Optische Kontrastmittel für die Unterstützung der Mikrochirurgie
06.10.2011 -
Neuere Entwicklungen in der Chirurgie sind spektakulär, und mikrochirurgische Eingriffe, die feine und feinste Gewebestrukturen betreffen, beeindrucken in besonderem Maße. Präzision erfordern insbesondere Eingriffe im Bereich des Augenhintergrunds, wie etwa die Entfernung der) z.B. bei der epiretinalen Gliose, dem Makulaforamen oder dem vitreoretinalen Traktionssyndrom.
Hier werden hohe Anforderungen an den Chirurgen gestellt, denn solche Eingriffe erfordern nicht nur ein besonderes Geschick, sondern darüber hinaus müssen auch feine und feinste Gewebestrukturen erkannt und richtig beurteilt werden. Die Behandlungsmöglichkeiten sind durch die Entwicklung moderner Hilfsmittel erheblich verbessert worden, bei denen das Schwergewicht auf der Entwicklung präziser optischer Geräte lag.
Weitere Fortschritte werden durch die optische Ähnlichkeit diverser Gewebestrukturen behindert, und eine Erhöhung des optischen Kontrasts würde weitere Möglichkeiten eröffnen. Da es um das visuelle Erkennen geht, sind hier optische Kontrastmittel einzusetzen, für die grundsätzlich Farbstoffe infrage kommen; optische Kontrastmittel sind für den sichtbaren Bereich die Analoga der bekannten Röntgenkontrastmittel oder der Kernspin-Kontrastmittel (MRT).
Es hat bereits Versuche gegeben, mit Farbstoffen einen verstärkten visuellen Kontrast zu erreichen, insbesondere mit ICG (Indocyaningrün, RN 3599-32-4), das aus der Kardiologie bekannt ist. Zwar kann man mit ICG brauchbare Färbungen erreichen, die Substanz kann aber unter den Bedingungen der Chirurgie zum Absterben von Nervenzellen in der Retina und damit zu Ausfällen im Sehfeld führen.
Für die Entwicklung besser geeigneter Kontrastmittel ist die spektrale Augenempfindlichkeit des operierenden Chirurgen ebenso wie die Beleuchtung unter Operationsbedingungen zu berücksichtigen und hierauf die spektralen Absorptionseigenschaften von Kontrastmitteln abzustimmen. In Abb. 1 ist das Tageslichtspektrum als obere, verrauschte magentafarbene Kurve dargestellt und die spektrale Augenempfindlichkeit als schwarze Glockenkurve, die das Tageslichtspektrum optimal nutzt.
Operationen erfolgen vielfach unter einer Beleuchtung mit Halogenlampen, deren spektrale Intensitätsverteilung von der weißen Kurve angegeben wird. Das Absorptionsspektrum von ICG, grüne, durchgezogene Kurve, liegt überwiegend außerhalb der Augenempfindlichkeit im nahen Infrarot, das für eine Kontrastwirkung nutzlos ist; eine grüne Färbung entsteht nur durch den kurzwelligen Ausläufer des Spektrums, der rotes Licht als Komplementärfarbe absorbiert.
ICG bildet bei höheren Konzentration Aggregate, die dann etwas kürzerwellig absorbieren, gepunktete, grüne Linie in Abb. 1, die Situation wird dadurch allerdings nur unwesentlich verbessert, weil immer noch ein Großteil des Spektrums im NIR-Bereich liegt und der kurzwellige Rest im sichtbaren Bereich bei kleiner spektralen Augenempfindlichkeit. Dies erklärt auch, dass ICG als Kontrastmittel in verhältnismäßig hoher Konzentration eingesetzt werden muss, bei der sich toxische Wirkungen voll entfalten.
Wir haben den Lichtabsorptionsbereich von optischen Kontrastmitteln an die spektrale Augenempfindlichkeit des Chirurgen angepasst und sind hierfür von ICG ausgegangen, bei dem der zugrunde liegende Chromophor sich im Wesentlichen zwischen den beiden Stickstoffatomen erstreckt, während den mit Sulfonsäuregruppen terminierten Seitenketten wichtige Funktionen bei der Bindung an das Ziel-Gewebe zukommt.
Den zentralen Chromophor haben wir verkürzt, um die Lichtabsorption an die des menschlichen Auges anzupassen und die Verbindung VA110 synthetisiert. Dessen Lichtabsorption ist in Abb. 1 als blaue, durchgezogene Kurve dargestellt und liegt voll innerhalb des Augenempfindlichkeitsbereichs. Der Schwerpunkt der Kurve ist gegenüber der Augenempfindlichkeit leicht langwellig verschoben - dies ist günstig, weil bei der Beleuchtung mit Halogenlampen unter Operationsbedingungen (weiße Kurve in Abb. 1) der längerwellige Spektralbereich etwas überwiegt.
Das neue Kontrastmittel fluoresziert stark rot (das absorbierte Licht wird als längerwelliges Licht wieder abgegeben). Das Fluoreszenzspektrum, gepunktete blaue Kurve in Abb. 1, ist für den relevanten Empfindlichkeitsbereich des Auges noch kurzwellig genug, um als stark rotes Leuchten wahrgenommen zu werden.
Der Fortschritt durch das neue optische Kontrastmittel VA110 lässt sich anschaulich anhand der Normfarbwerttafel nach CIE in Abb. 2 zeigen, bei der die reinen Spektralfarben auf der Peripherie der Farb-Fläche liegen und nach innen die Farbsättigung immer weiter abnimmt, bis zum Verlust der Farbigkeit im Unbuntpunkt. Die Farben, die durch Blut (Oxyhämoglobin, HbO2) verschiedener Konzentration entstehen sind als Kurvenzug am rechten Rand im Rotbereich zum Vergleich angegeben.
Man erkennt, dass eine Färbung durch eine verdünnte ICG-Lösung nur unweit des Unbuntpunkts liegt und sich bei einer Erhöhung der Konzentration die Farbkoordinaten nur wenig in Richtung Blaugrün bewegen; der Kontrast bleibt verhältnismäßig schwach. Bei VA110 bewirkt dagegen eine Erhöhung der Konzentration (gleiche optische Dichten, wie beim ICG) eine massive Verschiebung in Richtung Purpur.
Erste Tests mit VA110 sind an der Schweineaugenkapsel vorgenommen worden, die sich ähnlich wie die LLI-Membran des Menschen verhält und intensiv dunkel rötlich blau eingefärbt wird. Auch bei starker Verdünnung des Farbstoffs lässt sich eine Färbung von Geweben durch eine intensiv rote Fluoreszenz erkennen, die vor dem Hintergrund ebenfalls stark absticht. Der Farbstoff ist chemisch labil und wird nach chirurgischen Eingriffen verhältnismäßig schnell wieder abgebaut. Hierdurch wird eine lang anhaltende Färbung vermieden, die nach chirurgischen Eingriffen problematisch wäre.
Der Farbstoff VA110 und in den Seitenketten abgewandelte Derivate sind auf toxische Wirkungen mithilfe von menschlichen Zell-Linien getestet worden, und es wurden keinerlei negative Wirkungen festgestellt. In Abb. 3 ist ein Vergleich mit dem ICG angegeben. Bei dem Letzteren findet man ein Absterben von Zellen in erheblichem Maße, während bei dem neuen Kontrastmittel keinerlei toxische Wirkungen gefunden worden sind.
Das neue optische Kontrastmittel auf der Basis von VA110 ist bei allen Modell-Untersuchungen und auch am post mortalen menschlichen Auge ausgesprochen Erfolg versprechend. Eine Serienanwendung bei Operationen am Augenhintergrund steht unmittelbar bevor.
Optische Kontrastmittel haben sich nützlich und vielversprechend in der Mikrochirurgie am Augenhintergrund erwiesen. Sie sind aussichtsreiche Hilfsmittel auch in anderen Bereichen der Mikrochirurgie - hierbei ist es sinnvoll, die Bindungseigenschaften an diverse menschliche Gewebe anzupassen - dies kann durch eine Abwandlung der Seitenketten erfolgen und wird völlig neue Möglichkeiten in der Chirurgie eröffnen.
Literatur:
J. Med. Chem. 2011, 54, 3903-3925 oder beim Autor
Legenden zu den Abbildungen:
Abb. 1. Vergleich der Spektren von Lichtquellen und Farbstoffen mit der spektralen Augenempfindlichkeit. Magenta: AM1-Sonnenspektrum, weiß: Emissionsspektrum einer Wolfram-Halogenlampe (3.200 K), schwarz: spektrale Augenempfindlichkeit, grün: Absorptionsspektrum von ICG, grün gepunktet: Absorptionsspektrum des aggregierten ICG, blau: Absorptionsspektrum von VA110, blau gepunktet: Fluoreszenzspektrum von VA110.
Abb. 2. CIE Normfarbwerttafel mit Unbuntpunkt (schwarz, D65) und Farbwerte von Farbstoff-Lösungen mit steigender Farbstoff-Konzentration (entfernen sich vom Unbuntpunkt). Grün: ICG, blau: VA110. Zum Vergleich: Oxyhämoglobin (HbO2, schwarz) und die Fluoreszenz von Rhodamin B gegen einen schwarzen Hintergrund (gelber Punkt).
Abb. 3. Toxtest VA110 (AVS4, weiß) und ICG (blau).
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