Medizin & Technik

Nuklearkardiologie macht Fehlfunktionen der Herzkranzgefäße sichtbar

21.11.2011 -

Ohne die Nuklearkardiologie würden deutlich mehr Patienten an koronaren Herzerkrankungen sterben, denn diese bildgebenden Verfahren machen Fehlfunktionen der Herzkranzgefäße sichtbar, die dem Elektrokardiogramm entgehen. Mittlerweile zeichnet sich ab, dass neuartige Verfahren der molekularen Bildgebung sogar noch tiefere Einblicke in die biologischen Mechanismen von Herzerkrankungen ermöglichen, so die Europäische Gesellschaft für Nuklearmedizin (European Association of Nuclear Medicine - EANM).

Koronare Herzerkrankungen stehen weltweit an der Spitze krankheitsbedingter Todesursachen, mit besonders hohen Zahlen in den entwickelten Ländern. Allerdings gibt es einen Hoffnungsschimmer, denn die Sterberaten sind in den letzten Jahren gesunken. Der Grund sind Verbesserungen in der Vorsorge, der Diagnose und der Behandlung. Entscheidend beigetragen zu diesem Erfolg hat die Myokard-Perfusions-Szintigraphie (MPS). „Dank dieses nuklearmedizinischen Bildgebungsverfahrens haben wir die Möglichkeit, Risikopatienten schon in einem frühen Stadium zuverlässig zu identifizieren", sagt EANM-Experte Prof. Albert Flotats (Autonome Universität Barcelona). Ärzte können auf diese Weise sehen, wie gut der Herzmuskel durch die Herzkranzgefäße versorgt wird. So lassen sich Risiken wie ein Herzinfarkt sehr genau abschätzen.

Zu Beginn der Untersuchung erhält der Patient eine kleine Dosis einer schwach radioaktiven Substanz injiziert, die als „Tracer" dient. Diese Substanz verbreitet sich durch die Blutbahn und wird vom Herzgewebe entsprechend der Stärke des Blutflusses aufgenommen. Ist das Herzgewebe gesund, nimmt es die radioaktive Substanz auf, nicht aber wenn es geschädigt ist oder wenn die für die Blutversorgung zuständigen Gefäße verschlossen sind.

Der Tracer sendet Gamma-Strahlen aus, die von einer Kamera aufgenommen und zu detaillierten Aufnahmen des Herzens verarbeitet werden. Sie zeigen, welche Bereiche mangelhaft durchblutet sind. Die MPS lässt sich auch nach einem Herzinfarkt einsetzen, um zu erkennen, ob nicht-durchblutetes Gewebe bereits abgestorben ist oder nur „überwintert". In diesem Fall ist möglicherweise eine Behandlung angebracht, die den Blutfluss fördert, zum Beispiel eine Bypass-Operation.

Nutzen überwiegt Risiken bei weitem

Da die MPS häufig Störungen aufzeigt, die im Elektrokardiogramm unentdeckt bleiben, ist ihr Nutzen für die Patienten außerordentlich hoch. Trotzdem ist die MPS in letzter Zeit in die Kritik geraten. Diese zielt auf Krebsrisiken, die angeblich durch die als Tracer verwendeten radioaktiven Substanzen hervorgerufen werden. Nach Einschätzung der EANM ist diese Diskussion völlig fehlgeleitet, weil die Risiken im Vergleich zum Nutzen unverhältnismäßig stark übertrieben werden.

„Die genaue Diagnose, die uns eine MPS liefert, überwiegt das kleine, mögliche Risiko durch einen Scan bei weitem", sagt Prof. Flotats. „Was die Kritiker völlig übersehen, ist das ungleich höhere Risiko, das sich ergibt, wenn kardiovaskuläre Erkrankungen unbehandelt bleiben, was zum plötzlichen Tod führen kann."

Dagegen ist das Risiko, das durch die Strahlendosis bei der nuklearmedizinischen Bildgebung entsteht, so gering, dass es sich durch klinische Studien gar nicht ermitteln lässt. Die momentanen Risiko-Abschätzungen beruhen auf Untersuchungen von Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Japan, deren Daten auf niedrigste Dosen herunter gerechnet wurden. „Es gibt also keinerlei Studien, die die Vermutungen über das Krebsrisiko durch die in bildgebenden Verfahren eingesetzten Dosen bestätigen", erklärt Prof. Flotats. Wer mit einem Raucher zusammenlebt, setzt sich einem bedeutend höheren Krebsrisiko aus als ein Patient, der sich einer MPS unterzieht.

Neue Erkenntnisse durch molekulare Bildgebung

„Trotzdem setzen wir alles daran, die Strahlendosis in der Nuklearkardiologie so niedrig wie möglich zu halten", so Prof. Flotats. „Zu diesem Zweck gibt es einige neu entwickelte Strategien. Sie umfassen die Verbesserung der verwendeten Materialien, des Designs und der Software." So werden seit kurzem nuklearmedizinische und computertomographische Verfahren kombiniert.

Diese "Kardiale Hybrid-Bildgebung" macht anatomische Auffälligkeiten am Herzen und an den Gefäßen und ihre physiologischen Folgeerscheinungen im Rahmen eines einzigen Untersuchungsablaufs sichtbar. Die so miteinander verknüpften Informationen sind aussagekräftiger, als wenn die Daten getrennt oder nebeneinander interpretiert werden müssen. Solche hybriden Systeme sind zudem für den Patienten weniger zeitaufwendig, weil alle Untersuchungsverfahren in einem Ablauf zusammengefasst sind.

Neben der MPS, die ihre große Bedeutung für die Diagnose behalten wird, erforscht man zurzeit neue Wege, um Ursachen und Indikationen kardiovaskulärer Erkrankungen aufzuspüren. Eine vielversprechende Weiterentwicklung nuklearkardiologischer Techniken, so Prof. Flotats, ist die molekulare Bildgebung: Sie liefert Informationen zu biologischen Prozessen, beispielsweise zu Entzündungen im Zusammenhang mit Plaques (arteriosklerotische Plaques), die Herz und Gefäße stark schädigen können. Ein anderes Beispiel ist die Entstehung neuer Blutgefäße (Angiogenesis), die der Reparatur geschädigten Gewebes dient. In nicht allzu ferner Zukunft könnte die molekulare Bildgebung auch dabei helfen, die Wirksamkeit neuer Behandlungsmethoden wie der Gen- oder der Stammzell-Therapie zu bestimmen.

 

Kontakt

European Association of Nuclear Medicine EANM

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