abgestimmte Gesundheits-, Wirtschafts- und Forschungspolitik (26 %) sowie die Rücknahme der Sachkostenabsenkung in den DRGs (24 %). Gefordert wird auch, Qualitätsverträge auszubauen und eine qualitätsdifferenzierte Vergütung an der Ergebnisqualität auszurichten (22 %).

Große wirtschaftliche und juristische Herausforderungen

„Die industrielle Gesundheitswirtschaft – und hier insbesondere die Medizintechnik – ist eine Schlüsselindustrie für die deutsche Volkswirtschaft. Sie ist ein Innovationsmotor und starker Arbeitsplatzfaktor. Die zu weiten Teilen mittelständisch geprägte Branche steht vor großen Herausforderungen durch die neue EU-Medizinprodukte-Verordnung, aber auch durch eine stärkere Orientierung an kompletten Versorgungsprozessen und den Entwicklungen von digitalen Gesundheitsdienstleistungen. Wir müssen die Unternehmen bei diesem Prozess unterstützen und die regulatorischen Rahmenbedingungen verbessern, um die Systemrisiken zu minimieren und Deutschland als Heimatmarkt für Gesundheitsprodukte zu stärken“, so das Fazit des BVMed Vorsitzenden Dr. Meinrad Lugan.

BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll forderte: „Wir benötigen bei der MDR praxisorientierte Lösungen, damit alle Produkte nach der EU-Medizinprodukte-Verordnung zertifiziert werden und den Anwendern und Patienten zur Verfügung stehen können".

Ausblick auf europäischen und nationalen Bedarf

Der medizintechnische Fortschritt kann als das Ergebnis einer Vielzahl kontinuierlicher Produkt- und Prozessverbesserungen gesehen werden. Da die Entwicklungszyklen in der MedTech-Branche sehr kurz sind, bedarf es innovationsfreundlicher Rahmenbedingungen für die Unternehmen – denn nur so kann der medizinische Fortschritt künftig schneller in die Versorgungspraxis überführt und qualitätsorientiert vergütet werden.

Auf europäischer Ebene sind pragmatische Lösungen nötigt, damit alle Produkte nach der EU-Medizinprodukte-Verordnung zertifiziert werden und den Anwendern und Patienten zur Verfügung stehen können.

Auf nationaler Ebene setzt sich der BVMed für einen zwischen dem Forschungs-, Wirtschafts- und Gesundheitsministerium abgestimmten „Strategieprozess Medizintechnik“ ein, wie er im Koalitionsvertrag vorgesehen ist. Der Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland soll gestärkt werden, indem die mittelständisch geprägte Medizinprodukte-Branche als Leitmarkt und starker Wirtschaftsfaktor anerkannt wird. Ein schneller Innovationszugang für moderne Medizintechnologien soll sichergestellt werden, insbesondere auch für digitale Gesundheitsanwendungen. Ferner fordert der BVMed abgestimmte Maßnahmen gegen offensichtliche Defizite in der Versorgung, beispielsweise bei Diabetes, Adipositas oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

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