Bürgerdaten für die Forschung sicher nutzen
15.02.2024 - COVID-19-Datenspende-Projekte zeigen, wie es gelingen kann.
Smartphones, Smartwatches und damit verbundene Apps werden ständig besser, persönliche Gesundheitsdaten aufzuzeichnen und zu speichern. Mit dem 2022 auf EU-Ebene vorgeschlagenen Gesetzesentwurf für einen Europäischen Gesundheitsdatenraum wäre künftig auch die Weitergabe von anonymisierten Gesundheits- und Wellnessdaten ohne explizite Zustimmung möglich. Dagegen regt sich nachvollziehbarer Widerstand – nicht nur seitens der Datenschutzbeauftragten. In ihrem Beitrag in der Nature Portfolio Fachzeitschrift „npj Digital Medicine“ diskutieren Professor Stephen Gilbert, EKFZ für Digitale Gesundheit, und Professor Dirk Brockmann, Zentrum Synergy of Systems, wie medizinische Daten von Bürger*innen künftig unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte dennoch für die Forschung genutzt werden könnten. Ihre Lösungsvorschläge basieren auf Erfahrungen mit Datenspende-Projekten während der COVID-19-Pandemie, die zeigen, wie ein partizipativer, standardisierter, skalierbarer und zustimmungsbasierter Ansatz für Datenspenden aussehen kann.
Immer mehr Menschen nutzen Wellness- und Gesundheits-Apps, welche eine Vielzahl an Parametern wie Aktivität, Stoffwechsel, elektrische Signale, Blutdruck und Sauerstoffsättigung messen, interpretieren und speichern können. Diese Daten dienen nicht bloß dem persönlichen Interesse, sie sind auch für die medizinische Forschung von großer Bedeutung. Die Analyse solcher durch Bürger*innen selbst erhobenen Daten in Verbindung mit klinischen Daten kann dazu beitragen, Erkrankungen, ihre Entstehung sowie die frühzeitige Diagnose zu verbessern. Besonders für die Optimierung von Vorhersagen, welche auf Deep Learning und anderen Methoden der künstlichen Intelligenz basieren, sind diese Daten eine unverzichtbare Forschungsgrundlage.
Während der COVID-19-Pandemie wurden sowohl in Deutschland als auch im Vereinigten Königreich und den USA mehrere Projekte zur Nutzung von Gesundheitsdaten mittels freiwilliger Spende initiiert. Diese Projekte zeigten, dass Bürger*innen durchaus bereit waren, sich zu beteiligen und ihre Daten zu teilen. Voraussetzung hierfür war, dass sie selbst entscheiden konnten, wann sie welche Daten teilen, und die Möglichkeit erhielten ihre Zustimmung und Beteiligung jederzeit wieder zu widerrufen.
„Es ist ethisch inakzeptabel und auch politisch nicht nachhaltig mit jedem neuen smarten Produkt automatisch weitere persönliche Daten von Bürger*innen zu speichern – insbesondere ohne sie zuvor nach ihrer Zustimmung zu fragen“, sagt Professor Stephen Gilbert, Mitautor des Artikels. Eine Lösung sehen die Forschenden in der Nutzung einer externen, sicheren und vertrauenswürdigen Zustimmungsplattform. Dort könnten die Nutzer*innen nachvollziehen, mit wem, wo und zu welchem Zweck sie ihre Gesundheitsdaten teilen. Das aktive Miteinbeziehen erhöhe auch die Wahrscheinlichkeit, dass Daten über einen längeren Zeitraum geteilt werden. Positive und lehrreiche Erfahrungen der Forschenden mit der freiwilligen Datenspende während der COVID-19-Pandemie sollten nun verwendet werden, um langfristig Lösungen zu finden. „In Zukunft wird die Nutzung von persönlichen Gesundheitsdaten für die Forschung nur funktionieren, wenn alle Teilnehmenden freiwillig und bewusst zustimmen und ihre Einwilligung auch jederzeit widerrufen können. Unsere Forschung hat gezeigt, dass Bürgerinnen und Bürger verstehen, welchen Nutzen sie der Gesellschaft bringen können, wenn sie ihre Gesundheits- und Wellness-Daten freiwillig zur Verfügung stellen“, sagt Professor Dirk Brockmann, Direktor des Zentrums Synergy of Systems an der TU Dresden.
Publikation
Stephen Gilbert, Katie Baca-Motes, Giorgio Quer, Marc Wiedermann, Dirk Brockmann: Citizen data sovereignty is key to wearables and wellness data reuse for the common good; npj Digital Medicine, 2024; https://www.nature.com/articles/s41746-024-01004-z