Hygiene

Ärmel hochkrempeln – ein Plädoyer für den Stand des Wissens

27.05.2021 - „Health at a Glance“ oder „Gesundheit auf einen Blick“, so heißt die Veröffentlichung der OECD zum Status der Gesundheit in der EU im Jahr 2020.

Schlägt man die Seite 199 auf, sieht man Grafiken über die Häufigkeit von nosokomialen Infektionen zu jedem Land der EU sowie den Anteil der durch resistente Keime verursachten Infektionen.

Der Anteil der nosokomialen Infektionen am gesamten Infektionsgeschehen reicht von 3 % Prävalenz (Litauen) bis zu 10 % (Griechenland). In Deutschland ist er mit 3,8 % am drittniedrigsten. Inter­essant sind an dieser Stelle die Prävalenzen bezüglich der durch resistente Keime verursachten Infektionen. Diese liegen zwischen 1,8 % (Estland) und 8 % (Rumänien) bezogen auf die nosokomialen Infektionen (Deutschland: 2 %). Es verwundert nicht, dass ein direkter Zusammenhang zwischen der Häufigkeit der Antibiotikagabe und den genannten Zahlen besteht.

Nun gehen resistente Keime gerne mit ihren Trägern auf Reisen und deshalb werden sich auch diese Keime weiter in der Welt verteilen, so denn die Grenzen sich wieder öffnen. Natürlicherweise verläuft die Ausbreitung von Ländern mit hoher Prävalenz hin zu Ländern mit niedrigerer Prävalenz.
Aus zahlreichen Veröffentlichungen ist bekannt, dass die Kontaminationspfade und damit die Verteilung von Keimen im medizinischen Umfeld vielfältig sind. So werden beispielsweise teilweise mehr Keime von Patienten und Personal an Wasserhähne verschleppt als umgekehrt.

Infektionsbekämpfung nach dem Stand der Wissenschaft

Zur Verhinderung von nosokomialen Infektionen müssen Leiter medizinischer Einrichtungen laut Infektionsschutzgesetz (§ 23 IfSG) sicherstellen, dass nach dem Stand der Wissenschaft erforderliche Maßnahmen getroffen werden. Die folgenden Punkte verdienen dabei besonderes Augenmerk:
Resistenzen bei fakultativ pathogenen Keimen (insbesondere Pseudomonas aeruginosa) nehmen stark zu.

Jede Infektion mit einem resistenten Keim verursacht Mehrkosten zwischen 8.500 € und 34.000 € (Veröffentlichung 2020 der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)).
Die Weltgesundheitsorganisation listet 2017 drei gram-negative Bakterien als besonders kritisch auf und fordert dringend die Entwicklung alternativer Antibiotika für diese Keime.

Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene empfiehlt 2016 weitere und scharfe Grenzwerte für fakultativ pathogene Keime (insbesondere Pseudomonas aeruginosa).

Der Stand der Wissenschaft misst den fakultativ pathogenen Keimen, insbesondere den gram-negativen Bakterien eine erhebliche Bedeutung zu.
Fakultativ pathogene Bakterien verursachen nicht bei jedem Menschen eine Infektion. Daher sind diese auch nicht in der Trinkwasserverordnung explizit erwähnt oder gar mit Grenzwerten versehen. Die Trinkwasserverordnung und die mit dieser verknüpften technischen Regeln und Empfehlungen stellen allerdings den Stand der Technik bzw. die allgemein anerkannten Regeln der Technik dar und dienen dem Schutz der breiten Bevölkerung.

Nicht auf Vorschriften warten, sondern handeln – jetzt!

Im medizinischen Bereich ist das Vorgehen gemäß des Stands der Wissenschaft eindeutig gefordert (s. o.). Dies dient der Infektionsprävention von Patienten. Eine Prävalenz von 4 % bei nosokomialen Infektionen ist sehr hoch und bedeutet, dass jeder 25ste Patient an einer solchen Infektion leidet oder leiden wird.

Daher gilt es die Ärmel hochzukrempeln. Wollen wir nicht ohne wirksame Antibiotika dastehen, wie ohne Masken am Beginn der COVID-Pandemie, dann muss jetzt gehandelt werden. Zunächst sollten fakultativ pathogene Keime generell im medizinischen Umfeld erfasst werden. Besonders zu berücksichtigen sind dabei die gramnegativen Bakterien hinsichtlich ihrer Gefahr durch Resistenzen. Dies sollte in allen Bereichen eines Krankenhauses oder einer Praxis passieren und auch Wässer einbeziehen, von denen viele glauben, sie seien keimarm oder gar keimfrei, wie entkalkte oder destillierte Wässer, vollentsalzte Wässer für Reinigungs- und Desinfektionsgeräte für Endoskope und Wässer aus Ionentauschern der Labore.

Mehrere Barrieren helfen, denn die Compliance der einzelnen Maßnahmen, wie beispielsweise Händedesinfektion, ist nicht verlässlich hoch. Auch ist es unzureichend, endständige Sterilfilter auf Hochrisikostationen nur an Stellen zu installieren, wo Patienten mit Wässern in Kontakt kommen können, wenn gleich daneben ein kontaminierter Wasserhahn ohne Schutz zum Händewaschen des Personals vorhanden ist.

„There is no Glory in Prevention“ – dieser Satz beschrieb noch vor einem Jahr treffend die Situation. Er greift die Erfahrung aller auf, die sich seit vielen Jahren für Infektionsprävention engagieren. Solange wir auf Regeln, Vorschriften oder gar Beifall warten, bleiben wir hinter den erforderlichen Maßnahmen zurück. Daher bedarf es Menschen, die „Hands on“ agieren, damit sich etwas bewegt. Im Klartext: „Ärmel hochkrempeln. Nicht nachlassen!“

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