Medizin & Technik

Pädiatrische Radiologie: Kinder sind unsere Zukunft

11.06.2012 -

Die Untersuchung und Behandlung von Kindern erfordert eine besondere Expertise. Doch in Deutschland gibt es nur rund 70 Kinderradiologen und nur vier Professuren für Kinderradiologie. Höchste Zeit also, dass sich etwas tut.

Die Kinderradiologie umfasst die Bildgebung bei Neugeborenen, Säuglingen, Klein- und Schulkindern bis zu jungen Erwachsenen. Damit wird ein äußerst breites Patientenspektrum vom Frühgeborenen mit 500 g Körpergewicht bis zum übergewichtigen Jugendlichen mit über 100 kg betreut. Wie die Neuroradiologie gehört die Kinderradiologie zu einem der beiden Schwerpunkte im Ausbildungsbildungscurriculum des Fachgebiets diagnostische Radiologie. Die Bedeutung einer kinderradiologischen Expertise zeigt sich unter anderem bei der Aufdeckung von Kindesmisshandlungen, denn nur der geschulte Blick des Kinderradiologen deckt in vielen Fällen den wahren Sachverhalt von kindlichen Knochenverletzungen auf und sichert so einen wirksamen Schutz dieser Kinder vor weiteren Gewalteinwirkungen.

Die Ausbildung zum Kinderradiologen dauert im Regelfall drei Jahre, die sich an die fünfjährige Facharztausbildung zum Radiologen anschließt. Die Ausbildung erfolgt in den vier Grundmodalitäten, d. h. Ultraschall, konventionelles Röntgen mit Fluoroskopie, CT und insbesondere MRT. Da der kindliche Organismus gegenüber ionisierenden Strahlen in höherem Maße als bei Erwachsenen empfindlich ist, sollte der Einsatz Röntgenbasierter Bildgebungsverfahren möglichst gering gehalten werden. Somit werden Ultraschall- und MRT-Untersuchungen bevorzugt. Diese beiden Verfahren zeichnen sich darüber hinaus durch die Möglichkeit aus, neben morphologischen auch funktionelle Parameter zu erfassen.

Rund 20 % der deutschen Bevölkerung sind Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre. Dieser großen Patientengruppe steht derzeit in Deutschland die kleine Zahl von circa 70 Kinderradiologen gegenüber. Zumeist werden kleine kinderradiologische Bildgebungseinheiten mit ein bis zwei Mitarbeitern betrieben. Zudem existieren an den Universitätskliniken nur noch vier Professuren für Kinderradiologie. Die Ausbildungssituation ist damit limitiert. Hinzu kommt eine geringe Anzahl ambulant tätiger Kollegen, die zusätzlich mit Restriktionen wie der aufwendigen Klärung von Sonderbedarfsfeststellungsverfahren konfrontiert sind. Typisch ist die enge Vernetzung zum einen mit Kinderzentren, zum anderen mit Erwachsenenradiologien. Letztere erklärt sich aus der teils unzureichenden Auslastung der Modalitäten - insbesondere Fluoroskopie und CT - durch pädiatrische Untersuchungen allein.

Durch den Einsatz moderner individualisierter Therapiekonzepte bei Kindern ergeben sich wesentlich längere Überlebensperspektiven auch bei schweren, lebensbedrohlichen Erkrankungen wie komplexen kindlichen Herzfehlern oder kindlichen Tumorerkrankungen.

Dies hat zu einem Perspektivwechsel in der Kinderradiologie geführt, werden doch zunehmend junge Erwachsene weiterhin an ihren primären Therapieeinheiten weiterbetreut. Neben der Nachsorge von Erwachsenen mit ehemaligen kindlichen Herzfehlern betrifft es auch ehemalige kindliche Tumorpatienten und Erwachsene mit Mukoviszidose, die mit dieser Erkrankung inzwischen bis über das 40. Lebensjahr leben. Die Sprengung der klassischen Altersgrenzen stellt die Kinderradiologie vor neue Herausforderungen.

Neue Entwicklungen in der ­kinderradiologischen Diagnostik

Wie eingangs erwähnt, liegt der Fokus der Bildgebung auf strahlenfreien Verfahren. So erlaubt der Ultraschall umfassend die Darstellung der Organe und von Gewebsstrukturen, des Blutflusses, aber auch von Bewegungsmustern. Ganz neu ist das Verfahren der sogenannten Elastografie, die eine nicht-invasive Beurteilung der Steifigkeit von Organen oder Geweben erlaubt. So stellen schmerzhafte Schwellungen der Halslymphknoten ein häufiges Problem der Kinderheilkunde dar. Die entzündeten Lymphknoten können einschmelzen, eine diffuse, oftmals nur mit einer Operation zu behandelnde Erkrankung kann die Folge sein. Hier könnte die Gewebeelastografie einen wichtigen Baustein für oder gegen eine Entscheidung zur Operation darstellen.

Das höchste Potential für eine moderne, individualisierte Diagnosefindung hat die MRT. Diese erlaubt neben der Erfassung morphologischer und funktioneller Aspekte den Einblick bis in molekulare Krankheitsprozesse. Einen hohen Stellenwert hat in den vergangenen 10 Jahren die MR-Ganzkörperbildgebung bei entzündlichen wie malignen Erkrankungen eingenommen. Ohne Umlagerung und in einem Untersuchungszeitpunkt kann mittels moderner MR-Geräte z. B. neben der Größe und Art des Primärtumors eine mögliche Ausbreitung bei Kindern bestimmt werden. Damit ist eine frühzeitige und hoch sensitive Krankheitserfassung möglich. Fehlt die spezielle neuroradiologische Expertise vor Ort, erfordert dies für die Kinderradiologie die zusätzliche Erfahrung im Bereich neuroradiologischer Aspekte.

Aber auch im Bereich der mit Röntgenstrahlen betriebenen Diagnostikverfahren haben sich in vergangenen 10 Jahren enorme Fortschritte im Sinne einer deutlichen Strahlenreduktion ergeben. So haben ultraschnelle CT-Geräte verbunden mit speziellen Bildrekonstruktionsalgorithmen zu einer signifikanten Dosisreduktion geführt. Eine bedeutende Dosisreduktion konnte auch in der konventionellen Röntgendiagnostik (Flachdetektorsystem, Nadelstruktursystem) und den Durchleuchtungsuntersuchungen (gepulste DL) erreicht werden.

Ökonomische Aspekte

Die Kinderradiologie wird allgemein als ein defizitärer Versorgungsbereich angesehen. Längere Untersuchungszeiten und höhere Arztbindung bei unzureichender Abbildung des erhöhten Aufwandes werden als Ursache hierfür gesehen. Dass es nicht so sein muss, zeigen speziell unter ökonomischen Aspekten optimierte kinderradiologische Einrichtungen. Beispielsweise eröffnen Spezialambulanzen die Möglichkeit, die nahezu regelhaft auftretende finanzielle Unterdeckung abzufangen. Wesentlich ist auch eine ausreichende personelle Ausstattung der kinderradiologischen Einheiten, um die zunehmend komplexeren Anforderungen der kinderradiologischen Bildgebung abbilden zu können. Die derzeitige Situation der Kinderradiologie stellt in meinen Augen eine positive Herausforderung dar. Antworten auf die komplexe Sachlage müssen multifaktoriell sein:

Adaptation der Ausbildungscurricula zum Erwerb des Schwerpunktes: Dabei sollte frühzeitig auf den Schwerpunkt unter Beibehaltung eines verkürzten „common truncs" fokussiert werden. Modellhaft ist das im Ausland realisiert. Nach einem dreijährigen Ausbildungsabschnitt in der Erwachsenenradiologie erfolgt bereits im vierten und fünften Jahr die Ausbildung im angestrebten Schwerpunkt ohne zusätzliche Zeitkontingente.

Verstärkte Verflechtung mit der Erwachsenenradiologie: Insbesondere eine Gerätepartnerschaft mit Beibehaltung und Verschiebung der investiven Kosten in diesen Sektor wird die Erreichung eines früheren Break-even-Points für die Kinderradiologie ermöglichen. Kinderradiologisch seltener benutzte Modalitäten wie die Durchleuchtung erfahren im Verbund eine ausreichende Auslastung.

Ausbildung telemedizinischer Expertenbetreuung durch kinderradiologische Zentren: Kooperationsverträge müssen dabei individuell ausgestaltet werden. Ein vergleichsweise kostenintensives Verfahren wie MRT kann als primär eingesetztes Bildgebungsverfahren durch die sofortige Beantwortung der diagnostischen Fragestellung ohne „Umwege" die Liegezeit drastisch verringern und durch optimales Prozessmanagement insgesamt zu einer Kostenreduktion führen.

Kinderradiologische Einheiten wer­den derzeit in Deutschland viel durch den Idealismus der ausführenden administrativ Tätigen getragen. Angesichts der rasanten technischen Fortschritte der kinderradiologischen Bildgebung in den vergangenen Jahren, der prekären Ausbildungssituation und der zunehmenden Bedeutung der Wahl rationaler und optimaler dia­gnostischer Pfade wie sie nur durch geschultes Personal bereitgestellt werden kann, ist es Zeit, mit Augenmaß und Realitätsbewusstsein die Zukunft der Kinderradiologie zu gestalten. Das beinhaltet auch die korrekte Abbildung in Vergütungssystemen der erhöhten Ansprüche kinderradiologischer Leistungen. Kinder sind unsere Zukunft, wir sollten sie optimal untersuchen und behandeln.

 

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