Kyphoplastie: Minimal invasives Verfahren zur Behandlung von Wirbelfrakturen
24.04.2012 -
Die Kyphoplastie als minimal invasives Verfahren zur Behandlung von Wirbelfrakturen ist mittlerweile einer der häufigsten in Deutschland durchgeführten Wirbelsäuleneingriffe.
Vor dem Hintergrund einer geschätzten Inzidenz von ca. 1,4 Mio. osteoporotisch bedingten Wirbelkörperfrakturen in Europa hat sich die Kyphoplastie als minimal invasives Behandlungsverfahren im deutschen Gesundheitswesen mehr als etabliert. Aber gerade unter Berücksichtigung der heutzutage immer wieder geforderten evidenzbasierten Medizin muss auch dieses Verfahren in seiner Wertigkeit immer wieder überprüft werden. Immerhin ist die Kyphoplastie einer der häufigsten Eingriffe an der Wirbelsäule überhaupt.
Minimal invasive Wirbelkörperaugmentation
Die Operation selbst ist in der Tat nicht sehr aufwendig: Es wird eine Hohlnadel in den Wirbel unter Durchleuchtung in den frakturierten Wirbel vorgetrieben, über die dann ein Draht eingelegt wird. Dieser wiederum dient als Führung für eine nachfolgend zu implantierende Arbeitshülse, über welche dann ein kontrastmittelgefüllter Ballon eingelegt wird.
Dieser Ballon wird dann schrittweise aufgepumpt und soll so den gebrochenen Wirbelkörper aufrichten. Nach Entfernung des Ballons wird in den so entstandenen Hohlraum Knochenzement (in der Regel auf PMMA-, Poly-Methylmethacrylat-Basis) oder ein Knochenersatzmaterial (z.B. Calciumphoshat) eingebracht, der den Wirbel von innen stabilisieren soll.
Neben diesem „klassischen" Verfahren sind verschiedene technische Variationen entwickelt worden, die sich zwar in Zugangs- und Aufrichtinstrumentarium sowie in den Eigenschaften des applizierten Zementes bzw. Knochenersatzes unterscheiden, allen aber ist das Prinzip der minimal-invasiven Wirbelkörperaugmentation mit nachfolgender innerer Stabilisierung gemein.
Die wichtigste Indikation ist sicherlich die akut schmerzhafte osteoporotisch bedingte Wirbelkörperfraktur, aber auch Patienten mit frischen Wirbelfrakturen ohne begleitende Osteoporose werden bereits behandelt. Auch im Rahmen der palliativen Schmerzbehandlung von Tumorpatienten mit Wirbelkörpermetastasen wurde das Verfahren bereits mit ersten guten Erfolgen angewendet. Vorteil des Verfahrens sind die schnelle Durchführbarkeit, evtl. auch in Lokalanästhesie, die sofortige Schmerzreduktion und die direkte Mobilisierbarkeit der Patienten nach der OP.
Als operatives Verfahren stehen diesen Vorteilen aber auch Nachteile in Form möglicher Komplikationen gegenüber. Zementaustritte in den Spinalkanal oder auch größere Gefäße bis zum rechten Vorhof sowie in die Lunge sind beschrieben und, natürlich abhängig von Indikation und verwendetem Material, mit bis zu 49% gar nicht so selten, wobei die meisten klinisch nicht relevant sind. Infektionen und unter Umständen revisionsbedürftige Hämatome können ebenso auftreten Die Indikation zum Eingriff ist also, (wie immer in der Chirurgie) kritisch zu stellen.
Datenlage im Vergleich zur Anzahl der Eingriffe
Demgegenüber stehen Zahlen des statistischen Bundesamtes. So hat die Anzahl der Eingriffe von 2005-2010 um mehr als 300% (!) zugenommen. Es wurden 2005 6.583 und 2010 25.101 Patienten von Radiologen, Unfall-, Neurochirurgen behandelt, voll stationär und nach DRG abgerechnet. Die jährliche Steigerungsrate betrug 2005 zu 2006 noch 77%, allerdings von 2009 zu 2010 nur noch 4%. Eine gewisse Ernüchterung scheint also eingetreten zu sein. Dennoch muss man sich die Frage stellen, ob der offensichtliche „Boom" in allen Fällen wirklich medizinisch und wissenschaftlich unterlegt ist.
Es ist eine Tatsache, dass die Datenlage verglichen mit der Anzahl der Eingriffe eher bescheiden ist. Es gibt nur wenige kontrollierte Studien, deren Interpretation durch verschiedene Designs erschwert wird. Die Leitlinie des DVO (Dachverband Osteologie) von 2009 empfiehlt daher die Kyphoplastie nur nach drei Wochen erfolgloser und dokumentierter konservativer Therapie unter Berücksichtigung degenerativer Wirbelsäulenerkrankungen als Beschwerdeursache und bei diskutierter gutachterlicher Einzelfalldokumentation.
Seit 2009 hat sich die Datenlage allerdings etwas verbessert: So konnte in der bisher einzigen prospektiv, multizentrisch randomisierten Studie mit 300 Patienten eine langfristige und signifikante Reduktion der Schmerzen mit Verbesserung der „Quality of life" und des „physical functioning" bei der osteoporotisch bedingten Fraktur in ein oder zwei Höhen verglichen mit konservativer Behandlung nachgewiesen werden. Gleiches konnte eine neuere Studie in Bezug auf die Reduktion des Schmerzes bei Tumorpatienten darstellen. Hier wird also zumindest in Bezug auf die an Scoring-Systemen gemessene Lebensqualität das Evidenzlevel I erreicht. Weiterhin, aber nicht abschließend untersucht ist der Einfluss auf weitere Frakturen, der Effekt auf das langfristige Alignement der Wirbelsäule und dessen klinische Relevanz sowie der Einsatz des Verfahrens bei der nicht osteoporotisch oder tumorös bedingten Fraktur.
Insgesamt besteht also noch viel Klärungsbedarf. Allerdings scheint der Markt in Europa, wenn man den oben genannten Zahlen glaubt, unerschöpflich, und immer wieder werden neue Verfahren präsentiert wie z. B. „Spino-, Stento- oder Vesselplaste", deren angebliche Vorteile bis heute noch nicht wissenschaftlich unterlegt sind und deren Anwendung sich auch unter ökonomischen Gesichtspunkten in unseren Augen nur im Rahmen entsprechender Studien mit klaren Ein- und Ausschlusskriterien und einem gewährleisteten und dokumentierten Follow-up beschränkten sollte.
Aktuell bleibt die Kyphoplastie ein bewährtes Verfahren zur Behandlung frischer osteoporotisch oder tumorös bedingter und schmerzhafter Wirbelkörperfrakturen in ein bis zwei Höhen. Der Operateur sollte die möglichen Komplikationen in seinem Therapieschema berücksichtigen, und die Möglichkeit zur Versorgung ebensolcher Komplikationen muss gewährleistet sein. Andere Indikationen und Abwandlungen des ursprünglichen Verfahrens sind sicher zulässig und auch im Sinne des medizinischen Fortschrittes sinnvoll, aber nur mit entsprechender Aufarbeitung und Dokumentation.
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