Medizin & Technik

Darmmikrobiom im Fokus

12.06.2024 - Bestimmte Mikroben beeinflussen den Erfolg allogener Stammzelltransplantationen und verhindern eine gefährliche Immunreaktion.

Bei etwa 50% der Patienten, die eine allogene Stammzelltransplantation erhalten, kann es zur Graft-versus-Host-Reaktion (GvHD) kommen, die den Therapieerfolg bei bösartigen Erkrankungen des blutbildenden Systems mindern kann. Wissenschaftler der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin III des Universitätsklinikums Regensburg (UKR) sowie der Technischen Universität München (TUM) haben herausgefunden, dass diese Abstoßungsreaktion deutlich seltener auftritt, wenn bestimmte Mikroben und seine Stoffwechselprodukte im Darm auftreten. Im nächsten Schritt soll so ein schützendes Mikrobiom gezielt genutzt werden, um die GvHD zu behandeln.

Für viele Patienten mit einer bösartigen Erkrankung des blutbildenden Systems wie Leukämie oder Lymphom ist es oft die letzte Chance auf Heilung: die Übertragung fremder Stammzellen und die damit verbundene Implementierung eines neuen Immunsystems. Eine solche allogene Stammzelltransplantation gehört zu den häufigsten zellulären Immuntherapien. Die positiven Ergebnisse dieser Behandlung können jedoch aufgrund der „Transplantat-gegen-Wirt-Krankheit“ (GvHD), von der oft der Darm betroffen ist, wie auch durch eine unzureichende Immunantwort gegen den Tumor (Graft-versus-Leukämie, GvL) stark beeinträchtigt werden.

Anders als bei Abstoßungsreaktionen nach einer Organspende attackieren bei einer GVH die gespendeten Immunzellen den Körper der Patienten, wie etwa den Verdauungstrakt. „Mikroben sind mit der Prognose nach der Stammzelltransplantation assoziiert. Es kommt darauf an, wie das Darmmikrobiom zusammengesetzt ist, damit es Schutz vor der gefährlichen Abstoßungsreaktion bietet“, erklärt Prof. Dr. Hendrik Poeck, Geschäftsführender Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin III des Universitätsklinikums Regensburg.

Stoffwechselprodukte von Bakterien wichtig für positive Prognose

Die Wissenschaftler von UKR und TUM konnten einen Risikoindex entwickeln, der unter anderem die Gefahr einer Abstoßungsreaktion vorhersagt. Dazu wurden im Zeitraum von zwei Jahren 78 Patienten nach einer Stammzelltransplantation medizinisch begleitet und deren Stuhlproben untersucht. Das Hauptaugenmerk legten sie dabei nicht auf die Menge der vorkommenden Bakterien, sondern auf deren Stoffwechselprodukt, die Metabolite. Diese „Immunomodulatory Microbial Metabolites (IMMs)“ werden von Mikroben gebildet und nehmen direkten Einfluss auf den Körper. „IMMs können Immunreaktionen oder die Regenerationsfähigkeit des Körpers der Patienten modulieren. Interessant ist dabei, dass bestimmte Stoffwechselprodukte von Bakterien für eine positive Prognose und ein Ausbleiben einer Abstoßungsreaktion essentiell wichtig sind“, führt Dr. Erik Thiele-Orberg, Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin III des UKR, aus. Ob die hier identifizierten „Mikrobiomsignaturen“ als Biomarker für eine Abstoßungsreaktion oder Antitumorreaktion dienen oder direkt dafür verantwortlich sind, müssen weitere Studien zeigen.

Die Forscher fanden heraus, dass Bakteriophagen ein wichtiger Bestandteil dieser „Mikrobiomsignaturen“ sind. Zudem werden sie bei der Behandlung bakterieller Infektionen eingesetzt. In der hier vorliegenden Studie konnte gezeigt werden, dass die Symbiose bestimmter Bakteriophagen und Bakterien möglicherweise eine Vorrausetzung für die Produktion der schützenden IMMs ist.

Niedriger Mikrobiom-Score verspricht bessere Prognose

Essentiell für eine Rückfallprognose ist demnach nicht die Vielfalt verschiedener Viren und Bakterien im Darm der Betroffenen, sondern vor allem die Menge an IMMs. „Patienten mit einem niedrigen IMM-Risikoindex waren demnach weniger von einer Graft-versus-Host-Reaktion betroffen und die Mortalität bei diesen Patienten ist auch niedriger“, so Poeck. Verantwortlich dafür sind die genannten Metabolite, welche unter Mithilfe von Bakteriophagen durch Bakterien der Lachnospiraceae und Oscillospiraceae Familien gebildet werden. „Aufgrund ihrer zusätzlichen Fähigkeit, den Transplantat-gegen-Leukämie-Effekt zu beeinflussen, erstreckt sich die Bedeutung dieser mikrobiellen Botenstoffe nicht nur auf allogen stammzelltransplantierte Patienten, sondern vermutlich auch auf andere T-Zell-vermittelte Therapien, die vom Darm-Mikrobiom beeinflusst werden, wie zum Beispiel die CAR-T-Zelltherapie und Immun-Checkpoint-Inhibitoren“, erläutert Poeck.

Transfer der Forschungsergebnisse in den klinischen Alltag

Die Erforschung des Mikrobioms bei Krebspatienten und seine therapeutische Nutzung sind seit Jahren ein zentraler Fokus am UKR. „Jeder einzelne Patient ist es wert, dass wir hier unsere Energien in die Forschung investieren, um das Outcome für unsere Patienten nach einer allogenen Stammzelltransplantation weiter zu verbessern“, fasst Thiele-Orberg zusammen. Im nächsten Schritt gilt es nun das Wissen um die Wirksamkeit der Metabolite in der Darmflora in den klinischen Alltag, in die Behandlung von Patienten zu transferieren. „Wir wollen die Heilungschancen für Patienten nicht nur prognostizieren, sondern aktiv verbessern“, so der Mediziner weiter. Dafür ist derzeit in enger Kollaboration mit Prof. Dr. Dr. André Gessner, Direktor des Instituts für klinische Mikrobiologie am UKR, eine FMT-Studie zur Erstlinienbehandlung von Patienten mit akuter GvHD und perspektivisch auch zur Korrektur „geschädigter“ Darmmikrobiome (z.B. durch vorherige Exposition von Breitspektrumantibiotika) vor der Gabe von CAR T –Zellen in Planung.

Basic Science Award 2023 auf der EBMT

Die Ergebnisse dieser Studie wurden auf dem Kongress der European Society for Blood and Marrow Transplantation 2023 (EBMT), dem wichtigsten Kongress zur Stammzelltransplantation und zellulären Therapien in Europa, vorgestellt und mit dem Basic Science Award 2023 ausgezeichnet. Die Studie selbst wurde mit einem ERC Consolidator Grant der Europäischen Union in Höhe von zwei Mio. Euro gefördert. Weiterhin wurden die Forschungsergebnisse im Fachmagazin „Nature Cancer“ publiziert. Literatur beim Autor Matthias Dettenhofer, Universitätsklinikum Regensburg

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