Medizin & Technik

Patienten spezifische Instrumentierung (PSI): Prinzip, gegenwärtiger Stand und Perspektiven

11.10.2012 -

Die klinischen Ergebnisse in der Knieendoprothetik sind zwar zufriedenstellend, der Anteil der Patienten mit Restbeschwerden liegt je nach Untersuchung mit 10 - 25% jedoch relativ hoch. Die Ursachenanalyse dieses Phänomens ist komplex. Technische Fehler bei der Primärimplantation stellen offenbar zumindest eine Ursache für die Notwendigkeit von Revisionen dar (Haasper et al. 2012).

Mit dem Ziel, die Präzision der intraoperativen Positionierung von Implantatkomponenten in der Knieendoprothetik zu optimieren und gleichzeitig Operationsablauf, Aufbereitung sowie Handhabung des Instrumentariums zu vereinfachen, wurden in den letzten Jahren Verfahren entwickelt, bei denen auf der Basis von präoperativ angefertigten MRT- bzw. CT-Aufnahmen für den einzelnen Patienten individuelle Schablonen hergestellt werden, die intraoperativ die Positionierung der Komponenten in den verschiedenen Ebenen (koronal, sagittal und axial) reproduzierbar sind und eine entsprechende Planung erlauben.

Die möglicherweise nicht so exakte intraoperative Ausrichtung mit konventionellen Instrumenten und Augenmaß bzw. die vergleichsweise aufwändige Navigation sollen so umgangen werden. Anhand der präoperativen Planung können Größe und Art der Komponenten vorher festgelegt werden. Das Instrumentarium kann so bezüglich der Schnittblöcke und Probekomponenten auf die ausgewählten Größen reduziert werden. Auf die manuellen intra- bzw. extramedullären Ausrichtungsinstrumentarien kann ganz verzichtet werden.

Verschiedene Hersteller bieten dieses Verfahren inzwischen an (Tabelle 1). Dabei unterscheiden sich die angebotenen Systeme bezüglich der präoperativen Bildgebung (MRT oder CT, mit oder ohne Ganzbein-Röntgenaufnahme) sowie in der Art der Schablonen (Sägeschablonen oder sog. Pin-Schablonen zur Positionierung von Pins, die wiederum die Originalsägeschablonen ausrichten). Vor- und Nachteile der einzelnen Systeme wurden bisher noch nicht klinisch evaluiert. Es ist jedoch offensichtlich, dass bei einem präoperativen CT eine entsprechende zusätzliche Strahlenbelastung entsteht und beim MRT gelenknahe Metallkomponenten oder -partikel zu Artefakten in der Bildgebung führen und eine Kontraindikation darstellen können. Einzelne Firmen haben deshalb auch schon beide Bildgebungsverfahren implementiert.

Prinzip

Prinzipiell wird bei allen Systemen anhand eines präoperativ angefertigten MRT bzw. CT vom gesamten Bein oder von der Hüfte, dem Knie und dem Sprunggelenk ein dreidimensionales anatomisches Modell erstellt. An diesem wird dann individuell die Implantation der Knieendoprothese simuliert und eine vorläufige präoperative Planung durchgeführt, die dem Operateur zugestellt wird. Diesem wird ermöglicht, die Planung zu modifizieren, d. h. Implantattyp, Implantatgröße sowie Implantatposition in axialer, sagittaler und koronarer Ebene zu variieren (Abb. 1). Grundsätzlich erfolgt die Ausrichtung der Komponenten nach der mechanischen Beinachse und zielt hier auf eine neutrale Ausrichtung. Ein Anbieter (Stryker) positioniert die Komponenten nach dem kinematischen Alignment.

Ein Hersteller (Zimmer, Germany) bietet zzT. zusätzlich ein sog. Knorpelmapping an. Anhand des Knie-MRT wird die Knorpeldicke auf den Oberflächen von Femur und Tibia bestimmt und farbig dargestellt. Dieses erlaubt möglicherweise Rückschlüsse auf die Differentialindikation zwischen einem bikondylären Oberflächenersatz und einer Schlittenprothese (unikondylärer Oberflächenersatz). Bestätigt sich der unikompartimentelle Verschleiß und sind die anderen Kriterien dafür vorhanden, kann dann direkt die Implantation einer Schlittenprothese geplant werden (Abb 2a, b).

Ist nach Maßgabe des Operateurs ggf. in Rücksprache mit dem Planungsingenieur die Planung optimiert, werden die Planungsdaten bestätigt und die Herstellung von Operationsschablonen in Auftrag gegeben. Bei den Operationsschablonen handelt es sich in der Regel um Kunststoffschablonen für das Femur und die Tibia, die so gefertigt sind, dass sie intraoperativ nach Freilegen des Gelenkes auf die jeweilgen Gelenkpartner stabil und definiert positioniert werden können. In diese sind dann entweder direkt Sägeschlitze eingebracht, über die die Sägeschnitte für das Implantat entsprechend der Planung durchgeführt werden können, oder die Schablonen enthalten Pinlöcher, in die Führungspins eingebracht werden, über die dann wiederum die konventionellen Sägeblöcke aufgesetzt werden (Abb. 3a, b, c).

Indikation

Die Indikation für die Anwendung der Patienten spezifischen Instrumentierung ergibt sich grundsätzlich für alle Patienten, bei denen die Implantation einer Knieendoprothese in Form eines bikondylären Oberflächenersatzes oder einer Schlittenprothese (zzT. nur von den Firmen Zimmer und Biomet erhältlich) indiziert ist. Das Verfahren kann gegenwärtig, je nach Anbieter, nur mit bestimmten Implantaten verwendet werden. Für die Anwendung ausgeschlossen werden müssen Patienten, bei denen die Durchführung eines MRT oder CT grundsätzlich nicht möglich ist oder bei denen sich aus verschiedenen Gründen nicht die erforderliche Bildqualität erzielen lässt. Hierzu zählen insbesondere Patienten, die auf Grund von Schmerzen oder anderen Pathologien nicht in der Lage sind, das Bein während der Untersuchungszeit ruhig zu halten, Patienten mit Klaustrophobie oder Adipositas permagna, die wegen ihres Körperumfangs nicht in das Untersuchunsgerät passen.

Daneben müssen für die MRT-Untersuchung Patienten ausgeschlossen werden, die ein Metallimplantat tragen, das nicht mit der Untersuchung kompatibel ist (z. B. Herzschrittmacher, interne Defibrillatoren, Gefäßclips). Metallimplantate (z. B. Osteosyntheseplatten, Schrauben, Drähte) in der Nähe des Kniegelenkes können in der Rekonstruktion des Gelenks erhebliche Artefakte verursachen, die ebenfalls zum Ausschluss des Verfahrens führen.

Ausgeprägte intraartikuläre Deformitäten können das Verfahren auf zweierlei Weise kompromittieren:

  1. Die Landmarken sind so verändert, dass eine Identifikation nicht eindeutig möglich ist bzw. eine Ausrichtung nach ihnen nicht zu einem korrekten Alignment führt. Dieses Kriterium trifft natürlich auch für das konventionelle Operieren und die Navigation zu.
  2. Die Deformitäten sind so extrem, dass die Schablonen nicht für eine intraoperativ sichere und eindeutige Platzierung zu gestalten sind. Extraartikuläre Fehlstellungen beeinflussen das Kniealignment. Ihre Korrekturen können wie bei der konventionellen Operationsmethode und der Navigation selbstverständlich nicht über die Resektion im Kniegelenk korrigiert werden. Nach Indikationsstellung und Durchführung der Bildgebung dauert es gegenwärtig mehrere Wochen bis die Schablonen geliefert werden. Dieser Prozessablauf muss bei der Planung der Eingriffe berücksichtigt werden.

Theoretische Vorteile

Theoretische Vorteile des Verfahrens sind die integrierte exaktere präoperative Bildgebung (3D-Rekonstruktion) und die dadurch mögliche genauere präoperative Planung mit einer Simulation der Implantation. Die Planungsdaten können dann durch die Schablonen auf die reale Operation übertragen werden. Da Landmarken bereits identifiziert wurden und feststehen, brauchen diese intraoperativ nicht freigelegt und aufgesucht werden. Eine Eröffnung des Markraums zur intramedullär geführten Ausrichtung der Komponenten entfällt. Der Umfang des Instrumentariums kann durch die vorherige Bestimmung der Komponentengrößen auf Schnittblöcke und Probekomponenten dieser Größen reduziert werden. Gleichzeitig kann auf die Ausrichtungsinstrumentarien verzichtet werden. Die Reduktion des Instrumentariums birgt die Möglichkeit, Sterilisationsaufwand und Rüstzeit zu verringern. Da die intraoperative Ausrichtung entfällt, ist eine Reduktion der Operationszeit zu erwarten.

Bisherige Erfahrungen

Insgesamt sind die Erfahrungen mit dem neuen Verfahren noch sehr begrenzt. Es gibt erste Hinweise darauf, dass sich die Operationszeit verkürzen lässt (Watters et al. 2011, Nunley et al. 2012). Ob daraus auch eine Reduktion der Kosten resultiert, bleibt kontovers (Watters et al. 2011, Nunley et al. 2012) und ist sicherlich aufgrund der unterschiedlichen Kostenstruktur und Kostenerstattung nur für jedes Anwenderland gesondert zu berechnen (Slover et al. 2012).

Auch bezüglich des erzielten Alignments gibt es unterschiedliche Angaben. Bisherige Publikationen berichten sowohl über eine Verbesserung der Ausrichtung der Komponenten im Vergleich zu konventionellen Verfahren (Ng et al. 2012) als auch über gleiche Resultate (Nunley et al. 2012). Nicht ganz klar zu erkennen ist, inwieweit die vom Hersteller vorgeschlagene Planung vom Operateur übernommen werden kann. Eine aktuelle Publikation (Stronach et al. 2012) berichtet über häufige intraoperative Änderungen von Komponentengröße und -ausrichtung sowie Resektion bei einem System.

Betrachtet man die Ergebnisse genau, so lässt sich erkennen, dass sich die intraoperativen, nach Maßgabe des Operateurs durchgeführten Änderungen überwiegend auf die Wahl einer anderen Größe, die Resektionshöhe sowie die Rotationsausrichtung der Femurkomponente und die Varus-/Valgus-Ausrichtung der Tibiakomponente bezogen. Inwieweit es sich hierbei um systematische Fehler in der Planung handelt bleibt offen.

Nach eigenen Erfahrungen und bisherigen Erkenntnissen sollte der Operateur in die Planung mit einbezogen werden. Änderungen möglichst vieler Varianten sollten möglich bleiben. Dabei müssen natürlich Plausibilitätskontrollen einbezogen werden, d. h. Änderungen, die eine mögliche Gefahr in sich bergen (z. B. Notching, Überhang der Komponenten etc.) sollten angezeigt werden. Eine Schulung für die Planung ist unumgänglich. Der Operateur muss in der Lage sein konventionell zu operieren und mögliche Planungsfehler bzw. intraoperative Abweichungen zu korrigieren. Als Verfahren für ungeübte Operateure kann die Technik definitiv nicht empfohlen werden. Perspektive Bei der gegenwärtigen Bewertung der Methode sollte berücksichtigt werden, dass sie den möglichen Beginn einer neuen Entwicklung darstellt. Es hat sich im Verlauf der ersten klinischen Anwendung gezeigt, dass Verbesserungen sowohl in der Planungssoftware als auch in der Schablonenqualität möglich sind.

Unberücksichtigt in der Planung bleibt bei dem Verfahren bisher die Weichteilsituation. Die Weichteilbilanzierung erfolgt konventionell. Möglicherweise lassen sich Algorithmen entwickeln, die das Ausmaß der realisierbaren Weichteilbilanzierung abschätzen und in der Planung berücksichtigen lassen. Noch nicht eindeutig klar ist, ob sich die Mehrkosten, die das Verfahren gegenwärtig erfordert, durch logistische Vorteile kompensieren lassen. Internationale Multicenterstudien gehen dieser Frage z.Z. nach. Vorstellbar ist eine „just in time" Lieferung von Instrumentarien und Implantaten für den jeweiligen Fall, welches die Kosten der Lagerhaltung vermindert. Eine Bereitstellung von sterilem Einmalinstrumentarium könnte darüber hinaus die Sterilisations- und Rüstzeit für die Operation erheblich reduzieren.

Literatur beim Verfasser.

 

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